© Markus Distelrath auf Pixabay / Atomkraftwerk
© Markus Distelrath auf Pixabay / Atomkraftwerk

Atomkraft: Wien weist mit neuer Studie auf Gefahren der "Small Modular Reactors" hin

Wiener Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky: "Kernenergie ist nicht grün"

Das aktuelle Bestreben der EU-Kommission, Atomkraft als "grüne Energie" zu verkaufen, stößt auch in der Stadt Wien auf völliges Unverständnis und Kritik: "Ich bin sehr enttäuscht, dass nun Gelder in Kernenergie und fossile Projekte fließen sollen und damit der Ausbau der erneuerbaren Energieprojekte verzögert wird", sagt Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky. "Mit dem - unzutreffenden - Vorwand der Treibhausgas-Neutralität, wird von der Atomwirtschaft erneut versucht, eine Art Renaissance für diese gefährliche und teure Technik zu erzielen."

Im Zentrum aktueller Bemühungen in Europa steht die Taxonomie-Verordnung, mit der die Kommission die Anerkennung von Kernenergie und Erdgas mit einer vorerst zeitlichen Begrenzung also als "grünes" Investment und als förderwürdig anerkennen will. Zeitlich sehr knapp wurde dazu am 31. Dezember 2021 ein "Vorschlag zu Erdgas- und Kernaktivitäten in der EU-Taxonomie" mit extrem kurzer Frist bis 12. Jänner 2022 zur Begutachtung ausgesendet. In der Folge wären Investitionen in AKW jenen in erneuerbare Energieträger formal gleichgestellt. "Klar ist, dass es der Kernenergielobby gerade um dieses grüne Mäntelchen geht", so Jürgen Czernohorszky. "Mit dieser Taxonomie werden Gelder in Richtung Atomkraft gelenkt, die sonst erneuerbaren Energien zur Verfügung stünden. Wir brauchen aber alle verfügbaren Mittel für Erneuerbare und kein Greenwashing von Retro-Technologien!"

Die Aufnahme in die Taxonomie beruht wesentlich auf der Initiative Frankreichs. Der Vorsatz, dort den Anteil der Atomenergie an der Stromaufbringung bis 2050 von derzeit 75 auf dann 50 Prozent zu reduzieren wurde offenbar ad acta gelegt. Neben der Errichtung neuer Reaktoren, wie etwa dem seit 2007 in Bau befindlichen Reaktor (EPR) am Standort Flamanville tritt Präsident Emanuel Macron für den Bau sogenannter "Small Modular Reactors" (SMRs) ein. Das sind kleinere Reaktoren, die den durch die geringe Größe entstehenden Kostennachteil gegenüber aktuellen Kernkraftwerken durch Serienproduktion, Standardisierung und Vereinfachung, Modularisierung und kürzere Bauzeit kompensieren sollen. Nun liegt eine aktuelle Studie des Forum Wissenschaft & Umwelt zum Thema vor. "Die Untersuchung zeigt, dass die meisten dieser SMR nur als Konzepte auf dem Papier existieren", erläutert Studienleiter Reinhold Christian. "Lediglich in Russland sind zwei solcher Reaktoren in Betrieb." Die angestrebten Wettbewerbsvorteile - Serienproduktion, Modularisierung, Vereinfachung und Standardisierung, kürze Bauzeiten, geringere Investitionskosten - seien aktuell daher nicht nachzuweisen und nicht seriös zu quantifizieren.

"Fazit: Neben großen sicherheitstechnischen Bedenken bleibt auch bei den SMR der wirtschaftliche Nachteil der Kernenergie aufrecht", sagt Klimastadtrat Czernohorszky. "Derzeit liegt der finanzielle Gesamtaufwand für Atomenergie etwa beim dreifachen von Photovoltaik und Windkraft. Umso wichtiger ist es, dass die Mittel daher sinnvoll anders für wirklich klimaschutzrelevante Technologien verwendet werden."

"Atomenergie ist nicht nachhaltig"

Gegen eine Anerkennung der Atomenergie als nachhaltig sprechen aus Sicht der Stadt Wien selbstverständlich eine ganze Reihe weiterer Argumente: - Atomenergie ist nicht emissionsfrei (mehr Treibhausgasemissionen als erneuerbare Energieträger) - Atomenergie deckt derzeit (global) rund 2 bis 3 Prozent des Endenergiebedarfs. Eine Verdoppelung würde den Neubau von 700 AKW oder von vielen tausenden (nicht am Marktverfügbarer) SMRs erfordern und hätte dennoch keinen wesentlichen direkten Einfluss auf die Emissionssituation. - Die Emissionssituation würde sich tendenziell verschlechtern, da AKW mit einer - gegenüber erneuerbaren Energieträgern - schlechteren Treibhausgasbilanz errichtet würden. - Die potenziell geringere Gefahr durch die kleineren Werke würde wegen der deutlich höheren Anzahl an Kraftwerken in der Nähe der Verbraucher letztlich zu einem wesentlich gesteigerten Gefahrenpotenzial führen.

Cities for Nuclear Free Europe mit Wiener Vorsitz

Die Stadt Wien engagiert sich auch auf internationaler Ebene gegen Atomkraft: Cities for a Nuclear Free Europe (CNFE www.cnfe.eu) ist ein internationales Netzwerk von 33 europäischen Städten, die sich aktiv für ein nuklearfreies und sicheres Europa einsetzen. Das Netzwerk wurde 2011 unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe von Fukushima auf Initiative der Stadt Wien gegründet. Die Stadt Wien stellt mit Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky den Vorsitzenden des Netzwerks.

Wichtig sei jetzt auch, Allianzen und Netzwerke gegen Atomkraft zu stärken und Verbündete in Ballungszentren und Städten gegen die Atomlobby zu finden: "Darum habe ich mich noch vor Weihnachten als CNFE-Präsident an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aller größeren französischen Städte gewandt und für eine wirkliche grüne erneuerbare Energiewende ohne Atomstrom geworben und eine Einladung zum CNFE-Beitritt ausgesprochen", so Czernohorszky.

"Im dicht besiedelten Europa wären Ballungsräume bei einem Nuklearunfall extrem betroffen, eine Evakuierung auf Grund der hohen Anzahl an Betroffenen aber voraussichtlich unmöglich", sagt Wiens Klimastadtrat "Die hohe Lebensqualität der europäischen Städte basiert auf der in allen Bereichen - sozial, medizinisch, kulturell, technisch - verfügbaren Infrastruktur und einer wirtschaftlichen Bedeutung die weit ins Umland reicht. Diese dichte Struktur der Städte macht sie aber gleichzeitig anfällig für Gefahren, die von einem Nuklearunfall ausgehen. Unser Anliegen ist, die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima und anderen Atom-Unfällen ernst zu nehmen und an die Sicherheit der Bevölkerung und künftiger Generationen zu denken."

Quelle: PID Rathauskorrespondenz



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /