Reaktionen auf die EU-Taxonomie: Ökoverbände sauer, BDEW erfreut

Geldscheine, blau eingefärbt, im Hintergrund, im Vordergrundes europäische SterneFoto: bluedesign / stock.adobe.com
Die Europäische Kommission hat die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten beschlossen. Massive Kritik kommt von Umweltverbänden und der Ökoenergie-Branche. Der BDEW freut sich dagegen über Erleichterungen beim Erdgas.

Der so genannte „ergänzende delegierte Rechtsakt“ sieht vor, Investitionen in Atomkraft- und Erdgasaktivitäten als nachhaltig einzustufen. Damit könnten diese von Finanzierungsvorteilen profitieren. Die Kritik von einigen Mitgliedsstaaten, Umweltorganisationen und auch der Plattform für nachhaltige Finanzen hat bei der EU also nicht gefruchtet – entsprechend verärgert fallen deren Reaktionen aus. Mit der Plattform für nachhaltige Finanzien ignoriert die EU zudem ihr selbst für die Taxonomie geschaffenes Beratergremium.

Die Taxonomie geht nun sogar noch über den ursprünglichen Entwurf hinaus und lockert Auflagen für fossile Gaskraftwerke. Diese müssen ihre Treibhausgasemissionen nun nicht – wie zunächst vorgesehen – von Anfang an um 55 Prozent senken. Stattdessen gilt diese Kalkulation für die Lebensdauer des Kraftwerks. Das ist sozusagen ein ungedeckter Scheck.

EU-Parlament und Europäischer Rat haben nun vier Monate Zeit, die Taxonomie zu prüfen und gegebenenfalls Einwände zu erheben. Eine Verlängerung dieser Frist um weitere zwei Monate ist möglich. Im Rat ist für eine Ablehnung eine Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedsstaaten nötig, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Das Europäische Parlament kann die Taxonomie mit einer Mehrheit von mindestens 353 der aktuell 705 Abgeordneten ablehnen.

Grüne Bundesminister:innen für Klima und Umwelt kritisieren Taxonomie in Pressemitteilung

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck sowie Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (beide Grüne) kritisierten die Entscheidung. Die Taxonomie sei dafür da, die Nachhaltigkeit einer Wirtschaftsaktivität zu beurteilen – unabhängig von Fragen der Energiesicherheit und nationaler Energiepolitik. „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten“, sagt Habeck. „Wie eine Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten lehnt die Bundesregierung die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie klar ab“, ergänzt Lemke. Die Stellungname der Bundesregierung https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/bundesregierung_stellungnahme_taxonomie_bf.pdf zeigt allerdings, dass die Ablehnung beim Erdgas nicht so klar ausfiel. Dabei forderte die Bundesregierung lediglich strengere Auflagen.

Lemke sieht durch die Entscheidung auch die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der Taxonomie als Ganzes beschädigt. Die Bundesregierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschuss der EU- Kommission umgehe.

Umweltverbände und Ökoenergie-Branche: Rat und EU-Parlament sollen Taxonomie ablehnen

Der Bundesverband Erneuerbare Energien kritisiert, Atomkraft und Erdgaskraftwerke würden Jahr für Jahr mehr Geld für die atomare Endlagerung oder Klimafolgeschäden kosten.

Zuletzt hätten sie zudem die Energiekosten stark angetrieben. Wenn die letzten Wochen eines gezeigt hätten, dann die Preisgünstigkeit Erneuerbarer Energien gegenüber fossilen und atomaren Energiequellen. Zudem würden die Erneuerbaren die Importabhängigkeit Deutschlands mindern. Nun sei das EU-Parlament gefordert, gegen diesen Taxonomie-Vorschlag eine Mehrheit zu organisieren und die EU-Kommission zurück auf den Pfad des „Green New Deal“ zu bringen. , sagt die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie e.V. (BEE), Simone Peter.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sagte, durch die Taxonomie werde das ganze Finanzlabel entwertet. Bereits geltende Standards für grüne Finanzprodukte schlössen diese beiden umweltschädlichen Technologien klar aus. Die Ampel-Koalition habe sich in besonders unrühmlicher Weise dafür eingesetzt, das Greenwashing von Gas-Kraftwerken noch zu erleichtern. Selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig sei, mache dies einen fossilen Energieträger nicht zu einer grünen Technologie. Sofern der Rat der EU den Rechtsakt durchwinke, müsse das Europäische Parlament ihn im Plenum ablehnen und die Kommission zur Neuauflage auffordern. Innerhalb des Parlaments wirbt die Grünen/EFA-Fraktion bereits für eine Ablehnung der Taxonomie, wie die Abgeordneten Jutta Paulus und Michael Bloss in einer Pressemitteilung deutlich machen.

Notfalls müsse die Bundesregierung sich der Klage von Österreich und Luxemburg gegen die Taxonomie anschließen, so die DUH. Müller-Kraenner verweist auch auf ein Rechtsgutachten der DUH, das in dem aktuellen Beschluss einen Verstoß gegen die Taxonomie-Verordnung sieht. LINK

Auch der Ökoenergie-Anbieter Naturstrom appelliert an das EU-Parlament und den Rat, die Taxonomie abzulehnen. Auch aus systemischer Sicht könne insbesondere die Atomkraft wegen ihrer mangelnden Flexibilität keine Brückentechnologie sein. Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender Naturstrom betont, die Taxonomie werde auch staatliche Investitionsentscheidungen und Subventionen im Sinne der Atomkraft beeinflussen – „wenn nicht in Deutschland, so doch in unseren Nachbarstaaten“, so Banning.

Lorenz Gösta Beutin aus dem Parteivorstand der Linken sieht die Bundesregierung wegen ihrer unklaren Haltung in der Mitverantwortung. Sie bezeichnet die Entscheidung der EU zudem als „bitter, aber in gewissem Sinne logisch“. Immerhin habe die EU 2020 auch Wasserstoff aus Atomkraft und aus Erdgas mit CCS als nachhaltig und sicher eingestuft

BDEW freut sich über Lockerungen beim Erdgas, lehnt Atomenergie aber ab

Erfreut über die gesenkten Anforderungen der Taxonomie bei Erdgas-Kraftwerken zeigt sich dagegen der Bundesverband der Energie- und Wasserswirtschaft. Damit habe die EU-Kommission zwei seiner zentralen Forderungen erfüllt.

Indem die EU die Treibhausgasminderung von Gaskraftwerken von 55 % nun über die Lebensdauer bilanziere, komme sie einer zentralen Forderung des BDEW nach. Um von Anfang an die Emissionen so stark zu senken, brauche man große Mengen erneuerbarer oder dekarbonisierter Gase, die aber in absehbarer Zeit noch gar nicht zur Verfügung stünden. Zudem habe die EU-Kommission die „unrealistischen“ Wasserstoffanteile in den Jahren 2026 und 2030 gesenkt. Die Anforderungen – insbesondere der vollständige Fuel Switch bis zum 1.1. 2036 – seien jedoch weiterhin sehr ambitioniert.

Die Aufnahme der Kernkraft sieht aber auch der BDEW als Fehler. Die Technologie ist riskant, teuer und für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien zu unflexibel. „Für die Energiewirtschaft in Deutschland ist klar: Der deutsche Ausstieg aus der Atomkraft ist endgültig“, Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

03.02.2022 | Quelle: BMWK, BEE, DUH, Linke, Greens/EFA, Naturstrom, BDEW | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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