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EuGH-Urteil zu AKW Hinkley Point macht Milliardeninvestitionen möglich

"Energiepolitisches Mittelalter der Atomenergie" - "Fehlentwicklung in Europa" - "Modernisierung von EURATOM dringend notwendig

Veralteter EURATOM-Vertrag hält unwirtschaftliche Risikotechnologie am Leben

Luxembourg - Heute wurde durch den EuGH das endgültige Urteil über die Klage der Republik Österreich gegen wettbewerbsverzerrende Milliardensubventionen für das britische AKW-Projekt Hinkley Point gefällt. Initiiert durch eine Studie der JKU Linz, beauftragt vom damaligen Umwelt-Landesrat Rudi Anschober, erhob die Republik Österreich unter dem damaligen Bundeskanzler Faymann 2015 Klage gegen die mit knapper Mehrheit erfolgte Entscheidung der EU-Kommission über die Zulässigkeit der Subventionen. In der Genehmigung wurde den Betreibern ein indexgesicherter Abnahmepreis für Atomstrom von 92,5 Pfund pro Megawattstunde für 35 Jahre garantiert, wobei selbst der britische Rechnungshof kritisierte, dass dieser Preis weit über den gängigen Marktpreis liegt.

Gegen ein negatives erstinstanzliches Urteil des Europäischen Gerichts wurde 2018 berufen.
Nun liegt das ernüchternde Urteil des EuGH vor: das Gericht weist die Berufung Österreichs ab ermöglicht somit Staatshilfen für den AKW-Bau. Der Generalanwalt legt in den Schlussfolgerungen dar, dass der EURATOM-Vertrag die Entwicklung der Atomindustrie als klar definiertes Ziel des EU-Rechts festlegt. Der EURATOM-Vertrag aus dem Jahr 1957 ist der einzige Gründungsvertrag der EU, der in seiner Substanz völlig unverändert ist, obwohl die Mehrheit der Mitgliedsstaaten keine AKWs betreiben oder den Ausstieg beschlossen haben.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sagt: „Das nun vorliegende Urteil ist eine Fehlentwicklung in Europa, gegen die wir entschieden auftreten werden. Wenn der in weiten Teilen völlig veraltete EURATOM-Vertrag Beihilfen jedweder Art rechtfertigt, dann müssen wir mit aller Kraft auf eine Reform drängen. Das haben wir auch im Regierungsübereinkommen festgehalten. Klar ist, dafür brauchen wir viele Verbündete in der EU – in einem ersten Schritt werden wir an die deutsche Ratspräsidentschaft herantreten.“

Oberösterreichs Klimalandesrat Stefan Kaineder meint: „Die Zulässigkeit dieser Milliardensubventionen für die Atomkraft gehen nicht nur auf Kosten der Stromkonsument/innen, sondern sind ein enormer Schaden für den Klimaschutz. Zur Bewältigung der Klimakrise muss möglichst schnell und kosteneffizient CO2 eingespart werden und dabei kann die Atomkraft keinerlei Beitrag leisten. Sie ist zu teuer, zu langsam, zu gefährlich und verhindert den dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Privilegien-Vertrag EURATOM erhält die völlig unwirtschaftliche Atomkraft am Leben und ich werde mich gemeinsam mit der Bundesregierung für eine umfassende Reform einsetzen.“

Dass in der EU kein AKW-Neubau ohne immense Staatshilfen möglich ist und dieses angebliche „Marktversagen“ durch immer höhere Subventionen ausgeglichen werden muss, zeigt sich auch am Beispiel Tschechien: Nachdem die Ausschreibung für zwei neue AKW-Blöcke am Standort Temelin im Jahr 2014 zurückgezogen wurde, da die tschechische Regierung damals keine Staatshilfen leisten wollte, ist nun der Bau von zwei Druckwasserreaktoren mit einer Leistung von je 1.200 MW am Standort Dukovany geplant. Um die Finanzierung des ersten Reaktors abzusichern, unterzeichnete die tschechische Regierung Verträge zur garantierten Strom-Abnahme für mindestens 30 Jahre für einen noch nicht näher bestimmten Ankaufpreis. Zudem sollen nahezu zinsfreie Staatskredite in der Höhe von 70 Prozent der Baukosten zur Verfügung gestellt werden. „Diese staatlichen Beihilfen sind wettbewerbsverzerrend und bedürfen ebenso - wie im britischen Fall Hinkley Point - einer Genehmigung durch die EU-Kommission“, so Kaineder.

Euratom-Vertrag muss reformiert werden - Zukunftsweisende Energiegewinnung statt energiepolitisches Mittelalter der Atomenergie

Auch SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr und SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll zeigen sich bestürzt. Argumentiert wird die Zulässigkeit der Subvention damit, dass die EU-Kommission nachteilige Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bei staatlichen Beihilfen gar nicht zu prüfen habe.

Herr betont: "Dieses Urteil ist ein Rückschlag im Kampf um mehr erneuerbare, nachhaltige Energieformen und eine Absage an fortschrittliche Energie- und Umweltpolitik!"

Schroll kritisiert: "Es ist mir unbegreiflich, dass hier auf Kosten der SteuerzahlerInnen Fördermittel für derartig rückschrittliche Projekte verteilt und verwendet werden dürfen. Auf diese Weise katapultieren wir uns direkt ins energiepolitische Mittelalter."

Für Herr setzt dieses Urteil einen besorgniserregenden Präzedenzfall: "Dieses Urteil öffnet Tür und Tor für weitere Subventionen für gefährliche AKW - bei Zwischenfällen in diesen Kraftwerken wäre Österreich direkt und stark betroffen! Nach wie vor sind viele Fragen nicht beantwortet - von AKW-Unfällen bis hin zur Endlagerung von Atommüll und den damit verbundenen Kosten für die Gesellschaft. Trotzdem werden weiter Milliarden in den Bau und Betrieb dieser risikoreichen Energieform gesteckt."

Sie fordern nun eine Initiative aller Parteien für eine Reform des Euratom-Vertrages.

EURATOM-Vertrag schützt weiterhin gefährliche Atomenergie

„EURATOM ist ein völlig veralteter Vertrag aus dem Jahre 1957, der die Risiken von Atomenergie ignoriert. Ich plädiere für eine Modernisierung von EURATOM im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts. Atomenergie ist neben den billigen Erneuerbaren nicht mehr konkurrenzfähig und nur mehr durch milliardenschwere Staatsförderungen möglich.“ kommentiert Martin Litschauer, grüner Anti-Atom-Sprecher.

Das Urteil hatte sich schon in der Stellungnahme von Generalanwalt Hogan im Mai dieses Jahres abgezeichnet, die EURATOM als Lex specialis sieht, die nicht dem europäischen Beihilfen- und Wettbewerbsrecht unterliegt.

Litschauer weiter: „So wird etwas möglich, das für keine andere etablierte Energieform Europas gilt: staatliche Beihilfen für eine vollends unwirtschaftliche und gefährliche Energieform. Atomstrom ist bis zu fünf Mal so teuer wie Strom aus modernen Photovoltaik- oder Windanlagen, denn wir sprechen hier von Baukosten in Milliardenhöhe. Gleichzeitig schummeln sich Regierungen weiterhin um die wichtigste Frage: Wohin mit dem hochradioaktiven Atommüll für die nächsten Jahrtausende?“

Er sieht das Urteil als fatales Signal für andere Mitgliedsstaaten, wie z.B. Tschechien oder die Slowakei. Die Betreiber des Uraltreaktors Mochovce atmen sicher auf, slowakische Steuergelder dürfen weiterhin uneingeschränkt in ihr Hochrisiko-Projekt fließen. Auch der Ausbau von Paks 2 und der Ausbau im tschechischen Dukovany könnten dadurch vorangetrieben werden.

Nach einer Klage Österreichs gegen staatliche Förderungen am ungarischen AKW Paks 2 wurde das Verfahren ruhend gelegt. Die rechtliche Lage hat sich mit dem aktuellen Urteil zugunsten des Ausbaus verändert. In der ersten Hälfte 2021 soll zudem ein dritter Reaktor im slowakischen AKW Mochovce, 100 km von der österreichischen Grenze entfernt, in Betrieb gehen. Die ursprünglich einkalkulierten Baukosten haben sich mittlerweile mit voraussichtlich 5,7 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Neben zahlreichen schweren Baumängeln und einem Feuer im Turbinenbereich, geriet das AKW zuletzt aufgrund eines Korruptionsskandals in die internationalen Medien.

EuGH-Entscheidung führt gemeinsame europäische Zielsetzungen ad absurdum“

Der oö. FPÖ-Landesrat Manfred Haimbuchner meint, die Rechtsfindung in diesem Gremium sei mitunter wenig nachvollziehbar und die Verfolgung gemeinsamer europäischer Ziele im für Gesamteuropa so wichtigen Energiebereich müsse offenbar hinter der Förderung für wenig nachhaltige Partikularinteressen zurückstehen.

Haimbuchner betont, dass die Bedürfnisse einzelner europäischer Länder bei der Verteilung von Förderungen und Subventionen in allen Bereichen selbstverständlich Berücksichtigung finden müssten, jedoch dürften diese nicht gegen gemeinsame europäische Ziele in Fragen einer umfassenden europäischen Verteidigung stehen, zu denen er auch den strategisch wichtigen Energiesektor zählt. „Ich wünsche mir, dass wir in vitalen Fragen der europäischen Zukunft zwar intensive Debatten über die richtigen Wege führen, uns aber auf gemeinsame strategische Ziele verständigen können. Österreich hat den Weg einer atomkraftfreien und nachhaltigen Energieversorgung immer authentisch und konsequent vertreten und sollte das auch weiterhin tun.“


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /