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EU-Nachhaltigkeitslabel: Konservative und Liberale wollen Greenwashing von Atomkraft

Spätestens seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima vor 10 Jahren ist klar: Atomkraft ist keine Zukunftstechnologie. Der Atomstrom von heute ist der radioaktive Müll von morgen.

Die Pannengeschichte bei der deutschen Endlagersuche macht deutlich, welche Bürde dies für künftige Generationen bedeutet. Angesichts des ungelösten Atommüllproblems und der Gefahr von fatalen Unfällen ist eigentlich klar: Die Gewinnung von Strom aus Atomkraft ist nicht nachhaltig.

Doch Europas Konservative und Liberale wollen das nicht wahrhaben. Im Gegenteil: Wenn es nach Ihnen geht, soll der EU-Standard für nachhaltige Investitionen (die sogenannte EU-Taxonomie) künftig auch Investition in Kernkraftanlagen umfassen. Damit bekämen Investitionen in Atomkraft ein Nachhaltigkeitslabel, ähnlich wie der Bau von Windrädern und Solaranlagen. Genau das haben gerade 87 Europaparlamentarierinnen und Europaparlamentarier der Christdemokraten, der Liberalen, der Rechtskonservativen und der Rechtsradikalen in einem gemeinsamen Brief an die Kommission gefordert. Zu den Unterzeichnern gehört auch CDU-Mann Sven Simon.

Die Europaparlamentarierinnen und Europaparlamentarier berufen sich dabei auf drei Gutachten zur Nachhaltigkeit von Atomkraft, die vor kurzem im Auftrag der EU-Kommission fertiggestellt wurden. Konkret ging es dabei um die Frage, ob Atomkraft dem sogenannten “do no significant harm”-Prinzip genügt, also ob eine signifikante Beeinträchtigung der Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union durch Kernkraft ausgeschlossen werden kann. Das erste große Gutachten wurde im April vom Joint Research Centre der EU-Kommission vorgestellt. Dieses kommt zu dem Schluss, dass Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden kann.

Allerdings wurde schnell Kritik an der Methodik des Gutachtens laut. Einerseits verlassen sich die Expert*innen auf neue Endlagertechniken, die bisher in der Praxis nicht erprobt sind. Zum anderen ignorieren sie die Risiken durch Kraftwerksunfälle komplett. Als Begründung verweisen sie darauf, dass Extremereignisse bei der Bewertung anderer Formen der Energieerzeugung, etwa durch Windkraft, ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Das JRC blendet damit groteskerweise völlig aus, dass es sich bei Atomkraft um eine Hochrisikotechnologie handelt. Was zunächst kurios klingt, wird nachvollziehbarer, wenn man die Geschichte des JRCs kennt. In den 1950er Jahren im Rahmen der Euratom-Verträge gegründet, sollte es zunächst “Plutonium-Institut” heißen. Auch wenn es heute einen breiteren Forschungsansatz verfolgt, gilt es weiterhin als atomkraftfreundlich. Ein Stück weit hatte hier die Kommission den Bock zum Gärtner gemacht.

Vergangene Woche hatten dann die beiden anderen Expertengruppen ihre Einschätzungen vorgelegt. Von der einen, der Expertengruppe gemäß Artikel 31 des Euratom-Vertrags, war ebenfalls keine kritische Haltung zu erwarten. Das bei der EU-Kommission angesiedelte Scientific Committee on Health, Environmental and Emerging Risks (SCHEER) jedoch fand klare Worte. Die Expert*innen kamen zu dem Urteil, dass das Gutachten des JRC in Teilen vereinfachend und unvollständig ist. Insbesondere seien die Auswirkungen auf Ökosysteme nicht ausreichend bewertet worden. Außerdem seien die potentiellen Auswirkungen der Atomkraftnutzung oftmals nur vergleichend mit anderen Energiequellen und nicht – wie von der Taxonomie-Regulierung eigentlich gefordert – eigenständig bewertet worden.

Die EU-Kommission sollte ihre Pläne für ein Nachhaltigkeitslabel für Atomkraft schleunigst beerdigen. Konservative und Liberale berufen sich auf wissenschaftliche Evidenz, doch im Kern ist Atomkraft für sie eine Glaubensfrage. Die Verfasser*innen des Briefs stellen sich gegen die Mehrheit des Europaparlaments, das 2020 für die strengen Vorgaben der Taxonomie im Hinblick auf Müll und Entsorgung gestimmt hat. Die Gutachten der Kommission geben angesichts der methodischen Schwächen beim JRC und aufgrund des Urteils von SCHEER keine Nachhaltigskeitseinstufung von Atomkraft her.

Ein Nachhaltigkeitslabel für Atomkraft wäre auch Anlegerinnen und Anlegern schwer zu vermitteln. Damit steht die Glaubwürdigkeit von nachhaltigen Anlagen ganz grundsätzlich auf dem Spiel. Wenn die EU-Kommission im Herbst ihre neuen Vorschläge zur Taxonomie macht, hat Atomkraft darin nichts verloren. Bereits im April hatte ich das in einem offenen Brief zusammen mit über 250 Expert*innen aus der Sustainable-Finance-Branche von der Kommission gefordert. Wir Grüne werden uns auf der europäischen Ebene weiter mit voller Kraft gegen ein Greenwashing von Atomkraft einsetzen.

Quelle

Sven Giegold, MdEP 2021

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