© Benedikt Nickel
© Benedikt Nickel

Studie über Fridays-for-Future: Auch während Coronakrise Klimaschutz das wichtigste Thema

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat die Debatte über den Klimawandel geprägt– in Deutschland und weltweit. Nun wurden Aktive befragt.

Biberach & Neu-Ulm - InnoSÜD-Wissenschaftler der Hochschulen Biberach und Neu-Ulm haben die Protestbewegung in Deutschland in einer Studie genauer untersucht. Wer engagiert sich in der Bewegung und was treibt die Aktivist*innen an? Was sind sie selbst bereit für den Klimaschutz aufzubringen? Und: Wie wirkt sich das auf ihr Verhältnis zur Politik aus? Dazu hat das Forscherteam von April bis Juni 2020 bundesweit über 750 Aktive in der Fridays-for-Future-Bewegung befragt. Es ist eine der ersten und die bislang größte Studie zum Thema in Deutschland.

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie:

1. Auch während der Corona-Pandemie bleibt Umwelt- und Klimaschutz das wichtigste Thema für die Fridays-for-Future-Aktivist*innen.

2. Die Mehrheit ihrer Anhänger*innen interessiert sich für Politik. Trotz relativ hoher Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland haben sie aber nur geringes Vertrauen in die politischen Parteien.

3. Die Fridays-for-Future-Aktiven sind unzufrieden mit den Maßnahmen, die die Politik in Deutschland zur Eindämmung des Klimawandels vornimmt. Von der Politik fordern sie mehr Handeln statt Reden, Gesetze für Nachhaltigkeit, Bildungsförderung und Anreize für nachhaltiges Handeln. Auch von ihrem zukünftigen Arbeitgeber erwarten sie, dass er sich mit Klimaschutz befasst.

4. Die Befragten sind aber auch bereit, selbst zu handeln. Sie ändern ihr Verhalten und würden bis zur Hälfte ihres (zukünftigen) Einkommens für ein klimaneutrales Leben aufwenden.

5. Fridays-for-Future-Aktive kommen überwiegend aus akademischen Elternhäusern und verfügen über einen hohen Bildungsgrad bzw. streben diesen an. Klimaschutz machen sie auch in ihrem Elternhaus zum Thema.

6. Informationen über nachhaltige Produkte beziehen die Aktivist*innen vor allem im Internet. Suchmaschinen, YouTube, Online-Angebote von Zeitungen und Unternehmens-Webseiten sind die beliebtesten Quellen. Auch soziale Netzwerke werden zur Information genutzt. Etablierten (Massen-)Medien vertrauen knapp 40 Prozent der Befragten voll und ganz oder weitgehend.

Durchgeführt wurde die Studie von Wissenschaftlern der Hochschulen Biberach und Neu-Ulm. Jens Boscheinen und Laurens Bortfeldt beschäftigen sich im Rahmen des Verbundprojekts InnoSÜD aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema Nachhaltigkeit. Im Sommer und Herbst 2019 befragten sie bereits mehr als 500 junge Menschen aus der InnoSÜD-Region Donau-Iller-Riß zu ihren Einstellungen in Bezug auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Nun wandten sich die beiden speziell der Fridays-for-Future-Bewegung zu.

Online befragten sie 1.023 Fridays-for-Future-Aktive bundesweit, 764 füllten den Fragebogen komplett aus. Die Einladungen zur Befragung wurden über die WhatsApp- und Telegram-Kanäle von Fridays-for-Future-Regionalgruppen verteilt. Es kamen Rückmeldungen aus allen Bundesländern; etwas mehr als 50 % davon entfielen auf die bevölkerungsreichsten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die meisten Rückmeldungen aus einzelnen Städten kamen aus Biberach an der Riß, München, Nürnberg, Lippstadt und Kiel.

Erkenntnis 1: Klimaschutz bleibt wichtigstes Thema – trotz Corona

Der Befragungszeitraum von April bis Juni 2020 begann während der Einschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus. Trotz aller Debatten um wirtschaftliche Einbußen und Engpässe im Gesundheitssystem, die das Virus auslöste: 90 Prozent der Befragten bezeichneten Umwelt- und Klimaschutz weiterhin als eines der „wichtigsten Probleme, denen sich unser Land gegenübersieht“. Damit liegt das Thema für die Befragten mit großem Abstand vor Themen wie soziale Sicherung/soziale Gerechtigkeit (40 Prozent), Gesundheitsversorgung bzw. Gesundheitspolitik (6,9 Prozent) oder auch wirtschaftliche Lage (6,3 Prozent).

Zur besseren Vergleichbarkeit haben die Forscher in der Umfrage Fragestellungen aus bestehenden Studien des Umweltbundesamtes und des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung eingebaut. Ein Vergleich mit einer repräsentativen Befragung der Gesamtbevölkerung durch das Umweltbundesamt im Jahr 2016 zeigt: Die Gesamtbevölkerung würde die Frage nach den wichtigsten Problemen für das Land anders beantworten. An erster Stelle stand hier das Thema Migration, gefolgt von Kriminalität/Frieden/Sicherheit. Klimaschutz schaffte es erst mit Abstand auf Platz 3 der Liste.

„In der Umfrage des Umweltbundesamtes von 2016 schlugen sich aktuelle Entwicklungen wie die Flüchtlingskrise deutlich nieder. Covid-19 hat den Fokus der Befragten in unserer Studie jedoch nicht beeinflusst,“ beobachtet Jens Boscheinen. „Das liegt sicher zu einem Teil auch am Alter der Befragten: Die Hälfte von ihnen ist unter 18 Jahre alt, viele von ihnen gehen noch zur Schule. Wirtschaftliche Entwicklungen, Arbeitslosigkeit oder auch das Gesundheitssystem sind Themen, mit denen sie sich vermutlich weniger auseinandersetzen müssen.“

Erkenntnis 2: Fridays-for-Future-Aktive interessieren sich für Politik

Mit dem Engagement für den Klimaschutz geht erwartungsgemäß auch ein erhöhtes Interesse an Politik einher: 82 Prozent der Befragten gaben an, sich sehr stark oder stark für Politik zu interessieren. Den handelnden Akteuren in den Parteien trauen sie eher nicht zu, die Klimaziele zu erreichen: Bei der „Sonntagsfrage“ bekamen die Regierungsparteien kaum Stimmen von den jungen Aktivist*innen. Wäre zum Zeitpunkt der Befragung Bundestagswahl gewesen, hätten die Grünen von den Befragten gut 60 Prozent der Stimmen erhalten, die Linke gut 20 Prozent. Die Parteien der Großen Koalition wären bei einer Bundestagswahl unter Fridays-for-Future-Aktiven mit gemeinsam knapp 3% an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Mehr als die Hälfte der Befragten vertrauen Parlamenten und Regierung nur teilweise bis gar nicht, gegenüber politischen Parteien ist das Vertrauen bei mehr als 80 Prozent getrübt. Die Fridays-for-Future-Aktiven sind unzufrieden mit den Maßnahmen, die die Politik in Deutschland zur Eindämmung des Klimawandels vornimmt. Über 95 Prozent der Befragten halten das Erreichen der Treibhausgasneutralität bis 2050 zum Beispiel für sehr wichtig oder wichtig – aber mehr als die Hälfte glaubt nicht, dass dieses Ziel erreicht werden kann.



Von der Politik fordern die Befragten konkrete Maßnahmen: „Mehr Handeln statt Reden“ steht an erster Stelle der Forderungen, gefolgt von Gesetzen für Nachhaltigkeit, Bildungsförderung und mehr Anreizen für nachhaltiges Handeln/Verhalten. Dabei sehen die Befragten viele verschiedene Handlungsfelder für die Politik: Wenn sie selbst politische Entscheidungen für den Klimaschutz treffen könnten, würden sie den öffentlichen Nahverkehr attraktiver gegenüber dem motorisierten Individualverkehr gestalten, Plastik reduzieren und die Recyclingfähigkeit von Verpackungen zur Pflicht machen, erneuerbare Energien und klimafreundliche Investitionen in die Industrie fördern und gleichzeitig mit Strafgebühren und gesetzlichen Auflagen gegen die Missachtung von Klimavorgaben vorgehen.

Fast 85 Prozent der Befragten glauben nicht, dass der freie Markt die nötigen Veränderungen von alleine herbeiführen wird. Neben der überregionalen Politik sollten sich ihrer Meinung nach auch Städte und Gemeinden, Firmen, Hochschulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Schulen mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Fast 90 Prozent der Befragten erwarten das auch von ihrem (zukünftigen) Arbeitgeber.

Über den Umgang von Unternehmen mit der Umwelt informieren sich die Aktivist*innen unter anderem auf Unternehmens-Webseiten. Ein Großteil der Befragten würde es zudem für sinnvoll halten, Unternehmen zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichtes zu verpflichten.

Erkenntnis 4: Eigenes Handeln und (finanzieller) Einsatz für den Klimaschutz

Fast alle Befragten (96 Prozent) finden, dass jede*r Einzelne Verantwortung für Umwelt- und Klimaschutz übernehmen muss. Ein Großteil der befragten Aktivist*innen hält es dafür auch für notwendig, unsere Wirtschafts- und Lebensweisen grundlegend umzugestalten – auch auf Kosten des Wirtschaftswachstums.

Was tun die Befragten folglich selbst für den Klimaschutz? Nach eigenen Angaben fährt die Mehrzahl von ihnen Fahrrad, reduziert Flugreisen und Plastikmüll, nutzt öffentliche Verkehrsmittel und ändert Essgewohnheiten und Konsumverhalten – ernährt sich also vegan oder vegetarisch und kauft regional, saisonal und nachhaltig ein.

Maßnahmen wie Ökostrom nutzen oder Elektroauto fahren werden eher weniger genannt – wenig überraschend, findet Laurens Bortfeldt: „Die Bereiche Energieerzeugung und -einsparung, Sanierung und Wärmeversorgung haben zwar starke Auswirkungen auf die Umwelt – aber für die Befragten liegen diese Themen eher außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs.“

Fast 70 Prozent der Studienteilnehmer*innen wären bereit, für Klimaschutz Geld auszugeben: Bis zur Hälfte ihres zukünftigen Einkommens würde dieser Anteil der Befragten für ein klimaneutrales Leben aufwenden, zum Beispiel in Form von Kompensationszahlungen für Reisen oder für den Kauf von klimaneutral produzierten Lebensmitteln.

Erkenntnis 5: Die Aktivist*innen sind jung, gebildet und aus akademischem Elternhaus

Neben Aussagen und Forderungen zum Klimaschutz untersuchte die Studie auch Alter, Bildungsgrad und Elternhaus der Aktivist*innen. Die Hälfte der Befragten ist 18 Jahre alt oder jünger. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden besucht noch die Schule, fast 20 Prozent befinden sich in Studium oder Ausbildung. Der Bildungsgrad der Befragten ist sehr hoch: Knapp 60 % besitzen Abitur oder streben dies an, knapp 23 % besitzen einen akademischen Abschluss oder streben diesen an.

Jede*r Zweite der Befragten kommt aus einem akademischen Haushalt, in dem mindestens eines der Elternteile einen Hochschulabschluss besitzt. Diese Beobachtung deckt sich mit Studien zu anderen Umweltbewegungen und zum Bereich des sozialen und ehrenamtlichen Engagements (Quellen s. Studie S. 61). Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass auch ihre Eltern sich für den Klimaschutz interessieren, auch wenn sich nur bei einem Fünftel der Befragten die Eltern selbst politisch engagieren. Mehr als die Hälfte diskutiert oft mit ihren Eltern über den Klimawandel und macht ihn so zum Thema zuhause.

Erkenntnis 6: Das Internet ist Haupt-Informationsquelle für die Fridays-for-Future-Aktiven

Informationen zu nachhaltigen Aspekten bei Produkten bezieht die Mehrzahl der Befragten von Suchmaschinen, gefolgt von den Quellen YouTube und Zeitungen (online). Auch Unternehmens-Webseiten, Nachhaltigkeitsberichte von Firmen oder NGOs und andere soziale Medien wie Instagram und Facebook werden genutzt. Etablierten (Massen-)Medien vertrauen jedoch nur knapp 40 Prozent der Befragten voll und ganz oder weitgehend. Vor allem Umweltgruppen genießen ihr Vertrauen.

Ein ähnliches Bild ergeben auch andere Studienergebnisse: Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend-und Bildungsfernsehen (IZI) vermerkt, dass politische Informationen fast ausschließlich über digitale Medien bezogen werden. Die Jugendstudie 2018 der Kreativagentur Elbdudler bescheinigt ebenfalls, dass insbesondere in der Gruppe der 18-24-Jährigen soziale Medien als Hauptinformationskanal für Nachrichten die Medienwahl dominieren – hervor sticht dabei das Videoportal YouTube.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /