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pixabay.com |Markus Distelrath

© pixabay.com |Markus Distelrath

Atomkraftwerke von Hochwasser bedroht, endgültige Abschaltung gefordert

Das Umweltinstitut München hat im Zuge des verheerenden Hochwassers der letzten Tage eine Abschaltung gefährdeter Atomreaktoren in Europa gefordert. Durch die fortschreitende Klimakrise steigt das Risiko beim Betrieb von Kernkraftwerken weiter an.

Die Situation um das Hochwasser im Westen Deutschlands und den angrenzenden Ländern infolge schwerer Regenfälle ist verheerend. Die Pegelstände der Flüsse waren durch die Wassermassen schnell angestiegen. Menschen verloren ihre Existenz oder ihr Leben, Hab und Gut ist vernichtet worden.

Auch Atomkraftwerke sind vom Hochwasser betroffen – und stellen ein weiteres hohes Risiko für Umwelt, Leib und Leben dar. Seit langer Zeit warnen Experten, dass einige AKW-Standorte durch die Auswirkungen des Klimawandels „langfristig in Schwierigkeiten geraten“ könnten.

Atomkraftwerke beziehen enorme Mengen an benötigtem Kühlwasser häufig aus angrenzenden Flüssen. Wenn die Temperatur der Flüsse mit anhaltenden Hitzeperioden steigt, wird das problematisch – denn das Wasser ist dann zur Kühlung zu warm. In Frankreich passiert das immer häufiger, bis dahin, dass Atomreaktoren teilweise heruntergefahren werden, und dann Strom aus dem Nachbarland importiert werden muss.

Wenn es zu Extrem-Regenfällen kommt, Flüsse massiv über die Ufer treten und AKW-Gelände überfluten, kann das fatale Folgen haben. Es kann zum Ausfall elektrischer Systeme kommen, ein hochwasserbedingter Stromausfall könnte im Ernstfall zum gefürchteten Station Blackout führen, warnt die Atomaufsicht.

Und selbst abgeschaltete Reaktoren sind für die Kühlung weiterhin auf elektrische Versorgung angewiesen. Zudem würde im Störfall der Zugang durch Rettungskräfte durch das Hochwasser stark behindert oder gar unmöglich.

Marode Meiler werden zum Hochsicherheitsrisiko

Die Gefahr zeigte sich in der aktuellen Hochwassersituation beim belgischen Atomkraftwerk Tihange, das über den Fluss Maas gekühlt wird. Hier schlugen Beobachter Alarm. Die Lage im belgischen Tihange sei nun „stabil“, die Atomaufsicht sprach aber von „erhöhter Wachsamkeit“. Die belgischen AKW Tihange und Doel sind ohnehin bereits seit Jahren in den Schlagzeilen, in Block 2 wurden wiederholt Risse im Reaktorbehälter gefunden, Anwohner schlugen Alarm und forderten die Abschaltung.

Auch das AKW Doel sei unzureichend gegen extreme Regenfälle geschützt: In der Vergangenheit hatte das Drainagesystem bereits versagt, worauf das Umweltinstitut München im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zur Laufzeitverlängerung der AKW Doel 1 & 2 erst vor kurzem hinwies.

Nachbesserungen nach Fukushima nicht ausreichend

Der GAU im AKW Fukushima 2011 in Japan sorgte unter anderem dafür, dass der Hochwasserschutz zahlreicher europäischen Atomkraftwerke nachgebessert werden musste. Das reiche jedoch für zukünftig erwartbare Hochwasser ebenfalls nicht aus, warnen Experten.

Ganz Europa ist von dem Problem betroffen

Auch in Deutschland ist der Hochwasserschutz an vielen Atomkraftwerken unzureichend, berichtet das Umweltinstitut München: „Insbesondere das AKW Grohnde wäre bereits beim Erreichen des Bemessungshochwassers um 80 cm überflutet, beim AKW Gundremmingen beträgt der Spielraum zwischen dem angesetzten Bemessungshochwasser und der Anlagenauslegung nur 8 cm. Diese Sicherheitsreserve ist unzureichend, da davon auszugehen ist, dass auch hierzulande historische Hochwasser infolge des Klimawandels noch deutlich überschritten werden können.“

Komplexe Risiken infolge der Klimakrise

In den letzten Jahrzehnten hat sich die durch Überschwemmung verursachte Bedrohung an vielen AKW-Standorten erhöht, so das Fazit des Reports Risiken von Laufzeitverlängerungen alter Atomkraftwerke (inrag.org) der International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG) vom April 2021. Ereignisse mit Überschwemmung hätten demnach gezeigt, dass Wasserstände – auch unterhalb des theoretisch vorhandenen Niveaus des Hochwasserschutzes – Sicherheitseinrichtungen beschädigt haben. Als Grund dafür nennt INRAG etwa falsche Berechnungen des Wasserwiderstands von Türen oder korrodierte Versiegelung bei Kabeldurchdringungen. Überflutungsereignisse bergen laut Bericht zudem die Gefahr, Sicherheitssysteme gleichzeitig funktionsunfähig zu machen.

Der INRAG-Bericht benennt die Einflussfaktoren durch den menschenverursachten Klimawandel:

Die Effizienz von Atomkraftwerken geht demnach mit steigender Temperatur zurück, da Anzahl und Dauer von Ausfällen mangels Kühlwassers zunehmen können. An Küsten gelegene AKWs wären durch einen Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Die Häufigkeit wetter- und klimabedingter Extremereignisse sowie deren Intensität ändern sich zusehends – das bringt neue Sicherheitsanforderungen mit sich.

Folgen der Klimakrise immer noch unterschätzt

Auch die Schweiz sollte die Gefahrenlage für ihre Atomkraftwerke AKW Beznau und Gösgen ernst nehmen. Hier bestehe bei Extremhochwasser die Gefahr der Erosion, da die Kraftwerke auf Sand und Kies gebaut sind.

Die Hochwasserstudie der Schweizer Energie-Stiftung (energiestiftung.ch) zur Gefährdungsbeurteilung an Aare und Rhein vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) warnt, dass im Falle eines Extremhochwassers vor allem eine große Gefahr durch Verstopfungen von Wehren und Brücken rund um die Atomreaktoren bestünde. Das Bundesamt für Umwelt räumte ein, dass Langzeitbeobachtungen allein nicht mehr ausreichten für ein „vertieftes Verständnis des Zusammenhangs zwischen Klimaänderung und Extremereignissen.“

Die Klimakrise verschärft das nukleare Risiko weiter

Angesichts dieser Erkenntnisse und realer Risiken warnt Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität am Umweltinstitut München: „Unerwartet starke Hochwasser könnten zu einem zweiten Fukushima in Europa führen.“ Die Klimakrise verschärfe das nukleare Risiko weiter. „Wir fordern, die hochwassergefährdeten Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen und verstärkt in ein erneuerbares Energiesystem zu investieren, welches sowohl die Folgen der Klimakrise abmildert als auch sicher zu betreiben ist.“

Kein laufendes AKW in Europa ist ausreichend sicher

Der GAU in Tschernobyl und Fukushima habe jeweils gezeigt, dass die Kernkraftwerke nicht so sicher sind, wie gefordert und angenommen worden war. Das bedeute im Umkehrschluss, dass das Risiko der Altanlagen zum Zeitpunkt ihrer Genehmigung unterschätzt wurde.

Die Alterung von Kernkraftwerken berge ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Unfälle und radioaktive Freisetzungen, heißt es im INRAG-Bericht. Dieses werde durch den Weiterbetrieb von Altanlagen infolge von Laufzeitverlängerungen und Leistungserhöhungen nochmals erheblich erhöht. Daran könnten auch Nachrüstungen wenig ändern.

Die Altersstruktur der in Europa betriebenen Kernkraftwerke zeige, dass sich sehr viele Anlagen bereits der Grenze der ursprünglichen technischen Auslegung nähern oder diese bereits überschritten haben. Alle realisierten europäischen Kraftwerkskonzepte sind laut Studie sicherheitstechnisch veraltet. Doch die meisten alten Meiler in ganz Europa sollen weiterhin betrieben werden. Die Einhaltung heutiger Sicherheitsstandards würde praktisch einen kompletten Neubau eines Kernkraftwerks bedingen, mahnen die Studienautoren. Kein Mitgliedstaat der EU könnte einem derzeit betriebenen Kernkraftwerk eine neue Baugenehmigung erteilen.

Mangelnde Transparenz erhöht die Gefahr

Die Aussage, ein altes Kernkraftwerk sei sicher, ist nach Ansicht der Studienautoren wertlos und „nicht nachvollziehbar, wenn nicht zugleich die verbleibenden Risiken erkannt sind und darüber transparent informiert wird.“ Nukleare Risiken blieben für die Betroffenen im Dunklen, weil darüber nicht ausreichend und in einem verständlichen Maß informiert werde, so die Kritik. Eine Verpflichtung der Betreiber und der Behörden darüber bestehe nicht.

Während ein Neubau von Kraftwerken heute zwingend mit internationaler Beteiligung in Bezug auf mögliche Umweltfolgen einhergeht, wurde die Entscheidung über den Weiterbetrieb von Altanlagen bisher von den Nationalstaaten getroffen, berichten die INRAG-Studienautoren. Dabei enden die Unfallrisiken und somit die Umweltfolgen ja nicht an nationalen Grenzen. Es gebe keine unabhängig internationale Überprüfungsinstanz und keine international verbindlichen Regeln zur Umsetzung von Sicherheitsanforderungen an Altanlagen.

Der Weg in die Energiezukunft ist der schnelle und entschlossene Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die alten Energien – ob nuklear oder fossil – haben keine Zukunft mehr und gefährden Mensch und Umwelt in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (na) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 30 / 2021 | „Power for Future – Die Zukunft der Energieerzeugung“ |  Jetzt lesen | Download

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