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pixabay.com | Andrea-Bohl | Auerhahn

© pixabay.com | Andrea-Bohl | Auerhahn

Heimliche Vögel in wilder Natur in Not

Neben dem Klimawandel steht die Biodiversität inzwischen auf der Verlustliste – in der Welt als Ganzes, wie in Deutschland. Das gilt auch für die verschiedenen Raufußhuhn -Arten. Ein umfang- und bilderreiches Buch will darauf aufmerksam machen. Vorgestellt von Dr. Reinhard Piechocki

Dieses Buch soll naturliebende Leser:innen für die Schönheit und Besonderheit der heimischen Raufußhuhn-Arten begeistern. Diesem Anspruch wird das Werk in zweierlei Weise gerecht: Zum einen gehören die beiden Autoren zu den weltweit bekannten Raufußhuhn-Experten, zum anderen ist das Buch über die Maßen gut ausgestattet mit Fotografien, die einem beim Betrachten manches Mal schier den Atem nehmen. Zum Beispiel: zwei erregte Auerhähne im Revierstreit (S. 85), ein Birkhuhn in der Drehung des Flattersprungs (S. 128), ein Alpenschneehuhn-Paar im weißen Winterkleid im Schnee (S. 190).

Nach einem informativen Einführungskapitel „Faszination Raufußhühner – die ganze Familie in Blick“ folgen zehn individuelle Porträts: Auerhuhn, Steinauerhuhn, Birkhuhn, Kaukasusbirkhuhn, Haselhuhn, Chinahaselhuhn, Sichelhuhn, Alpenschneehuhn, Moorschneehuhn und Schottisches Moorschneehuhn. Mit diesen Porträts werden die Leser:innen auf eine Reise mitgenommen, die von den heimischen Regionen über den Kaukasus, das Amur-Gebiet, Sibirien bis in die Hochgebirge Chinas führen. Überall dort haben die Autoren die Raufußhühner beobachtet und ihr Verhalten erforscht. Ein besonderer Reiz dieser Porträts liegt im Vergleich der heimischen Arten mit den nahe verwandten Geschwisterarten, die in China, im Kaukasus und in Sibirien leben. Weil der naturbegeisterte „Normalbürger“ kaum noch Gelegenheit hat, in der freien Natur diese herrlichen Tiere zu beobachten, wird das Buch zum genussvollen Ersatz. Nach der Lektüre wissen die Leser:innen nicht nur viel Ungewöhnliches über das Balz- und Fressverhalten, über die Evolution und die Lebensweisen dieser scheuen Vögel, sie bekommen auch eine Ahnung davon, was uns im Laufe der Zeit an wilder Natur verloren gegangen ist.

Das Buch ist also sehr beeindruckend, es löst aber auch große Trauer aus: Zu Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Europa noch Millionen von Raufußhühnern; heute sind Auerhühner, Birkhühner und Haselhühner nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Mittel- und Nordeuropa eine Seltenheit geworden. Auerhuhn und Birkhuhn sind in Deutschland inzwischen vom Aussterben bedroht, das Haselhuhn ist stark gefährdet.

Wie dramatisch dieser Rückgang gewesen ist, offenbart die Sächsisch-Böhmische Schweiz. Einst lebten dort alle diese drei Raufußhühner, wie die makabren Abschusslisten der früheren sächsischen Könige belegen. Neben der Jagd war vor allem die forstliche Umstellung der Wälder von großflächig laubholzreichen Mischwäldern hin zu monotonen Fichtenforsten Ursache dieser Verluste. Damit verschwanden all die mannigfaltigen Strukturen, wie Windwürfe oder Brandflächen, und die Weichlaubhölzer wie Espe, Birke und Eberesche, die für die Ernährung der Raufußhühner essentiell sind.

Der Rückgang der Haselhühner begann infolge der forstlichen Umstellung der Wälder vergleichbar früh – und zwangsläufig folgte das Aussterben. Das Auerhuhn verschwand im Basteigebiet in den 1930er Jahren und um 1960 starb in der hinteren Sächsischen Schweiz die letzte Population von über 30 Vögeln aus. Ursachen waren hier neben der forstlichen Umstrukturierung der Wälder vor allem auch die touristische Entwicklung und die Zunahme des Klettersports.

Mit dem 1990 gegründeten „Nationalpark Sächsische Schweiz“ und dem „Böhmischen Nationalpark“ eröffnete sich dann die Chance, durch Wiederansiedlung dieser Raufußhuhn-Arten einer Landschaft ihr ursprüngliches Gepräge zurückzugeben. Wie ungemein schwierig aber eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist, offenbarten die elf Auerhuhn-Aussiedlungsprojekte (unter anderem im Ebbegebirge, im Harz, Odenwald, Rhön, Sauerland), bei denen seit 1950 mehr als 5.400 Individuen freigelassen wurden. Nahezu alle diese Projekte schlugen aber fehl. In menschlicher Obhut aufgezogene Auerhühner erwiesen sich für diese Initiative als eher ungeeignet. Mangelnde Reaktion auf Feinde, gestörte Nahrungsverwertung und Abnormalitäten im Verhalten sind einige der Ursachen. Doch in Thüringen und der Niederlausitz Brandenburgs darf man noch auf Erfolg hoffen.

Das wichtigste Ziel der Autoren ist es, möglichst viele Leser:innen zu erreichen und für „Auerhühner & Co.“ (so der Buchtitel) zu begeistern. Der gut lesbare Text und die exzellente Bebilderung werden dieses Vorhaben ganz sicherlich befördern. Eine Anregung scheint aber dennoch angebracht zu sein: Man möge doch die ungemein reichhaltige Kulturgeschichte der Raufußhühner mit einbeziehen.

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Seit mehr als drei Jahrhunderten ist der Auerhahn aufs engste verbunden mit der Gaststättenkultur. Im Jahr 1746 öffnete die berühmt gewordene Gaststätte „Zum Auerhahn“ in Wernigerode. Bereits davor, vor allem aber danach gab es ungezählte gleichnamige Gaststätten. Und überall wurden Schnäpse gebraut, benannt nach den beliebten Raufußhühnern. Noch weiter zurück reicht die Malergeschichte, die in den vergangenen 500 Jahren zu vielen wunderbaren Porträts von Raufußhühnern führte. Ebenso vielfältig die Porzellane, Zinkgefäße, Ofenkacheln, Gläser, Intarsien, Tapeten usw. Hinzu kommen die Märchen und die Liedkunst. Und dann die Jagdgeschichte und die vielen Jagdgeschichten…

Diese Beispiele zeigen, wie tief die wilden Hühner im öffentlichen Bewusstsein verankert waren und weiterhin sind. So wäre es nicht nur bereichernd sondern auch zweckdienlich, wenn die Autoren bei der bald zu erwartenden Neuauflage solch ein Kapitel integrieren würden. Man könnte zusätzlich aber auch ein ganzes Buch über die Kulturgeschichte vom Auerhuhn & Co. verfassen.

Quelle

Reinhard Piechocki, Biologe; bis 2014 Mitarbeiter der Internationalen Naturschutzakademie Insel Vilm des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).

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