© Burgenland
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Ein 100 Prozent erneuerbares Burgenland

Jakub Siska hat in Tschechien über das Burgenland und seine Energiequellen berichtet - Ein Oekonews-Redakteur hat den Artikel übersetzt

Das Burgenland ist, was die Zahl der Bevölkerung betrifft, das kleinste österreichische Bundesland. Es liegt im östlichsten Teil des Landes entlang der Grenze zu Ungarn und kam erst nach dem ersten Weltkrieg zu Österreich.

Vor kurzem konnte sich das Burgenland als Gebiet mit 100-prozentiger Stromversorgung auf Basis einer erneuerbaren Energiewirtschaft in die Landkarte Europas eintragen.

Das Burgenland ist ein rein landwirtschaftliches Gebiet, hat keine bedeutende Industrie und sein touristisches Potential lässt sich mit dem von alpinen Regionen nicht vergleichen. Dennoch kann es sich mit einer Besonderheit durchaus europäischen Maßstabs brüsten: Seit dem Ende des letzten Jahres wird im Burgenland mehr Elektrizität aus der Kraft des Windes und der Sonne erzeugt, als seine Haushalte und Betriebe verbrauchen können.


Ein Modell nicht nur für Österreich

Alles begann im Jahre 1997, also in einer Zeit, als man über erneuerbare Energiequellen eher theoretisch diskutierte und sich nur besonders mutige Idealisten darübertrauten, ihre ersten Projekte auch zu verwirklichen. Die Burgenländische Landesregierung sah aber bereits damals etwas weiter in die Zukunft. Man fand heraus, dass das Gebiet des ostösterreichischen Burgenlandes für die Entwicklung und den Ausbau der Windkraftnutzung ideale Bedingungen bietet. An einigen Stellen sind die Windverhältnisse sogar mit denen an den norddeutschen Küsten vergleichbar. Nahe der Gemeinde Zurndorf wurde mit der Realisierung eines Windparks mit sechs Windrädern begonnen.

"Wir entschlossen uns, zu einem Vorbild für Österreich und ganz Europa zu werden. Viele lachten uns damals aus, darunter auch Landeshauptmänner anderer Bundesländer. Wir waren aber überzeugt, dass das der richtige Weg ist", erinnert sich Landeshauptmann Hans Niessl.

Schlüsselvoraussetzung für den Erfolg des Projektes war die Zustimmung der Öffentlichkeit. In Zusammenarbeit mit ihr wurde eine detaillierte Landkarte erstellt, welche ausweist, wo Windkraftwerke errichtet werden können, und wo nicht. Dabei wurden sowohl die Windverhältnisse der einzelnen Standorte berücksichtigt, als auch die Interessen des Naturschutzes und der Bevölkerung. Einige Projektbetreiber im Burgenland entwickelten auch die Idee einer finanziellen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern weiter, bei der jede und jeder Einzelne mit einer gewissen Summe in den Bau eines konkreten Windparks investieren kann und dann aus dem Verkauf der produzierten Elektrizität auch profitiert. Nach dem Jahr 2000 kam die Dynamik der Energiewende so richtig auf Touren. Die burgenländische Landesregierung begann, die Aufstellung und Nutzung von Windrädern mit Direktsubventionen und Steueranreizen zu unterstützen.

Auch als Österreich dann auch auf gesamtstaatlicher Ebene ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energiequellen verabschiedete, wurden die meisten neuen Windräder des Landes im Burgenland installiert. In der Gemeinde Potzneusiedl hat man im letzten Jahr sogar die zwei überhaupt leistungsstärksten Windräder der Welt aufgestellt, jedes mit einem Leistungpotential von 7,5 MW. Zu den bedeutenden Meilensteinen gehörte 2012 auch die Inbetriebnahme des in Mitteleuropa größten Windparks, wo in der Nähe der Gemeinden Halbturn und Andau 79 Windräder mit einem potentiellen Gesamtleistungsumfang von 237 MW in Betrieb genommen wurden. Heute drehen sich im Burgenland 290 Windkraftwerke mit einer installierten Kapazität von 630 MW, was ungefähr 114 % jener Strommenge entspricht, welche im Bundesland Burgenland insgesamt verbraucht. Damit ist gleichzeitig aber das Potential der nutzbaren Kraft des Windes im Burgenland ziemlich ausgeschöpft.


Kraftwerke auf den Dächern

Photovoltaikkraftwerke auf den Dächern kamen etwas später an die Reihe und ihre Förderung war differenziert gestaltet. Man konzentrierte sich dabei auf die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen und auf ein breites Angebot an Informationen, nicht aber auf die Installation an sich. Landeshauptmann Hans Niessl ließ in Zusammenarbeit mit dem regionalen Energieversorger "Energie Burgenland" und der burgenländischen Energieagentur die für die Photovoltaiknutzung relevanten Parameter aller Hausdächer erheben. In dieses Projekt waren alle 171 Gemeinden und Städte des Burgenlandes eingebunden, sodass das so entstandene Register nun komplett ist. "Heute kann jeder Hausbesitzer kostenlos feststellen, wieviel Strom sein Dach erzeugen kann. Die Daten über die Neigung, die Größe und Ausrichtung der Dächer sind auf den Milimeter genau", ergänzt der Landeshauptmann. Für die Erstellung dieses "Solarkatasters" (http://www.tobgld.at/index.php?id=1816) wurde Geld aus dem EU-Programm ITE (Intelligente Energie) und auch aus weiteren österreichischen Projekttöpfen verwendet.

Die Ergebnisse der Auflistung übertrafen sogar die Erwartungen der größten Optimisten. Von einer burgenländischen Gesamtdachfläche von über 50 Millionen Quadratmetern wurden 16,5 Millionen Quadratmeter mit der Note "sehr gut geeignet" bewertet, 10 Millionen Quadratmeter als "geeignet" eingeschätzt und 24 Millionen Quadratmeter wurden für "weniger geeignet" gehalten. Nur die Nutzung des Potentials der sehr gut geeigneten Flächen würde bei einer durchschnittlich kalkulierten Sonnenscheindauer gut 1,5 Milliarden Kilowattstunden (1,5 TW/h) jährlich erbringen, was ungefähr dem Jahresstromverbrauch des Burgenlandes entspricht. Eine spezifische Förderung des Ausbaus der Fotovoltaiknutzung macht die Landesregierung nicht, weil seit 2013 die Förderungen für Photovoltaik auf gesamtstaatlicher Ebene neu organisiert und nicht mehr eigentliche Sache der Bundesländer ist.


Energieautarke Gemeinden

Zur Energieautarkie auf Basis erneuerbaren Energiequellen tragen im Burgenland auch mehrere Gemeinden bei, welche parallel oder gemeinsam mit der Landesregierung ihre eigenen Programme entwickeln. Eines der Vorreiter-Beispiele ist Güssing, eine Bezirkshauptstadt mit etwa 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im Jahre 1996 initiierte die Stadt mit Hilfe von EU-Geldern das sogenannte "Europäische Zentrum für erneuerbare Energie Güssing". Seine Aufgabe war es, Maßnahmen vorzuschlagen, wie einerseits die Abhängigkeit von importierten fossilen Energieträgern reduziert werden und gleichzeitig die regionale Ökonomie durch die Nutzung lokaler Energiequellen profitieren kann. Es gelang der Stadt, für dieses Zentrum für erneuerbare Energie Experten sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch von auswärts zu rekrutieren, von denen sich einige später auch in der Stadt ansiedelten.

Seit seiner Gründung wurde das Zentrum in Güssing weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Es bietet allgemeine Konsulationsdienstleistungen an, erstellt Fachexpertisen, veröffentlicht verschiedene Publikationen und organisiert Exkursionen. Das große BesucherInneninteresse machte in Güssing sogar den Bau eines neuen Hotels nötig.

Basis des Energiekonzeptes in Güssing war ein großes Biomassefernheizwerk, das im Jahre 1996 in Betrieb genommen wurde. Hauptlieferant der benötigten Biomasse sind die Wälder in der Nähe und örtlichen Firmen, welche sich mit mit der Herstellung von Parkett- und anderen Holzfußböden beschäftigen. Im Jahre 2001 kam zum Heizwerk noch ein Biomassekraftwerk hinzu, in dem sowohl Strom als auch Wärme erzeugt werden. Die dabei verwendeten Hackschnitzel werden in einem sogenannten Wirbelschicht-Dampf-Vergaser verwertet, was effizienter ist, als eine klassische Verbrennung. Die dazugehörige Technik wurde von der Technischen Universität in Wien für das Zentrum in Güssing entwickelt. Pro Stunde verarbeitet das Heizkraftwerk etwa 2500 kg Hackschnitzel und erzeugt damit 2 MW/h Strom sowie 4,5 MW/h thermische Energie. Die Elektrizität wird in das öffentliche Stromnetz eingespeist, die Wärme im Fernwärmeleitungsnetz der Stadt genutzt. Auch werden noch anliegende Gemeinden damit vesorgt. Seit dem Jahre 2005 gibt es in Bezug auf die Strom- und Wärmeproduktion eine positive Bilanz, das heißt, es wird mehr Strom und Wärme erzeugt als verbraucht. Eine beeindruckende Leistung, auch wenn es durch Turbulenzen bei einem kleinen Bereich ökonomische Probleme gab, die sich bei Teilen des Gesamtmosaiks leider auswirkten.

Bestandteil des Kraftwerks ist auch eine Versuchsanlage, in welcher Deponiegas in Treibstoff verwandelt wird, der Benzin ersetzen könnte.

Für 18 Gemeinden in der Umgebung soll noch ein Leitungsnetz für die großräumige Nutzung von Biogas errichtet werden.

Ein weiterer burgenländischer Pionier im Bereich der erneuerbaren Energiequellen ist die Gemeinde Strem. Auch sie ist heute bilanzmäßig bereits eine Plusenergiegemeinde, möchte aber bis zum Jahre 2020 auch noch energieautark werden. Das heißt, dass die vor Ort erzeugte Energie vorwiegend auch in der Gemeinde verbraucht werden soll. Zur bereits bestehenden Biogasanlage, dem Fernheizwerk und einer Photovoltaikanlage am Dach des Pflegeheims soll noch eine Biogastankstelle hinzukommen und vor allem weitere Photovoltaikanlagen auf den Dächern aller Häuser. "Batterien, welche die Nutzung des Sonnenstroms direkt im Haus ermöglichen, sind schon auf dem Markt und werden laufend billiger. Es wird nicht mehr lange dauern und jedermann wird sich den Großteil des benötigten Stroms selber herstellen können", prophezeit ein örtlicher Energieexperte. Um der eigenen Bevölkerung mit gutem Beispiel voranzugehen, entschloss sich die Gemeinde, auf den Dächern einiger gemeindeeigener Gebäude weitere PV-Anlagen mit einer Leistungskapzität von 50 KW zu installieren. Die Finanzierung erfolgt auf die gleiche Weise, wie im Fall der ersten Anlage am Dach des Pflegeheims - mittels BürgerInnenbeteiligung. Ein Beteiligungsschein hat den Wert von 1000 €, insgesamt werden 50 Scheine ausgegeben. Die jährlich garantierte Verzinsung liegt bei 4 % und die Rückzahlung erfolgt innerhalb von 13 Jahren. Nach Ablauf dieser Frist wird den InvestorInnen somit deren gesamtes eingesetztes Kapital zurückgezahlt.


Gewinn für die regionale Wirtschaft

An den an angeführten Beispielen ist auch interessant, dass beide Gemeinden die energetische Selbständigkeit allein durch die Nutzung von Biomasse und Photovoltaik erreicht haben, also ohne die Hilfe der Windkraft. Diese kann dort zum Einsatz kommen, wo das Biomassepotential beschränkt ist, zum Beispiel rund um Burgenlands Hauptstadt Eisenstadt.

Bei Zurndorf, wo die burgenländische Energiewende mit den ersten Windrädern begann, entsteht derzeit ein zentraler Stromnetzeinspeisepunkt mit einer Großtrafostation, über welchen die erneuerbaren Energieströme auch ins gesamtstaatliche Elektrizitätsnetz eingespeist werden können. Darüber hinaus errichtete die Firma Enercon, einer der größten europäischen Hersteller von mit der Nutzung der Windkraft verbundener Technik, ihre Zentrale für Aktitivtäten von Enercon in Mittel- und Osteuropa. Zurndorfs Bürgermeister Werner Riedl sieht darin eine große Chance: "Wir freuen uns, dass Pendler, die bisher in die Arbeit bis nach Wien bzw. dessen Umgebung fahren musste, Arbeit in einer zukunftsträchtigen Branche in der Nähe ihres Wohnortes finden können. Damit erreicht symbolisch das einen Höhepunkt, was wir hier vor 16 Jahren begonnen haben. Wir werden dann nicht nur komplett ohne schmutzigen Kohlestrom auskommen, sondern auch die lokale Zusammengehörigkeit wieder stärken. Schon heute ist der Großteil der Bevölkerung darauf stolz, hier zuhause zu sein."

Wichtig ist auch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energiewirtschaft nicht nur für die Ökologie einen Gewinn darstellt, sondern auch für die regionale Wirtschaft. Untrennbarer Bestandteil sind technologische Innovationen, an denen sich Schulen beteiligen, Forschungsstätten und Firmen, dank derer die gesamte Region und das Land einen Vorsprung im internationalen Wettbewerb bekommen. Eine lokal organisierte Energiewirtschaft schafft auch lokale Arbeitsplätze, was wiederum zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft führt und einen gesunden Patriotismus fördert. Jene Menschen, die diese Zusammenhänge verstanden haben, fahren ins Burgenland, um dort Erfahrungen zu sammeln. Die anderen träumen lieber über neue Atomkraftwerke oder Kohlegruben.

Erstmals erschienen im Magazin "alternativní energie" 4/2014 auf den Seiten 26+27

Übersetzung: Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu

GastautorIn: Jakub Siska für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /