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2 Jahre Fukushima: Offener Brief der Grünen an japanische Regierung

Glawischnig, Brunner: Gedenken an die Opfer, Sorge um Wiedereinstieg in Atomkraft

Wien - Die Grünen gedachten am Freitag bei einer Gedenkveranstaltung vor der japanischen Botschaft in Wien den Opfern der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan von vor zwei Jahren und appelierten an die japanische Regierung, vom derzeit diskutierten Wiedereinstieg Japans in die Atomkraft Abstand zu nehmen und stattdessen auf die grüne Energiewende zu setzen.

Bundessprecherin Eva Glawischnig und Umweltsprecherin Christiane Brunner richten dazu einen offenen Brief an den japanischen Premierminister:


Sehr geehrter Herr Premierminister Shinzo Abe,

Japan und Österreich verbindet eine langjährige tiefe Freundschaft. Vor diesem Hintergrund erlauben wir uns, Ihnen in der wichtigen Frage der Zukunft der Energieversorgung unsere Anliegen und Sorgen zu übermitteln.
Vor zwei Jahren, am 11. März 2011, wurde Japan von drei schweren Katastrophen getroffen. Etwa 16.000 Menschen sind durch das Tohoku-Erdbeben und durch Tsunamis ums Leben gekommen. Es wird noch lange dauern, bis die wirtschaftlichen Schäden aufgearbeitet und die seelischen Wunden verheilt sind. Die dritte Katastrophe, der Super-GAU von Fukushima, wird Japan noch viel länger belasten. Große Regionen Japans wurden radioaktiv verstrahlt, 200.000 Menschen haben ihre Heimat verloren. Wir möchten den Menschen in Japan, die von dieser schrecklichen Katastrophe betroffen waren bzw. sind auf diesem Wege unser tiefstes Mitgefühl aussprechen.

Ist es das Risiko wert?

Mit großer Sorge beobachten wir die aktuelle Diskussion in Japan über eine Fortsetzung der Energiegewinnung aus Atomkraftwerken. Der Super-GAU von Fukushima hat der Welt neuerlich gezeigt, dass Atomkraft vom Menschen nicht kontrolliert werden kann. Wir möchten Japan nicht dafür anklagen, dass es vor der Katastrophe von Fukushima sehr stark auf Atomkraft gesetzt hat. Wir stellen aber in Frage, ob es wirklich verantwortbar ist, weiterhin ein solches Risiko einzugehen. Warum will die japanische Regierung die derzeit abgeschalteten Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen, obwohl die letzten zwei Jahre gezeigt haben, dass Japan sich auch ohne Atomkraft mit Energie versorgen kann?
Die österreichische Umweltorganisation Global 2000 und ihre Partner Friends of the Earth Japan haben auch dort noch radioaktive Strahlung nachgewiesen, wo bereits Dekontaminierungsarbeiten durchgeführt wurden. Auch auf Kinderspielplätzen wurde erhöhte Strahlung nachgewiesen. Nach offiziellen Angaben haben 40 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen in der Präfektur Fukushima Missbildungen an der Schilddrüse. Wie erklären Sie diesen 56.000 kranken Kindern, dass die Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden sollen? Wir ersuchen Sie, sich für den Schutz der Betroffenen einzusetzen und eine umfassende medizinische Betreuung anzubieten. Verstrahlte Gebiete sollten nicht voreilig wieder freigegeben, die Gesundheit der Menschen Vorrang haben.

Warum müssen Atomkonzerne nicht für Schäden haften?

Wer einen Schaden anrichtet, haftet auch dafür. Dieses weltweit gültige Prinzip gilt nicht für die Atomkraft. Der Super-GAU von Fukushima hat zig Billionen Yen (hunderte Milliarden Euro) an Schäden angerichtet. Warum war Tepco nicht ausreichend versichert? Warum haben die Konzerne, die das AKW Fukushima gebaut haben - General Electric, Toshiba und Hitachi - bisher keinen einzigen Yen gezahlt? Warum bekommen viele Betroffene nur sehr wenig Unterstützung? Und warum wird diese Unterstützung aus Steuergeldern bezahlt? Nicht nur in Japan, auch in der EU ist die Atomindustrie von der Haftung weitgehend ausgenommen. Die immensen Schäden eines Super-GAU sind nicht versichert. In unseren EU-Nachbarländern sind die Atomhaftungen begrenzt, zwischen 75 Mio. Euro in der Slowakei bis 300 Mio. Euro in Tschechien. In Deutschland haften die AKW-Betreiber mit ihrem Gesellschaftervermögen, das oft auch nur einige hundert Millionen Euro ausmacht. Diese Summen reichen nicht einmal bei einem "kleinen" Atomstörfall aus, um die Schäden abzudecken. Wäre die Atomindustrie ordentlich versichert, wäre Atomstrom die teuerste Energie. Wir Grünen haben gegen diese Bevorzugung bereits eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt.

Der Atomausstieg ist möglich - Japan kann der Welt ein Vorbild sein

Wie Sie wahrscheinlich wissen, steht in Österreich das sicherste Atomkraftwerk der Welt. Das AKW Zwentendorf wurde 1978 fertig gebaut, aber nach einer Volksabstimmung niemals in Betrieb genommen. Sehr geehrter Herr Premierminister, wir ersuchen Sie: setzen Sie sich dafür ein, dass auch in Japan die Stimmen der Menschen gehört werden, die eine Energieversorgung ohne Atomkraft wollen. Ihr Land hat bereits gezeigt, dass es auch ohne Atomkraft auskommen kann. Es ist möglich, auch langfristig eine gute Lebensqualität und hohe Wirtschaftsleistung mit grüner, sauberer Energie zu gewährleisten. In Japan sind derzeit nur zwei Atomkraftwerke in Betrieb. Wir ersuchen Sie: starten Sie ein großes Wiederaufbau-Programm mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien. Mit Wind-, Wasser-, Bio- und Sonnenergie kann Japan gefahrlos ausreichend Strom produzieren. Zusätzlich können so viele neue Arbeitsplätze geschaffen, neue Technologien entwickelt und die Menschen an der Energiewende beteiligt werden. Japan könnte unabhängig von importiertem Uran und fossilen Brennstoffen werden und so ein weltweites Vorbild sein.

Mit vorzüglicher Hochachtung,

Dr. Eva Glawischnig
Bundessprecherin der Grünen

Christiane Brunner
Umweltsprecherin der Grünen


Artikel Online geschaltet von: / stevanov /