© Martin Hörmandinger Oesterreichs Energie / Oesterreichs Energie Trendforum: Wie schaffen wir gemeinsam den Erneuerbaren-Ausbau?
© Martin Hörmandinger Oesterreichs Energie / Oesterreichs Energie Trendforum: Wie schaffen wir gemeinsam den Erneuerbaren-Ausbau?

Erneuerbaren-Ausbau: Schulterschluss und Teilhabe als Schlüssel zum Erfolg

Der Erneuerbaren-Ausbau könne nur zu einer österreichischen Erfolgsgeschichte werden, wenn Politik, Wirtschaft und Bevölkerung an einem Strang ziehen - und das in dieselbe Richtung

Das sagte Michael Strugl im Rahmen von Oesterreichs Energie Trendforum im Belvedere 21. Neben schleppenden Verfahren bremsen derzeit vor allem fehlende Flächen für Erneuerbaren-Projekte den Ausbau. Die Branche ist dennoch zuversichtlich: "Wenn wir schneller werden, haben wir gute Chancen", sagt Strugl.

Die Unternehmen der österreichischen Elektrizitätswirtschaft wollen in Kraftwerke, Speicher und Netze investieren um so die Energiewende voranzutreiben. Voraussetzung dafür seien geeignete Rahmenbedingungen, insbesondere die Verfügbarkeit von Flächen und zügige Genehmigungsverfahren. Das bekräftigte Oesterreichs Energie Präsident Michael Strugl im Rahmen eines Oesterreichs Energie "Trendforums" am 29. Juni im Belvedere 21. Die Veranstaltung widmete sich den Möglichkeiten und Hürden des Erneuerbaren-Ausbaus in Österreich.

Zustimmung zu Erneuerbaren wächst

Oesterreichs Energie Generalsekretärin Barbara Schmidt betonte den wachsenden Rückenwind für den Erneuerbaren-Ausbau in Österreich: "Unserer Marktforschung zeigt, dass der Rückhalt für Erneuerbare in der Bevölkerung noch nie stärker war als jetzt. Im vergangenen Jahr haben alle Erzeugungstechnologien an Zustimmung gewonnen, jedem zweiten Österreicher geht der Ausbau zu langsam. Es ist an der Zeit, dass wir jetzt ins Umsetzen kommen."

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen, um in entsprechende Projekte zu investieren, seien gut, betonte Strugl: "Wir müssen nur dürfen." In diesem Zusammenhang begrüßte Strugl die Pläne der EU-Kommission eigene Flächen für den schnellen Ausbau von Energie-Infrastrukturen ausweisen zu lassen. Bei Projekten, die auf diesen Flächen errichtet werden, sollen Genehmigungen binnen eines Jahres erfolgen. "Wenn wir das in Österreich auch nur annähernd schaffen, ist es möglich, die Ökostromerzeugung bis 2030 um 27 Terawattstunden zu steigern, wie es das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz vorsieht", so Strugl.

Flächen und Verfahren sind wichtigste Hürden

Das Problem: "Zurzeit dauert ein Genehmigungsverfahren für ein Windrad im Durchschnitt acht Jahre, für Stromleitungen sind bis zu 20 Jahre zu veranschlagen: In diesem Tempo werden wir das 2030-Ziel nicht erreichen. Wenn wir dagegen schneller werden, haben wir gute Chancen."

Beim Beitrag zur Zielerreichung sieht Strugl alle Gebietskörperschaften in der Pflicht - vom Bund über die Länder bis hin zu den Gemeinden. Notwendig sei allerdings, dass alle "an einem Strang - und in dieselbe Richtung" ziehen und mit den Unternehmen der E-Wirtschaft zusammenarbeiten würden. Die Branche bekenne sich selbstverständlich zur Berücksichtigung berechtigter Interessen in den Genehmigungsverfahren, so Strugl. Für "professionelle Verhinderungsstrategien, für deren Umsetzung sich schon fast so etwas wie eine Industrie entwickelt hat" habe man aber kein Verständnis.

Schulterschluss bei Genehmigungsverfahren möglich

Jürgen Schneider, Leiter der Sektion Klima und Energie im Energieministerium (BMK), der Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler vertrat, betonte das schwierige politische und wirtschaftliche Umfeld in dem derzeit Klima- und Energiepolitik stattfindet. Die Zeit sei "unendlich dynamisch", so Schneider. "Wir durchleben die Klimakrise und gleichzeitig die Krise in der Ukraine. Der breite gesellschaftliche Konsens in dieser Situation massiv in Richtung Energiewende zu steuern ist deutlich spürbar." Auf europäischer Ebene sei diesbezüglich kürzlich ein umfassendes Klimaschutzpaket mit großer Mehrheit beschlossen worden, darunter der medial breit thematisierte Ausstieg aus Verbrennungsmotoren bei PKW.

Laut Schneider herrschte im Rat der Energieministerinnen und Energieminister eine bis dato kaum gekannte "Aufbruchsstimmung: Wann, wenn nicht jetzt, muss die Energiewende vorangetrieben werden?" Eine ähnliche Stimmung sei auch in Österreich spürbar. Bei Förderungen von Ökostromanlagen würden ebenso "Türen eingerannt" wie bei Förderungen zur Umstellung auf erneuerbare Heizsysteme. "Die Menschen wollen die Energiewende. Sie bringt ihnen Versorgungssicherheit und ermöglicht ihnen, ihre Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen", erläuterte Schneider.

Schneider betonte, dass das BMK allerhöchstes Interesse an einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren habe. Die von Ministerin Gewessler angekündigte Novelle zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Gesetz) befinde sich laut Schneider in politischer Abstimmung. Nun weiter nach möglichen Schuldigen für lange Verfahrensdauern in der Vergangenheit zu suchen sei sinnlos. "Wir brauchen einen Schulterschluss. Und ich bin überzeugt, wir schaffen diesen", so Schneider.

Energie wird Sicherheitsthema

Der niederösterreichische Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf erkennt bei Energie eine Entwicklung vom Klimaschutz hin zu einem Sicherheitsthema. Die Aufgabe der Politik sieht Pernkopf dabei im Ausgleich von gesellschaftlichen Interessen und Zielkonflikten: "Neulich waren an ein und demselben Tag zwei Delegationen bei mir. Die eine überreichte mir eine Unterstützungserklärung mit 2.000 Unterschriften für den Windpark, die andere 2.500 Unterschriften dagegen." Die Erklärungen zugunsten des Projekts seien vor allem aus der betroffenen Region gekommen, viele ablehnenden Stellungnahmen dagegen auch aus ganz anderen Teilen Österreich. Einsprüche gegen Erneuerbaren-Projekte seien zwar legitim, sie müssten aber angemessen gewichtet werden, forderte Pernkopf, sowie eine wirkliche Beschleunigung der UVP-Verfahren und ein Ende so mancher Blockadehaltungen. Trotzdem ist er optimistisch: "Derzeit wird fast wöchentlich ein neuer Windpark in Niederösterreich eröffnet, zig neue Anlagen werden heuer noch gebaut. Bis 2030 werden wir die Windkraft-Leistung in Niederösterreich verdoppeln und die PV-Leistung verzehnfachen. Erst vor wenigen Wochen haben wir dazu auch eine weitreichende Deregulierung im Raumordnungsgesetz beschlossen, wonach Dachanlagen bis zu einem Megawatt genehmigungsfrei sind."

Verbesserungsbedarf ortet Pernkopf bei der Abwicklung der Investitionsförderungen im Zuge des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes. Diese sei zu kompliziert und sollte vereinfacht werden: "Weg vom Bittstellerprinzip, bei dem aktuell zehntausende nicht zum Zug kommen. Besser wäre es, wenn jeder und jede, die sich eine PV-Anlage installiert, rückwirkend einen automatischen Bonus erhält."

Beteiligte ernst nehmen

Sigrid Stagl, Ökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitglied von "Scientists for Future", warnte davor, Entscheidungen über den Ausbau erneuerbarer Energien auf rein technischer Basis zu fällen. Ebenso wichtig sei die gesellschaftliche Akzeptanz. Es gelte, vom Prinzip "Not in my backyard" (NIMBY) zum Motto "Please in my backyard" (PIMBY) zu finden. Im Hinblick auf die Richtung und die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung des Energiesystems sieht Stagl weitgehend Einigkeit.

Bei der Umsetzung der Energiewende müssten folgende Punkte berücksichtigt werden: "Erstens ist die Teilhabe der Menschen wichtig." Diese dürfe jedoch nicht auf Alibihandlungen hinauslaufen, sondern müsse echte Beteiligung ermöglichen. Entsteht bei den Beteiligten der Eindruck, dass ihre Anliegen ernst genommen werden, "kann sehr viel gelingen". Zweitens gelte es, mit den Menschen über die Möglichkeiten im Rahmen der Energiewende zu sprechen, gleichzeitig müssten sie aber auch über die damit verbundenen Notwendigkeiten und die Konsequenzen aufgeklärt werden: "Wir brauchen geeignete Prozesse, damit die Menschen bei der Energiewende selbst aktiv werden können. Noch haben wir diese nicht." Drittens sei es notwendig, nicht nur erneuerbare Energien auszubauen, sondern die Energienachfrage müsse ebenfalls massiv verringert werden.

Das Nötige tun

Christian Berg, Physiker, Philosoph, Theologe und ehemaliger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, betonte, die Alternativlosigkeit des Erneuerbaren-Ausbaus angesichts der zahlreichen Krisen von der Covid-Pandemie über Inflation und Klimawandel bis hin zum Krieg in der Ukraine. Zudem berge jede Krise auch ihre Chancen. Deutschland beispielsweise habe nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Frühjahr 1986 sein erstes Bundesumweltministerium eingerichtet und nach dem Unglück von Fukushima den Atomausstieg beschlossen.

Völlig zurecht fordere nunmehr die EU-Kommission, die Energiewende zu beschleunigen, und in diese Richtung gehe ebenso der Plan Energieministerin Gewesslers zur Novellierung des UVP-Gesetzes. Widerstand gegen die Wende werde man aushalten müssen. "Es gibt einfach Dinge, die wir tun müssen", so Berg. Angesichts der Dramatik der Lage haben niemand mehr Verständnis für Erklärungen und Ausreden.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /