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© pixabay.com | Johannes Plenio | Die Waldbewirtschaftung in Österreich erfolgt nachhaltig. Bereits der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Das heißt, es wird nicht mehr Holz genutzt als wieder nachwächst.

„De-Karbonisierung“ plus „Re-Naturierung“

Die Debatte um eine neue Klimapolitik hat in den letzten Wochen an Fahrt aufgenommen, doch sie ist einseitig auf das Thema CO2-Bepreisung ausgerichtet. Das ist nicht falsch, doch dies allein darf es nicht gewesen sein, meint Professor Udo E. Simonis.

Das Problem: In der Klimawissenschaft wie in der Klimapolitik haben sich Gruppen gebildet, die nicht miteinander kommunizieren, sondern sich voreinander abschotten. Im Ergebnis werden der technische Weg zum Klimaschutz – die „De-Karbonisierung“ – und der natürliche Weg – die „Re-Naturierung“ – von Wissenschaftlern wie von Politikern nicht als zwei Wege zum gleichen Ziel gesehen, obwohl es viele gute Gründe für eine solche Doppelstrategie gibt.

Die jüngste, von der „Friday for Future“-Bewegung beflügelte Suche nach einer neuen Klimapolitik bestätigt diese schon lang anhaltende Denkblockade. So hat die deutsche Regierung im Frühjahr 2019 zwar ein „Klima-Kabinett“ ins Leben gerufen, dem aber international so bedeutende Akteure wie das Außenministerium und das Entwicklungshilfeministerium nicht angehören. So hat die Bundesumweltministerin im Juli 2019 zwar drei externe Gutachten zur Reform der Klimapolitik entgegengenommen, in denen die Re-Naturalisierung aber nicht thematisiert wird. Auch in dem Sondergutachten der sog. Wirtschaftsweisen ist zum Thema Re-Naturierung nichts zu finden. Selbst in dem kompetentesten Klimagutachten von PIK-MCC (Optionen für eine CO2-Preisreform) findet sich dazu nichts.

Dort heißt es zwar, dass die Klimapolitik eine grundlegende Neuausrichtung benötige, weil die Unzufriedenheit mit dem unzureichenden klimapolitischen Fortschritt in breiten Teilen der Gesellschaft wachse. Daraus wird aber nur gefolgert, dass im Zentrum dieser Neuausrichtung eine umfassende und koordinierte Bepreisung der CO2-Emissionen stehen müsse. Von Natur auch hier kein Wort.

Der entscheidende Grund für diese partielle Blindheit von Theorie und Praxis dürfte darin bestehen, dass die konventionelle Strategie der Klimapolitik auf „Emissionsminderung“ fokussiert ist. Das ist zwar wichtig, weil es ja in weiterer Zukunft um CO2-Null-Emission von Wirtschaft und Gesellschaft gehen muss. Doch wo bleibt bei dieser Sicht die Rolle der Natur?

Die Natur, insbesondere der Wald, Weideflächen, Moore und andere Feuchtgebiete haben eine enorme ökologische Kapazität – die der Absorption von Schadstoffen; sie nehmen große Mengen an Kohlendioxid auf und wandeln sie in der Photosynthese in Zucker und Sauerstoff um. Neben der technischen Emissionsminderung in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sektoren müsste es also bei einer grundlegenden Neuausrichtung der Klimapolitik auch um die naturbasierte Absorptionserhöhung gehen.

Hierauf hat das Crowther Lab der ETH Zürich Ende Juni 2019 mit einer global angelegten Wald-Studie aufmerksam gemacht und damit eine weltweite Debatte angestoßen (Bastin et al. 2019). Die quantitativen Details dieser Studie sind umstritten, doch an der Grundaussage kann kein Zweifel bestehen: Die weltweite Aufforstung bzw. Wiederaufforstung von Wäldern ist grundsätzlich möglich; es könnten Milliarden vom Bäumen gepflanzt werden, die über längere Zeit hin einen großen Teil der globalen CO-Emissionen absorbieren würden.

Die ETH-Autoren gehen davon aus, dass der derzeit global vorhandene Waldbestand ohne größere Flächenkonflikte (wie Ernährung und Siedlung) um 0,9 Milliarden Hektar auf insgesamt 4,4 Milliarden Hektar aufgestockt werden könnte. Wo das größte Potenzial dieser globalen Neu-Bewaldung mit mehr als 500 Milliarden zusätzlichen Bäumen liegen könnte, wird in der Studie unter Berücksichtigung verschiedener topografischer Merkmale nach Ländern und Regionen vorsichtig eingeschätzt.

Man mag bedauern, dass diese Studie für die in Deutschland derzeit diskutierten Klimagutachten zu spät kam, doch für die Wieder- bzw. Neuentdeckung der damit beschriebenen „Waldoption“ kommt sie gerade zur rechten Zeit.

Vor nunmehr 20 Jahren hatten nämlich 80 Professoren und Praktiker ein Manifest zu einer zusätzlichen klimapolitischen Option veröffentlicht (Jahrbuch Ökologie 2000), die ergriffen werden sollte, um den CO2-Anstieg in der Atmosphäre zu reduzieren und Wirtschaft und Gesellschaft Zeit und Gelegenheit für eine sozioökonomisch verträgliche Änderung von Produktion und Lebensweise zu geben: die Wald- und Holzoption. Dieses Manifest zielte auf sechs strategische Komponenten:

  • Emissionsminderung durch verstärkten Waldschutz,
  • Kohlenstoffbindung durch Erhöhung der Biomasse in den Wäldern,
  • Bindung von Kohlenstoff in neu zu schaffendem Wald,
  • Bindung von Kohlenstoff durch verbesserte Waldwirtschaft,
  • Emissionsminderung bei Ersatz fossiler Energieträger durch Holz,
  • Emissionsminderung bei Ersatz energieaufwendiger Materialien durch Holz.

Wie lässt sich auf dieser (oder einer ähnlich definierten) Basis die notwendige Doppelstrategie einer Klimapolitik begründen, welche die De-Karbonisierung der Wirtschaft – insbesondere die „Energieoption“ – und die Re-Naturierung der Gesellschaft – insbesondere die „Waldoption“ – integriert und zu einem allgemeingültigen politischen Postulat macht? Vier Gründe dürften hierbei besonders wichtig sein:

1.Machbarkeit und Realisierungschancen

Die Minderung der laufenden CO2-Emissionen und die Absorption der zu hohen CO2-Konzentration in der Atmosphäre müssen parallel angegangen werden; mit technischen Maßnahmen allein lässt sich das Ziel des Paris-Abkommens nicht erreichen.

2.Gerechtigkeit und internationale Kooperation

Der Großteil der akkumulierten wie der laufenden CO2-Emissionen stammt aus den alten Industrieländern, die dementsprechend nach Kriterien der internationalen und intergenerativen Gerechtigkeit die größten Reduktions- und Absorptionspflichten haben. Ein großer Teil der zu erhaltenden wie der zu mehrenden Wälder liegt aber in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Deshalb verspricht nur internationale Kooperation einen höchstmöglichen Beitrag zum Klimaschutz.

3.  Multiple Effekte und intersektorale Synergien

Die Energieoption zielt primär auf betriebswirtschaftliche Effizienzsteigerung und führt nur bei „Ressourcenwechsel“ auf Erneuerbare Energien zu wichtigen multiplen Effekten (wie Arbeitsmarkt, Regionalökonomie, Armutsreduzierung, usw.). Die Waldoption hat per se multiple Effekte und führt zu vielfältigen intersektoralen Synergien (wie Wasserschutz, Ernährungssicherung, Erhöhung der Holzquote im Bauwesen, usw.).

4. Sinkende Leistungsfähigkeit der Wälder

Immer mehr Bäume sterben durch Dürre, Krankheiten und falsche Bewirtschaftung – und den Klimawandel. Es muss daher quantitativ um Waldmehrung und qualitativ um Waldumbau gehen, weil beim technisch bedingten Klimawandel die existierenden Wälder nicht mehr so leistungsfähig als Senke für Schadstoffe sind bzw. sein werden, wie bisher – ein weiteres starkes Argument für eine klimapolitische Doppelstrategie.

Wie aber steht es um die Äquivalenz von Energieoption und Waldoption in der historischen Entwicklung der nationalen und internationalen Klimadebatte? Zur umfassenden Beantwortung dieser Frage müssten viele wissenschaftliche Studien und politische Dokumente zitiert werden. Für diesen kurzen Artikel muss ich mich auf einige wenige Quellen beschränken.

Zur Geschichte der Klimadebatte: Die UN-Klimarahmenkonvention (1994) ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, der nach heftigen Debatten und vielen Umwegen 2015 vielversprechend konkretisiert wurde (das Paris-Abkommen). Noch 1993 hatte sich aber ein strategischer Konsens abgezeichnet, wonach im Rahmen dieser Konvention zwei Umsetzungsprotokolle formuliert werden sollten: ein Waldprotokoll und ein Energieprotokoll. Dazu kam es leider nicht – vor allem aus Gründen stark divergierender Nord – Süd und West – Ost- Interessen.

Der dritte Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC 2001) gab einen ersten guten Überblick zum Stand der Wissenschaft über den Klimawandel (WG I), die Notwendigkeiten der Anpassung an diesen Wandel (WG II) und die Möglichkeiten zur Begrenzung des Klimawandels (WG III). Die wald-bezogenen Aussagen dieses Berichts waren aber eher dürftig. Man stand sich selber im Wege: Man war skeptisch bezüglich der erfolgreichen Umsetzung der Energieoption, reflektierte aber nicht die Rolle, die dem natürlichen Weg zukommen könnte, wenn sich der technische Weg als steinig oder gar blockiert erweisen sollte.

Diese pessimistische Sicht des natürlichen Absorptionspotentials der Wälder änderte sich erst mit dem im August 2019 vorgelegten Sonderbericht des IPCC über die Rolle der Land- und Forstwirtschaft beim Klimawandel. Nur wenige Monate nach dem Weckruf des Weltbiodiversitätsrates schrillen nun auch beim Weltklimarat die Alarmglocken. Das Ausmaß der Naturzerstörung sei so groß, dass die Wälder und Böden es nicht mehr schafften, das CO2 hinreichend zu binden. „Der umsichtige Umgang mit Mutter Erde ist oberstes Gebot“ – heißt es da auf einmal. Der neue Bericht wolle nicht nur die Politiker aufrütteln, sondern auch die öffentliche Meinung beeinflussen.

Die Vermutung ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass es gerade umgekehrt sein dürfte: Die öffentliche Meinung hat die Sicht des Weltklimarates verändert. Ein weiteres Beispiel des Greta-Effekts?

Ein Sondergutachten des WBGU (2003) sah „… die Grenze, ab der die Schäden am globalen Naturerbe nicht mehr hinnehmbar sind, … im Bereich von 2°C globaler Erwärmung gegenüber vor-industriellen Werten“. Daraus wurde gefolgert, dass zur Absicherung eine CO2-Konzentration in der Atmosphäre unterhalb von 450 ppm angestrebt werden sollte. Hierzu hätte bis zum Jahr 2050 eine Minderung der globalen CO2-Emissionen von 45 bis 60 % gegenüber dem Jahr 1990 angestrebt werden müssen.

Die erforderlichen Maßnahmen zur Emissionsminderung sah der WBGU auf drei Gebieten: Verstärkte Energieeinsparungen; Einsatz erneuerbarer Energien und kohlenstoffarmer Technologien; geologische CO2-Speicherung.

Kein Platz oder keine Notwendigkeit für eine aktive „Waldoption“ – auch nicht bei 60 % Reduktionserfordernis? Sehr spät konzedierte der WBGU aber doch, dass die terrestrische Biosphäre im globalen Kohlenstoffkreislauf eine große Rolle spielt: „Naturnahe Wälder, Feuchtgebiete und Grasland sind wichtige Speicher für Kohlenstoff, solange sie nicht gerodet, entwässert oder umgepflügt werden“.

Der WBGU empfahl dann die internationale Vereinbarung eines „Protokolls zur Erhaltung der Kohlenstoffvorräte terrestrischer Ökosysteme“, einschließlich der Einrichtung eines Systems handelbarer Nutzungsverzichtsverpflichtungen. Dazu ist es aber nicht gekommen – und diese Empfehlung wurde bis heute nicht wiederholt.

Auch andere Fragen blieben unbeantwortet:

  • Wie kommt es, dass – physikalisch – nur über die Erhaltung, nicht aber über die Mehrung und Verbesserung der Kohlenstoffspeicher terrestrischer Ökosysteme räsoniert wird?
  • Wie kommt es, dass – politisch – eine zusätzliche zwischenstaatliche Verpflichtung vorgeschlagen wird, statt vor allem und zuerst die Umsetzung der bestehenden Verpflichtungen einzufordern?

Der Vorschlag des WBGU berührt immerhin die Logik der Architektur der internationalen Umweltpolitik – im konkreten Fall die der Waldpolitik.

Die Institutionalisierung der internationalen Waldpolitik ist, man kann es nicht anders sagen, eine Geschichte des Misserfolgs. Insofern könnte jeder neue Vorschlag ein Beitrag zur Revitalisierung des Themenfeldes sein. Doch wie steht es damit?

Auf der Rio-Konferenz (UNCED 1992) hatte man sich – anders als bei den Themen Klima, Biodiversität und Desertifikation – nicht auf eine globale Wald-Konvention einigen können. Mehrere Jahre lang herrschte Funkstille. Nach 1995 entstanden dann drei, jeweils temporäre internationale Wald-Institutionen:

  • das Intergovernmental Panel on Forests (IPF), 1995 – 1997;
  • das Intergovernmental Forum on Forests (IFF), 1997 – 2000;
  • das United Nations Forum on Forests (UNFF), 2001 – 2005.

IPF wie IFF generierten eine breite Palette an Vorschlägen zu nachhaltigem Forstmanagement, fanden aber keinen Konsens für eine aktive globale Waldstrategie. Das UNFF hatte einen höheren Status (universelle Mitgliedschaft, Multi-Stakeholder-Dialog), doch zu einer völkerrechtlich verbindlichen Wald-Konvention, die nicht nur dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der bestehenden Wälder, sondern auch und vor allem der globalen Mehrung von Wäldern dienen müsste, kam es nicht. UNFFinished business – sozusagen.

Wie aber sieht die Lage auf der nationalen Ebene aus?

Ergibt sich in Deutschland vielleicht ein hoffnungsvolleres Szenario für die Waldoption? Hier gilt es zunächst an zwei Initiativen von 2004 zu erinnern, an

  • das „Nationale Waldprogramm“ und
  • die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“.

Das „Nationale Waldprogramm“ war Ergebnis eines längeren Verständigungsprozesses darüber, wie nachhaltige Waldbewirtschaftung aussehen könnte, die den forstlichen Ansprüchen Rechnung trägt und den internationalen Vereinbarungen zur Nachhaltigkeit entspricht. Doch zur Formulierung einer effektiven nationalen Waldpolitik hat es nicht geführt. Die konstitutive Schwäche der Waldoption im deutschen Regierungssystem ist seither eklatant. Man schaue sich nur einmal das Organigramm der zwei potenziell gefragten Bundesministerien an:

Im Bundesumweltministerium (BMU) gibt es eine Abteilung K: Internationales, Europa, Klimaschutz und die Abteilung N: Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung. Eine Waldabteilung gibt es nicht.

Beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), in dem schon 2001 die Abteilung „Forsten“ verschwand, gibt es heute die Gliederungspunkte Nationale Waldwirtschaft und Internationale Waldpolitik, beide mit höchst widersprüchlichen Aussagen. Zum Punkt Nationale Waldwirtschaft heißt es zum Beispiel: „Der Wald in Deutschland ist in einem guten Zustand“, sowie: „Ziel der Bundesregierung in der Waldpolitik ist es, den Wald zu bewahren und nachhaltig zu nutzen“. In der Rubrik Aktuelles, unmittelbar unter diesen Feststellungen steht dann: „Massive Schäden – Wälder benötigen schnelle Hilfe“. Zum Punkt Internationale Waldpolitik heißt es: „Mit knapp vier Milliarden Hektar (sic!) bedecken …die Wälder noch 30 Prozent der Erdoberfläche. …Und doch ist es bis heute nicht gelungen, ihre fortschreitende Zerstörung und Degradierung aufzuhalten“.

Fehlerbehaftete Webseiten der Regierung zum Thema Wald oder Beleg einer eigentlich nicht-existenten staatlichen Waldpolitik – das ist hier die Frage!

Dazu nur eine weitere Anmerkung: Nach neuesten Erhebungen sind nach laufenden Verlusten nur noch 29,7% der deutschen Landesfläche von Wald bedeckt. Walderhalt und nachhaltige Nutzung des Waldes seien wichtig, so liest man zwar allenthalten – doch großangelegte Waldmehrung ist das Thema nicht!

So gibt es denn nicht einmal eine Ausrichtung am europäischen Durchschnitt des Waldbestandes, der (in der EU 15) immerhin bei rund 37% liegt. Da man für eine prospektive Politik immer auch anspruchsvolle Vorgaben braucht, wäre für Deutschland zumindest das Erreichen des europäischen Durchschnitts eine empfehlenswerte Zielgröße. Doch darüber hat es selbst nach der provokanten ETH-Studie bisher keine breit angelegte Diskussion gegeben.

Immerhin, etwas gibt es doch: Es gibt eine spektakuläre nationale Resonanz und eine Reihe regionaler Absichtserklärungen. Im Juli 2019 sind im absolut waldarmen Äthiopien bei großer Teilnahme der Bevölkerung an einem einzigen Tag 353 Millionen Bäume gepflanzt worden, was weltweite Aufmerksamkeit erregt hat. Das relativ waldarme Schleswig-Holstein, das derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne hat, will zur nächsten Deutschlandfeier 40.000 Bäume pflanzen (auf Vorlage einer Spende der Fa. Fielmann von 10.000 Bäumen) und hat die Bevölkerung zu entsprechenden Spenden aufgerufen (fünf Euro für einen Setzling). Der bayerische Ministerpräsident hat kürzlich einen „Wald-Pakt“ mit den Waldbesitzern des Landes geschlossen und die Pflanzung von 30 Millionen Bäumen in den nächsten fünf Jahren versprochen. Einen angesichts der anhaltenden Klimastreiks der Jugendlichen (Fridays for Future) erwarteten flammenden Aufruf unserer Umweltministerin an alle Bundesbürger (83 Millionen !) zur Pflanzung eines Baums zur Rettung des Klimas habe ich bisher nicht vernommen. Zwar wird immer wieder über den globalen Entwaldungsprozess, über Urwaldzerstörung und illegalen Holzeinschlag geklagt, doch die Chance, den Wald bei uns und weltweit als wichtigen Klimastabilisator zu begreifen, wurde immer wieder verpasst.

Wenn vorhandene Chancen allzu lange nicht genutzt werden, kann aber neuer politischer Druck entstehen. So hat der Bund Deutscher Forstleute (BDF) im Juni 2019 mit deutlichen Worten einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über den Wald eingefordert und dafür einen perspektivischen Begriff verwendet: den „Carlowitz-Plan“.

Auch in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (2014) findet sich ein Text, der neugierig macht: „Waldwirtschaft als Modell für nachhaltige Entwicklung: ein neuer Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie“. In gewisser Annäherung an obige Definition der „Waldoption“ wurden zwei politische Postulate vorgebracht – und als Überschriften auch angemessen formuliert:

1. Wald- und Holzwirtschaft dienen der Klimavorsorge

In den Wäldern Deutschlands sind nach Auswertung der jüngsten Kohlenstoffinventur (2017) durch das Thünen-Institut für Waldökosysteme rund 1,23 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in der lebenden Biomasse gespeichert; hinzu kommen rund 34 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Totholz. Die deutschen Wälder haben die Atmosphäre zuletzt jährlich um mehr als 62 Millionen Tonnen CO2 entlastet. Das ist in etwa die Größenordnung dessen, was die deutsche Industrie an Treibhausgasen emittiert (2017: 64 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente). Bei nachhaltiger Bewirtschaftung kann Holz dem Wald-Speicher klimaneutral entnommen und zu Produkten verarbeitet werden. Durch Wieder- und Weiterverwendung von Holzprodukten lässt sich die Nutzungsdauer und damit die Dauer der CO2-Fixierung erheblich verlängern. Eine strategische Größe ist hierbei die sog. Holzquote, der Anteil von Holz an der Gesamtsubstanz von Hausbauten. Diese Quote lag in Deutschland bei der letzten Erhebung allerdings gerade mal bei 14 %, in den Niederlanden dagegen bei 33 % – in den skandinavischen Ländern sogar bei mehr als 50 % !

2. Die deutsche Waldwirtschaft muss mehr internationale
Verantwortung übernehmen

Der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) hat die Meinung geäußert, dass Deutschland einen nicht unerheblichen Einfluss darauf haben könnte, wie Wälder in anderen Teilen der Welt bewirtschaftet werden. Deutschland ist ein einflussreicher Verhandlungspartner in der Welthandelsorganisation, ein wichtiger Geldgeber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit – und die deutsche Forstwissenschaft genießt ein hohes Ansehen in der Welt. Diese Möglichkeiten sollten daher genutzt werden. Der RNE hat leider nicht gesagt, wie das am besten geschehen könnte. Die vorgeschlagenen Pilotprojekte „Innovationsinitiative Holz“, „Nachhaltigkeitsbildung“ und „Vermarktungsinitiative Holz“ sind sehr allgemein und nicht strategisch formuliert.

Doch diese Geschichte ließe sich auch ganz anders erzählen: „Bäume sind unverzichtbare Partner im Kampf gegen den Klimawandel“, so las ich vor kurzem im Arboretum Ellerhoop. Oder: „Der Wald ist zum Opfer des Klimawandels geworden, er wird aber dringend benötigt, diesen Klimawandel einzudämmen, denn er ist eine höchst bedeutende CO2-Senke“. Vielleicht könnte so aus individueller Betroffenheit und gesellschaftlicher Aktionsbereitschaft – aus Empathie mit der Natur – eine neue Wald-Bewegung entstehen unter dem traditionsreichen Motto: „Mein Freund, der Wald“ (Alexandra 1968). Oder wird dies vielleicht ein zusätzliches Aktionsfeld für „Fridays for Future“?

Schlussfolgerungen: Zum Klimaschutz gibt es nicht nur den technischen Weg, die De-Karbonisierung der Wirtschaft, insbesondere die Energieoption. Es gibt auch den natürlichen Weg, die Re-Naturierung der Gesellschaft, insbesondere die Waldoption.

Die ungleiche Beachtung, Bewertung und Anwendung der beiden zentralen Optionen in Theorie und Praxis der Klimapolitik haben unterschiedliche Gründe: solche informatorischer, konzeptioneller und macht- bzw. interessengeleiteter Art, aber auch solche wie Einfallslosigkeit, Fantasielosigkeit und Zukunftspessimismus.

Die Informationsbasis verbessern, neue Konzepte entwickeln, Machtblockaden überwinden, Interessen kommender Generationen (der Jugend) ernstnehmen, einfallsreicher und fantasievoller werden, animierende Zukunftsszenarien entwickeln – dies sind die allgemeinen Schlussfolgerungen für die erforderliche Doppelstrategie der Klimapolitik.

Die besonderen Schlussfolgerungen sind institutioneller Art. Es bedarf durchgreifender institutioneller Innovationen: auf der nationalen Ebene die Installation einer eigenständigen, starken Waldpolitik; auf der internationalen Ebene die explizite Einbindung der Doppelstrategie der Klimapolitik in die Umsetzung des Paris-Abkommens, die Fortentwicklung des UN-Forums für Wälder zu einer völkerrechtlich verbindlichen Wald-Konvention, die dem Schutz und der nachhaltigen Bewirtschaftung der vorhandenen Wälder, der Mehrung und dem Umbau der Wälder sowie dem fairen Vorteilsausgleich aus der Nutzung der Wälder gewidmet sein sollte.

pixabay.com | Hansprivat | Dr. Dr. h.c. Udo E. Simonis ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB
Quelle

Dr. Dr. h.c. Udo E. Simonis 2019 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

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