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Russlands langsame Entwicklung von Atomenergie

Von Russland wird oft behauptet, es sei eines der vier Länder, die die nukleare Renaissance vorantreiben, neben China, Indien und Südkorea.

Die Datenbank der weltweit aktiven World Nuclear Association versucht ein entsprechend optimistisches Bild in Bezug auf die Zahl von Atomreaktoren zu zeichnen: 34 in Betrieb genommene, 9, die gerade gebaut werden, 31 geplante oder bestellte Reaktoren und 18, die ‚vorgeschlagen‘ wurden. Die nukleare Kapazität liegt aktuell bei 25.3 Gigawatt mit 57.2 GW in der Warteschlange.

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Falls es im Bereich der russischen Atomenergie ein Wachstum geben sollte, würde das nur sehr langsam von statten gehen und auch nur minimal ausfallen. Ein rasches, nachhaltiges Wachstum im Sinne einer ‚Renaissance‘ steht hier nicht zur Debatte. Bloß 4 Reaktoren sind seit dem Jahr 2000 in Betrieb genommen worden und es werden neue Blöcke benötigt, um den Status quo aufrechtzuerhalten, denn die Flotte der russischen Reaktoren altert; 19 von ihnen haben bereits ihr geplante Betriebsdauer überschritten.

Am 26. Mai hat das russische Ministerium für Wirtschaftsentwicklung verkündet, dass es bedeutende Verzögerungen bei der Fertigstellung und der Inbetriebnahme von neuen Atomkraftwerken gebe. Der Stellvertreter für russische Wirtschaftsentwicklung, Minister Nikolai Podguzov, äußerte sich dazu folgendermaßen: ‘In Übereinstimmung mit allen Führungskräften und dem Konzern Rosatom sieht unsere Prognose so aus, dass es bedeutende Verzögerungen bei den Auftragsvergaben zum Bau neuer Reaktoren geben wird … Im Augenblick werden sie einfach nicht gebraucht, weil wir einen Energieüberschuss haben.’

Reaktoren, die von dieser Entscheidung betroffen sind: Leningrad Phase 2, der 2. Reaktor von Novovoronezh Phase 2, sowie das geplante Smolensk Phase 2 Projekt, das aus 4 Reaktoren besteht. So sagt also die russische Regierung, der Energieüberschuss sei die Ursache für die langsame Entwicklung der Atomkraft. Es spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle – so etwa Russlands wirtschaftliche Probleme und die Unfähigkeit von Rosatom, die vielen Projekte zu finanzieren, die es daheim und im Ausland geplant hat. Nils Böhmer, Atomphysiker und Direktor der NGO für Umweltrechte Bellona, sagte dazu:

‘Ich glaube, dass dies das erste Signal von Seiten der russischen Atomindustrie ist, dass sie ihre Anstrengungen zum Bau neuer Atomreaktoren nicht nur daheim, sondern auch auf internationaler Ebene reduzieren werden …’

Ein Bericht vom Jänner 2015, den die unabhängige Kontrollbehörde des russischen Parlaments (der Duma) vorlegte, zeigt auf, dass die Finanzierung zahlreicher Atomkraftwerke nicht mit den erforderlichen Summen Schritt hält und zu Kostenexplosionen und Verzögerungen beim Bau führt. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass bei sieben von neun russischen Atomkraftwerken Finanzengpässe den weiteren geplanten Ausbau zurückgestellt haben.

Ein Report der Kontrollbehörde hinterfragt auch die Vollständigkeit der Prüfberichte bei nuklearen Projekten, die vom staatlichen Umweltministerium erstellt wurden. Es waren nämlich Konstruktionsfehler, die beim Reaktor Leningrad 2 No.1 zum Bruch von Verstärkungswänden führten. Dies legte dann Im Juli 2011 die äußeren Schutzwände lahm. Das Ergebnis: der Bau der No.1und 2 Reaktoren wurde um ein Jahr verschoben, was zu erheblichen Zusatzkosten führte.

Dem russischen Atomregulator Rostekhnadzor zufolge, kam es im Jahr 2013 zu 39 Zwischenfällen in Kernkraftwerken. Die dafür angeführten Hauptgründe waren: schlechtes Management, mangelhaftes Material und Fehler in der ursprünglichen Planung. Im Januar stufte dann die internationale Rating Agentur Fitch 13 der größten russischen Betriebe ab; darunter auch Rosatoms Tochtergesellschaft Atomergoprom. Die Finanzierung für Rosatoms Atomreaktor-Projekte sollen sich in diesem Jahr auf 88 Milliarden Rubel belaufen (etwa 1.57 Milliarden US Dollar), werden aber in den folgenden Jahren auf weniger als die Hälfte davon zurückgehen.



Exporte

Vladimir Slivyak, stellvertretender Vorsitzender der russischen Umweltgruppe Ecodefense, sagte kürzlich in einem Artikel:

‘Rosatom behauptete, es habe einen ganzen Stapel von Aufträgen, die sich bis Ende 2014 auf über 100 Milliarden Dollar belaufen würden. Dennoch schreiten die aktuellen Bauarbeiten an den neuen Atomreaktorprojekten nur in China und in Weißrussland voran (und im indischen Kundankulam 2, wo neulich ein Kraftwerk fertiggestellt wurde, wie russische Medien behaupten). Auf nationaler Ebene lässt sich sagen, dass die staatliche Handelsgesellschaft letztes Jahr versprochen hat, 3 neue Atomreaktoren zu errichten. Aber nur einer wurde bisher fertiggestellt. Man kann also davon ausgehen, dass alle Rosatom-Projekte sich weiterhin langwierig dahinziehen werden, was die Baukosten erheblich steigert.’

Es ist unwahrscheinlich, dass Rosatom in der Lage sein wird, weltweit Dutzende von neuen Reaktoren zu bauen. Dem russischen nationalen Vermögensfond (der das Pensionssystem unterstützen und auffüllen soll) sind Gelder entzogen worden, um eine Teilfinanzierung von Rosatoms geplantem neuen Reaktor in Finnland vorzunehmen.

Steve Kidd, ehemaliger Direktor der World Nuclear Association, bemerkte dazu im Oktober 2014, dass es ‘sehr unwahrscheinlich ist, dass Russland auch nur die Hälfte seiner Projekte fertigstellt, die es angeblich so eifrig betreibt’. Es ist auch stark zu bezweifeln, ob eine gewisse Anzahl von Ländern Interesse daran hat, russische Reaktoren zu kaufen, um dann den weiteren Ausbau zu finanzieren – auch wenn Rosatom extrem günstige Kredite bietet, um die Projekte voranzutreiben. Länder, die laut eines Berichts an einem solchen Kauf interessiert sein sollen: der Iran, die Türkei, Vietnam, Bangladesch, Jordanien, Ungarn, Finnland, Ägypten, Indien und Südafrika.



Schnelle, schwimmende Brüter

Die Kosten für den Bau eines schwimmenden Atomkraftwerkes in Russland haben sich vervierfacht - auf 37 Milliarden Rubel (660 Millionen US Dollar, dh. 590 Millionen Euro). Der Bau dieses Kraftwerkes ist jedoch um 7 Jahre im Verzug. Die Anlage, die noch 2 Jahre zur Fertigstellung benötigt, besteht aus einem Schleppkahn und zwei 35-Megawatt-Reaktoren. Es wird befürchtet, dass diese Anlage ein perfektes Ziel für Terrorangriffe, nuklearen Diebstahl und Unfälle größten Ausmaßes ist.

Die Entscheidung, das Projekt bis auf weiteres zu verschieben, wird eventuell im Jahr 2020 erneut überprüft werden. Der Atomreaktor sollte eigentlich kommerziell genutzt werden, abhängig davon, wie erfolgreich sich der Betrieb eines Pilot-BN-800-Neutronen Reaktors darstellen wird.

Im Juli 2014 sagte der Generaldirektor von Rosenergoatom, dass Russland plane, den Bau von drei BN-1200 Reaktoren noch vor 2030 zu beginnen. OKBM, die Tochtergesellschaft von Rosenergoatom, die diese Reaktoren entwickelt hat, meinte kürzlich dazu, es sei absehbar, dass der erste BN 1200 Atomreaktor 2020 in Auftrag gegeben würde. Acht weitere würden bis zum Jahr 2030 folgen. Der Sprecher von Rosenergoatom Andrey Timonov, drückte sich dazu wie folgt aus:

‘Der BN-800Atomreaktor muss Fragen über die potentielle Rentabilität Schneller Brüter beantworten, denn im Moment verliert diese ‚schnelle’ Technologie ihren bisherigen Wettbewerbsvorteil, wie es aussieht, und es stellt sich die Frage, ob sie sich im Vergleich zu kommerziellen VVER Einheiten überhaupt refinanzieren kann’.

Ein weiteres Projekt eines Schnellen Brüters – BREST –OD – 300 – würde Rosatoms finanzielle Mittel außerordentlich strapazieren. Alexander Nikitin von Bellona meinte dazu sinngemäß, die Entwicklung eines Programmes von BREST-OD-300 sei kein Durchbruch, sondern ein Einbruch in die Sparbüchse von Rosatom.

Autor: Jim Green, Herausgeber des ‘NuclearMonitor’ NIRS, Übersetzung aus dem Nuclear Monitor Nr. 805: Ina Conneally, Bernhard Riepl, www.sonneundfreiheit.eu


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /