Strommarktexperten: Bedarf von 17 GW an neuen Gaskraftwerken bis 2030

Zu sehen ist ein gigantisches Kohlekraftwerk. Strommarktexperten erwarten, dass der Kohleausstieg durch neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke kompensiert wird.Foto: Ana Gram / stock.adobe.com
Die Ampel will den Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 umsetzen.
Die Strommarktexperten der Unternehmensberatung Enervis erwarten, dass der Kohleausstieg nicht nur durch erneuerbare Energien sondern auch durch neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke kompensiert wird.

SPD, Grüne und FDP haben Ende November den Koalitionsvertrag unterzeichnet. Zu den wesentlichen Schwerpunkten des neuen Regierungsbündnisses zählt, neben der Gesundheitspolitik, die Klima- und Energiepolitik. Neben einem drastisch beschleunigten und ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien sind Entscheidungen zu einem CO2-Mindestpreis von 60 €/t angekündigt. Das Ende des fossilen Zeitalters mit einem Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 und einem Ende des Verbrennungsmotors bis 2035 wird eingeläutet. Die Elektrifizierung bzw. Dekarbonisierung des Wärme- und Verkehrssektors steht im Fokus. Dies geht zwangsläufig mit einer deutlichen Steigerung der Stromnachfrage einher, so die Strommarktexperten von Enervis. Um die notwendigen Maßnahmen entsprechend anzuschieben, soll bereits im kommenden Jahr ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg gebracht werden. Für den finanziellen Rahmen werden noch im Dezember 2021 im Bundestag die Weichen gestellt.

Insbesondere sollen die neuen, sehr ambitionierten Ausbauziele Wind (Offshore 30 GW, Onshore 100 GW) und PV (200 GW) für 2030 „unter Beseitigung aller Hemmnisse“ erreicht werden. 80 Prozent des Bruttostrombedarfs in 2030 (680 bis 750 TWh) werden dann aus erneuerbaren Energie gedeckt. Um dies zu realisieren, müssten rein rechnerisch in den kommenden neun Jahren jedes Jahr kontinuierlich absolute Höchststände in den Zubaukapazitäten der einzelnen Technologien erreicht werden (PV 16 GW/Jahr; Onshore 5 GW/Jahr).

In 2030 ist das Ziel, dass mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw in Deutschland zugelassen sind. Allein dafür müsste deren Anteil an den jährlichen Neuzulassungen etwa 85 Prozent betragen. Daneben wird Wasserstoff eine zunehmend prominente Rolle in Mobilität, Industrie und Verstromung spielen. Die Wasserstoffproduktion soll in 2030 aus etwa 10 GW Elektrolyseurkapazität kommen. Nicht zuletzt wird ein neues Strommarktdesign erarbeitet und die Finanzarchitektur des Energiesystems soll dementsprechend zügig und umfassend reformiert werden.

Deutschland wird im Jahressaldo zum Stromimporteur

Basierend auf aktuellen Einschätzungen zur Strommarktentwicklung und in Anlehnung an die im Koalitionsvertrag skizzierten energiewirtschaftlichen Zielwerte 2030, haben die Energieökonomen der Unternehmensberatung Enervis Energy Advisors GmbH die Strompreis- und Strommarktentwicklung am deutschen Großhandelsmarkt bis 2030 prognostiziert und analysiert.

„Unsere Strommarktmodellierungen zeigen, dass die energiewirtschaftlichen Zielpfade des Koalitionsvertrages zu einer deutlichen Minderung der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung bis 2030 führen. Der Kohlendioxidausstoß des Kraftwerksparks reduziert sich deutlich auf unter 100 Mio. t CO2 in 2030 und liegt damit in Reichweite des sektoralen Zielwertes des Klimaschutzgesetzes“, sagt Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarktexperte der Enervis.

Gleichzeitig steigt allerdings die Bruttostromnachfrage bis 2030 auf 720 TWh und Deutschland wird im Jahressaldo zum Stromimporteur. Die voranschreitende Dekarbonisierung und Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors sowie der Industrie und der Markthochlauf von Wasserstoff resultieren in neuen Herausforderungen. Ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien, der signifikant und dauerhaft über den Zuwächsen der vergangenen Jahre liegen muss, ist notwendig. Im PV-Segment lassen die resultierenden Marktwerte einen Zubau auch außerhalb einer Förderung, insbesondere ab Mitte der 2020er Jahre, realistisch erscheinen.

Strommarktexperten erwarten Zubau von Gaskraftwerken

Zudem brechen für Gaskraftwerke neue Zeiten an und ein Kapazitätszubau rückt bereits deutlich vor 2030 ins Blickfeld. Die skizzierten Annahmen führen im Ergebnis der Modellierung bis 2030 zu einem Bedarf von etwa 17 GW an neuen Gaskraftwerken.

„Die vielzitierte Brückentechnologie Gas wird in diesem Umfeld eine Renaissance erleben. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und damit letztendlich den Kohleausstieg zu ermöglichen, müssen wir nicht nur über den Kohleausstieg sprechen, sondern auch über den Einstieg von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, KWK und Speichern. Hier werden zeitnah vernünftige Anreize und dann auch Investitionen benötigt“, so Mirko Schlossarczyk.

Daneben zeigen die Ergebnisse der Szenariomodellierung der Enervis Strommarktexperten, dass eine Stillsetzung von Kohlekraftwerken bis 2030 bei gleichzeitig signifikant steigender Stromnachfrage die Diskussionen um die Versorgungssicherheit und das Strommarktdesign weiter befeuern dürfte. Das derzeitige Strommarktdesign auch in Zukunft unterstellt, steigt der Bedarf an Nachfrageflexibilitäten, Stromspeichern und Power-to-X-Technologien. Daher ist die im Koalitionsvertrag angelegte Diskussionsgrundlage eines neuen Strommarktdesigns in diesem Kontext laut den Strommarktexperten zwangsläufig und notwendig.

Der Branchenverband der erneuerbaren Energien BEE hat jüngst eine Studie zum neuen Strommarktdesign vorgestellt.

14.12.2021 | Quelle: Enervis Energy Advisors | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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