Martin Pehnt: Wärmewende geht nur mit Konsequenz

Portraitfoto Martin Pehnt, IFEU-Institut. Er forsch an Instrumenten der WärmewendeFoto: Christian Buck / IFEU
Martin Pehnt, wissenschaftlicher Geschäftsführer des IFEU-Instituts forscht an Instrumenten der Wärmewende.
Dr. Martin Pehnt, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU), ist Experte für Technologien und Instrumente der Wärmewende. Im Solarthemen-Interview erklärt er, wie jetzt im Wärmebereich der Schalter von fossil auf erneuerbar umgelegt werden kann. Die seit Regierungsbeginn der Ampelkoalition umgesetzten Maßnahmen beurteilt er ambivalent.

Solarthemen: Haben Sie den Eindruck, dass sich Politiker:innen, Unternehmen und Hauseigentümer:innen der Herausforderung der Wärmewende schon richtig stellen?

Dr. Martin Pehnt: Die Wärmewende wurde erst ignoriert, hat es dann in die Sonntagsreden geschafft und wird seit etwa zwei Jahren ernsthaft, aber noch zaghaft umgesetzt. Die ganze Wucht dessen, was zu tun ist, ist aber erst seit dem Krieg in der Ukraine angekommen. Man sieht es an den Reaktionen am Markt: Rapide steigende Förderzahlen, Engpässe bei Fachkräften und Anlagen, wachsende Beratungsnachfrage, tägliche Presseberichte und ein Wechsel von Technologien und Strategien des letzten Jahrhunderts zu einer wirklichen Wärmewende. Das Grundsignal, mehr zu tun, um vom Gas wegzukommen und mehr für den Klimaschutz zu erreichen, ist angekommen. Der Teufel liegt aber auch hier im Detail.

Maßnahmen für Wärmewende sind ambivalent

Man sieht also mehr, dass etwas geschehen muss. Wie setzt sich das ins Handeln um, gerade in der Politik?

Einerseits ist in kurzer Zeit viel auf den Weg gebracht worden. Das begann 2021 mit der CO2-Bepreisung. Im Koalitionsvertrag findet sich die Zielsetzung, 2030 50 Prozent der Wärme klimaneutral zu erzeugen und dafür unter anderem eine Einsatzpflicht einzuführen, die sogenannte „65-Prozent-Regel“. Sie besagt, dass jeder neu installierte Kessel ab 2024 mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Im März hat die Entwicklung mit der Novelle des Energiesicherungsgesetzes weiter Fahrt aufgenommen. So sind etwa ein verpflichten­der Heizungs-Check und ein hydraulischer Abgleich vorgesehen.

Auf der anderen Seite sind die seit Regierungsbeginn umgesetzten Maßnahmen durchaus ambivalent zu beurteilen. Ein Beispiel sind die Neubaustandards im novellierten Gebäudeenergie­gesetz. Da verstehe ich nicht, warum der ursprüngliche Vorschlag, nämlich das – am Markt etablierte und wirtschaftlich sinnvolle – Effizienzhaus 55 zum Neubaustandard zu machen, abgeschwächt wurde. Hier hat die Politik einen Rückzieher gemacht. Auch die mehrfache Novelle der Bundesförderung Effiziente Gebäude hat viele überrumpelt und das Potenzial an Vereinfachung verschenkt. Abermals werden Effizienzmaßnahmen an der Gebäudehülle finanziell benachteiligt.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um für den Ausbau erneuerbarer Energien im Wärmesektor mehr zu erreichen?

Ganz wichtig ist erst mal, dass wir die Philosophie, die noch 2021 gegolten hat, fossile Energien inklusive Erdgas als Teil der Lösung zu betrachten, überwinden. Es ist entscheidend, dass wir hier den Schalter umstellen. Diese Botschaft ist angekommen, wie die Marktnachfrage nach Wärmepumpen und Solarenergie zeigt. Aber lassen Sie mich zwei weitere Punkte herausgreifen. Erstens müssen wir dringend daran arbeiten, Gebäude auf den Einsatz erneuerbarer Energien, speziell die Wärmepumpe, vorzubereiten, und das heißt vor allem: Vorlauftemperaturen absenken. Da muss man die erneuerbaren Energien auch mit der energetischen Sanierung der Gebäude zusammendenken. Das zweite wichtige Handlungsfeld sind die Wärmenetze. Hier ist es gut, dass die Bundesförderung effiziente Wärmenetze, die BEW, endlich von der EU-Kommission bewilligt wurde. Wärmenetze sind bislang an vielen Orten noch fossil geprägt. Um dies zu ändern, brauchen wir neue Instrumente.

Streit um die Wärmewende

Se­hen Sie die Chance, die Wärmewende nun stärker in politisches Handeln zu überführen? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Wir müssen zwischen verschiedenen Ebenen unterscheiden. Auf dem Papier sind alle für erneuerbare Energien, gerade auch die gebäudenahen. Und zudem sind Investitionen in Wärmepumpen und Solaranlagen jetzt häufig auch wirtschaftlich. Es geht aber bei der Frage auseinander, mit welchen Instrumenten man operiert. Macht man das über Information, Beratung und Förderung oder auch über regulatorische Ansätze? Das wird sich auch wieder in der Diskussion um den 65-prozentigen Anteil Erneuerbarer an der Wärmeversorgung und die ebenfalls angekündigte Solarpflicht zeigen. Darum wird es Streit geben. Und ich plädiere dafür, hier einen konsequenten Weg für erneuerbare Energien zu wählen, denn wir müssen die Transformation durchlaufen.

Was wäre ein Mittel?

Zum Beispiel halte ich den verpflichtenden Heiz-Spar-Check für eine gute Idee. Er bereitet Hauseigentümer:in­nen darauf vor, erneuerbare Energien einbauen. Es hapert derzeit daran, dass der Heizungstausch und die Gebäudeoptimierung noch stark davon abhängen, ob etwas kaputt geht. Das ist häufig kein geplanter Prozess. Und deshalb sind Heizungs-Checks und individuelle Sanierungsfahrpläne wichtige Instrumente. Übrigens wird auf europäischer Ebene auch über Sanierungspflichten diskutiert. Mit einem Sanierungsfahrplan ist man dafür gerüstet.

Wärmepumpe für Einzelgebäude

Es gibt derzeit eine starke Ausrichtung auf Stromlösungen, also vor allem die Wärmepumpe. Ist das auch aus Ihrer Sicht der Königsweg?

Die Wärmepumpe ist mit Blick auf die Wärmeversorgung eines Gebäudes schon die wichtigste Einzellösung. Sie muss natürlich einhergehen mit dem jetzt auch aufs Gleis gesetzten sehr dynamischen Ausbau von Wind- und Solarenergie im Strombereich und mit einem Einbau in die eben erwähnten „vorbereiteten Gebäude“: Wir haben das „NT ready“ getauft, weil die Gebäude auf niedrige Heizungs-Systemtemperaturen gebracht wurden. Dann können Wärmepumpen effizient betrieben werden. Und das wird nicht reichen. Wir benötigen flexible Stromtarife mit Anreizen für einen netzdienlichen Betrieb der Wärmepumpen und eine Optimierung der Stromverteilnetze, dies auch für Elektrofahrzeuge und PV-Anlagen. Doch allein mit Wärmepumpen werden wir es nicht schaffen.

Wir müssen allerdings beim Einsatz von fester Biomasse und Biomethan zurückhaltend sein. Biogene Energieträger werden auch in anderen Sektoren nachgefragt, die schwerer dekarbonisierbar sind, etwa für Flugkraftstoffe oder als Brenn- und Rohstoffe für industrielle Prozesse. Neben dieser Nutzungskonkurrenz müssen wir auch die Wirkungen auf die Umwelt beachten. Biomasse sollte daher vorrangig in Gebäuden zum Einsatz kommen, die für Wärmepumpen nicht geeignet sind und nicht an ein Wärmenetz angeschlossen werden können. Stichwort Wärmenetze: Mit ihnen können weitere Optionen ermöglicht werden, zum Beispiel großflächige Solarthermieanlagen, Abwärme und die tiefe Geothermie, die in einer Reihe von Regionen in Deutschland attraktiv ist.

In der Konzeption des Bundes tauchen Solarthermie und Geothermie nach meinem Eindruck nur am Rande auf. Wäre es nicht richtig, diese Lösungen mehr in den Blick zu nehmen?

Solarthermie kann ein Bestandteil der 65-Prozent-Regel sein, etwa wenn man Wärmepumpen und Solarthermie koppelt und die Wärmepumpe im Sommer ausschalten kann. Tiefe Geothermie hingegen wird immer über Wärmenetze erschlossen. Und Wärmenetze zählen auch in der Konzeption der Ministerien für die 65-Prozent-Regel und in der neuen BEW-Förderung zu den anerkannten Techno­- logien. Im Bereich der Dekarbonisierung der Wärmenetze fehlt mir übrigens noch die Verbindlichkeit. Wir schlagen ein Erneuerbare-Energien-Wärme-Infrastrukturgesetz vor, das verbindliche Dekarbonisierungsziele für Wärmenetze fordert. Dazu gehört dann auch die Prüfung der Potenziale aller erneuerbarer Energie im Rahmen von Transformationsplänen. Ganz wichtig: Dies muss systematisch geplant werden und wird parallel durch die BEW gefördert.

Transformationspläne für die Fernwärme

Können Sie etwas mehr zu Transformationsplänen sagen?

Transformationspläne wenden sich an die Betreiber von Fernwärmenetzen. In der BEW-Richtlinie sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Pläne detailliert definiert. Die Pläne sind noch nicht verpflichtend. Doch Betreiber von Netzen können freiwillig und bald gefördert untersuchen, wie sie die Wärmeversorgung in ihren Netzen in den nächsten 10 bis maximal 15 Jahren komplett dekarbonisieren. Daneben gibt es auch eine Diskussion um eine übergeordnete Wärmeplanung. Bis jetzt gibt es zum Thema Wärmeplanung noch keine gesetzlichen Vorschriften, mit Ausnahme einiger Bundesländer.

Das BMWK hat gerade ein Diskussionspapier veröffentlicht, mit dem der Prozess der kommunalen Wärmeplanung angestoßen werden soll. In Baden-Württemberg sammeln wir sehr ermutigende Erfahrungen. Wichtig ist etwa die Definition von Eignungsgebieten für Wärmenetze oder kalte Nahwärme, die Konzeption von Sanierungskampagnen und die zeitliche Strategie, wie mit Gasnetzen und anderen Infrastrukturen umgegangen wird. Es wäre gut, dies bundesweit verpflichtend zu machen, wie es auch im Papier des BMWK angesprochen wird.

Die einzigen Bauchschmerzen, die ich mit diesem Ansatz habe, betreffen die Zeitachse. Bevor dies alles zum Gesetz wird und dann erst die Planungen erstellt werden, vergehen wertvolle Jahre. Daher die dringende Empfehlung an die Kommunen, sich den Wärmeplänen und vor allem den Umsetzungsmaßnahmen jetzt schon zuzuwenden.

14.7.2022 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

Der Energiewissenschaftler Dr. Martin Pehnt ist seit 2015 wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU). Er erforscht seit Langem Technologien und Instrumente der Wärmewende.

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