©  Mojpe- pixabay.com
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Mehr als drei Millionen Österreicher leiden an Immunerkrankungen

Mehr als 40 % der Österreicher haben Immunerkrankungen, ¾ davon Allergien

Wien- Vom 6.-9. September tagen mehr als 4.000 Immunologen im Austria Center Vienna beim europäischen Immunologie-Kongress (ECI). Immunologische Grundlagenforschung und Immuntherapien stehen im Fokus. Neue Erfolge in der Bekämpfung von Allergien, Autoimmun- und Krebserkrankungen werden gefeiert.

Mehr als 3 Millionen bzw. 40 % aller Österreicher und Österreicherinnen sind von Immunerkrankungen betroffen. Rund drei Viertel davon (das sind mehr als zwei Millionen Menschen) haben sich mit Allergenen sensibilisiert; ein Gutteil davon leidet zumindest zeitweilig an manifesten Allergien. ‘Zudem sind in Österreich an die 650.000 Patienten an Autoimmunerkrankungen erkrankt, bei 7.100 Personen sind Immundefizite zu erwarten. Generell nehmen Immunerkrankungen stetig zu. Das Tätigkeitsfeld von Immunologen wird zusätzlich durch Krebserkrankungen, die einer immunologischen Intervention bedürfen, erweitert: hiervon sind rund 30.0000 Menschen betroffen. Auch die 8.000 ÖsterreicherInnen, die Organ- und Knochenmarkstransplantationen erhalten, benötigen Unterstützung’, schätzt Univ.-Prof. Dr. Winfried F. Pickl vom Institut für Immunologie an der medizinischen Universität Wien und Kongresspräsident des heurigen ECI-Kongresses. ‘Der Zunahme an immunologischem Bedarf steht zum Glück auch eine verbesserte Diagnostik gegenüber, d. h. Immunerkrankungen werden besser erkannt. Auch liefern neueste Impfungen mit rekombinanten Allergieimpfstoffen sowie Erkenntnisse aus der Hygienehypothese gute Erklärungen und entsprechende Ansatzpunkte bei Allergien’, betont Pickl.

Aktive Immuntherapie bleibt auch weiterhin der beste Immunschutz

Dies beginnt bereits bei der Mutter, die bei entsprechender Impfung durch den immunologischen Nestschutz einen Großteil ihrer schützenden Antikörper auf das ungeborene Kind überträgt. Die langen Halbwertszeiten dieser Antikörper (Stabilität) können so das Kind in den ersten sechs bis neun Lebensmonaten vor schweren Infektionserkrankungen schützen. In diesem Zeitraum setzten auch bereits die aktiven Impfprogramme ein, welche unsere Kinder aktiv und direkt schützen. Auch der ‘immunologische Herdenschutz’, der durch die Impfung von Vätern, sonstigen Familienmitgliedern und dem Großteil der Bevölkerung entsteht, reduziert das Krankheitsrisiko für die Schwächsten unter uns erheblich. Tritt jedoch – wie derzeit bei Masern und Diphterie – eine ‘Impfmüdigkeit’ auf, häufen sich die v.a. für Kinder schweren, oft lebensgefährlichen Erkrankungen wieder. Damit sind und bleiben sogenannte Schutz-Impfungen der beste Immun-Abwehrschutz. Impfen ist jedoch nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene wichtig. Dies macht vor allem auch in Anbetracht von viralen Infektionserkrankungen – wie beispielsweise der Influenza – Sinn, die außer für Kleinkinder besonders im hohen Alter gefährlich werden können. Da der Impfschutz, der durch eine erstmalige, aktive Impfung hervorgerufen wird, mit dem Impfalter abnimmt, kann so bereits im mittleren Alter ein guter Impfschutz für das hohe Alter aufgebaut werden. In diesem Sinne erweitert sich die Impfpalette ständig – von Meningokokken und Pneumokokken über neuartige Influenzastämme bis hin zu Ebola. ‘Ich vergleiche die aktive Immuntherapie (Schutzimpfung) immer gerne mit dem Sicherheitsgurt beim Autofahren’, so Pickl, ‘Wer sich impft, schnallt sich quasi wie bei jeder Autofahrt mit dem Sicherheitsgurt an. Viele Menschen haben vielleicht niemals einen Autounfall, sollte er aber eintreffen, ist der angeschnallte Gurt überlebenswichtig.’

Landsteiner und Pirquet setzten wissenschaftliche Meilensteine

Österreich und Wien haben eine große Tradition in der immunologischen Grundlagenforschung aber auch in der klinischen Immunologie. So beschrieb der österreichische Kinderarzt Clemens von Pirquet als erster die Allergie. Haben Pirquet und seine Zeitgenossen diesen Begriff noch weiter gefasst und von der Serumkrankheit, welche nach wiederholter Verabreichung von an sich schützenden, tierischen Hyperimmunseren eintreten kann, abgeleitet, fasst man heute unter dem Begriff ‘Allergie’, die mit der Antikörperklasse E (IgE)- assoziierten allergischen Erkrankungen zusammen. IgE stellen eine Antikörperklasse dar, die im Körper für die Vermittlung von allergischen Reaktion verantwortlich sind. Findet man allergen-spezifische IgE im Serum einer Person, spricht man von Sensibilisierung. Diese speziellen Eiweißstoffe sind im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten zu finden und sollten den Körper eigentlich vor Wurmerkrankungen, Tiergiften u. ä. schützen. Im Rahmen der allergischen Sensibilisierung und Erkrankung sind IgE Antikörper jedoch gegen an sich harmlose (meist) Eiweißstoffe aus der Umwelt (Pollen, Nahrungsmittel, Hausstaubmilben) gerichtet. Bei Kontakt mit den sensibilisierenden Allergenen kann es dann rasch zu allergischen Symptomen kommen.

Ein weiterer großer Immunologe Österreichs ist der Nobelpreis-Träger Karl Landsteiner. Er gilt als Entdecker der Blutgruppen und des Rhesusfaktors und legte damit den Grundstein für den Einsatz von Bluttransfusionen aber auch der Behandlung der Rhesusfaktorunverträglichkeit bei werdenden Müttern. Landsteiner’s Erkenntnisse haben Millionen Menschen das Leben gerettet und vielen Kindern, welche von Partnern mit kritischen Rhesusfaktor-Konstellationen hervorgegangen sind, ein gesundes Leben ermöglicht.

Den Pionieren der Immunforschung im Wien der Jahrhundertwende (Emerging Immunology – Vienna’s Contributions) wird im Rahmen einer detaillierten Ausstellung gedacht werden, welche im Foyer des Austria Center Vienna während des gesamten Kongresses zu besichtigen sein wird.

Heute findet in Österreich basierend auf diesen traditionellen Wurzeln und durch die Initiative der Österreichischen Gesellschaft für Immunologie (ÖGAI) ein intensiver Austausch mit der internationalen Kollegenschaft statt, welcher vor allem auch durch die EFIS (European Federation of Immunological Societies), die auch den ECI-Kongress veranstaltet, und die IUIS (International Union of Immunological Societies) forciert wird. Dieser internationale Austausch ist wesentlich für die internationale Netzwerkbildung, länderübergreifende Forschung und die Weiterentwicklung der immunologischen Forschungsschwerpunkte in Österreich. Diese wird sowohl durch die immunologischen und allergologischen Forschungsschwerpunkte der Medizinischen Universitäten und Universitäten in Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg wie auch der Universität für Veterinärmedizin in Wien gefördert, als auch durch die weise und weitsichtige Unterstützung der nationalen und internationalen Förderprogramme. (National: Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF), Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), Christian Doppler Gesellschaft, (CDG), Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW); International: Europäische Union FP7 Programme). Zudem ist Österreich in der glücklichen Lage namhaft internationale Firmen wie auch start-up Unternehmen mit Immunologie/Allergie-Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, wie etwa Affiris, Baxalta, Boehringer Ingelheim, Biomay, Fresenius, und viele andere mehr) zu beherbergen.

ECI-Kongresses setzt auf Grundlagenforschung und neue Behandlungsmethoden

Der diesjährige ECI-Kongress (4th European Congress of Immunology) beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der immunologischen Grundlagenforschung, wie etwa der Entwicklung und Funktionsweise der erst kürzlich beschriebenen Lymphozyten des angeborenen Immunsystems (innate lymphocytes). Wie sich erst vor Kurzem herausstellte, sind sie ein Spiegelbild der anpassbaren Lymphozyten und könnten helfen, die Entstehung von Allergien und Autoimmunerkrankungen besser zu erklären. Zweiter großer Kongressschwerpunkt sind die neuesten Entwicklungen zur Bekämpfung von immunmediierten Erkrankungen:

Erfolge in der Allergie-Behandlung durch neue Impfungen und IgE-Absorption

In der Vergangenheit war die Bestimmung eines Allergens, auf das der Körper reagiert, schwierig und potentiell mit Fehlern behaftet, da mit Allergenextrakten, wie beispielsweise mühevoll gewonnenen Birkenpollen, gearbeitet wurde. Diese natürlichen Extrakte erhalten allerdings häufig zahlreiche, verschiedene Allergene sowie, je nach Präparation, variierende Mengen der einzelnen, krankheitsverursachenden Allergene. Um einen guten Behandlungserfolg zu erzielen, ist es jedoch wichtig, herauszufinden, auf welche(s) spezifische Allergen(e) der Körper reagiert, um sich in der Therapie genau auf diese(s) Allergen(e) konzentrieren zu können. Heute sind Diagnose- und Therapieverfahren mit rekombinanten Allergenen möglich. Durch die im Reagenzglas in Reinform hergestellten Allergene kann nun punktgenau die spezifische Sensibilisierung gegenüber einzelnen Allergenen diagnostiziert werden (Allergen-Chip). Ist das krankheitsverursachende Allergen bestimmt, können durch Genfusion und Kopplung an Helferantigene neuartige, hochwirksame Impfstoffe hergestellt werden, mit denen zur Hyposensibilisierung nur mehr eine Handvoll von Impfungen (ca. 3-5) anstelle von jahrelangen Spritzentherapien notwendig sind. Ist der IgE-Spiegel, also die Anzahl der Antikörper im Körper, die auf das Allergen reagieren, sehr hoch, können zur IgE-Reduktion und damit zur Allergiebekämpfung auch neuartige IgE-Reduktionsmethoden eingesetzt werden. Dabei werden die IgE-Spiegel durch Blutwäsche über eine sogenannte IgE-Absorber-Säule reduziert. Die IgE-Spiegel können in vielen Fällen so weit reduziert werden, dass die betroffenen Patienten nun für eine anti-IgE Behandlung in Frage kommen, welche ansonsten Patienten mit sehr hohen IgE-Spiegeln (Atopiker) vorenthalten bleiben muss. Die IgE-Absorber-Säulen wurden von Forschern der Medizinischen Universität Wien unter Federführung von Prof. Rudolf Valenta in Kooperation mit der Firma Biomay und Fresenius in Österreich entwickelt und hergestellt.

Einsatz von blockierenden Antikörpern gegen Botenstoffe und TNF zur Bekämpfung von Autoimmunerkrankungen

Bei Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, dem Lupus Erythematodes (Schmetterlingsflechte), der Psoriasis (Schuppenflechte), dem Morbus Chron aber auch bestimmten Schilddrüsenerkrankungen richtet sich das Immunsystem gegen gesunde körpereigene Zellen und muss daher, um den Krankheitsverlauf zu stoppen, gedrosselt werden. Wurde bis etwa vor einem Jahrzehnt vor allem mit breitwirkenden Substanzen wie Cortison oder Antimetaboliten behandelt, ist es neuerdings möglich, mit wesentlich spezifischeren Behandlungsformen die, die Erkrankung anheizenden Entzündungsfaktoren, direkt zu blockieren. Erste große Erfolge konnten bei der rheumatoiden Arthritis, der häufigsten entzündlichen Gelenkserkrankung, durch die Blockade des Entzündungsfaktors Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-a) mittels monoklonaler Antikörper bzw. TNF-Rezeptorglobulinen erzielt werden. Bei Früherkennung kann die Krankheit sogar komplett ‘abgedreht’ werden. Die Blockade des TNF-Faktors wird mittlerweile auch erfolgreich im Rahmen der Behandlung des Morbus Chron, der Colitis Ulcerosa und weiteren entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Andere blockierende Antikörper, die ebenfalls bei Autoimmunerkrankungen wie der Schuppenflechte für eine bessere Behandlung eingesetzt werden, sind die gegen Interleukin 12/23 sowie gegen Interleukin 17 gerichteten Antikörper. Hierbei werden die betreffenden Interleukine (IL), das sind körpereigene Botenstoffe der Zellen des Immunsystems, durch bestimmte blockierende Antikörper gehemmt. Damit kann die ‘Fehlkommunikation’, welche die Autoimmunreaktion des Körpers auslöst, unterbunden werden. Die Herstellung all dieser therapeutischen Antikörper, die heute mit großem Erfolg am Patienten angewendet werden können, ist ein unmittelbarer Erfolg der immunologischen Grundlagenforschung - allen voran durch die Beschreibung eines Verfahrens zur Herstellung monoklonaler Antikörper in der Maus durch Köhler und Milstein in den 1970er Jahren (Nobelpreis 1975) und der weiteren Entwicklung von teilhumanisierten oder komplett humanisierten Antikörpern mittels moderner molekularbiologischer Verfahren.

Moderne Krebstherapien durch immunologische Ansätze

Nicht alle Krebserkrankungen stehen automatisch im Zusammenhang mit der Immunologie, viele können jedoch durch immunologische Krebstherapien (zurzeit vor allem durch passive Immuntherapie) gezielter behandelt werden. Bei der Leukämie-, und Brustkrebs-Behandlung (und mittlerweile vielen anderen Krebsarten) werden ebenfalls sehr erfolgreich monoklonale Antikörper zu Behandlung eingesetzt, die dazu beitragen, die Krebszellen des Patienten besser abzuwehren. Oft werden diese neuartigen Krebstherapien in Kombination mit klassischen Chemotherapeutika eingesetzt, die Kombinationstherapie verbessert dadurch den Behandlungserfolg deutlich. So wird z.B. die Anti-B-Zell-Therapie seit gut 15 Jahren erfolgreich im Rahmen der Behandlung von B-Zell Leukämien/Lymphomen angewandt. Derzeit wird auch sehr intensiv an der Aktivierung des Immunsystems gegen Krebszellen durch sogenannte Check-Point- Inhibitoren geforscht. Klinische Studien zeigen bahnbrechende Erfolge. Diese neue Therapieform basiert darauf, dass Tumorzellen mitunter das bestehende Immunsystem an bestimmten Check-Points bremsen. Werden dem Körper nun monoklonale Antikörper, die sich gegen diese Check-Points richten, verabreicht, kann die bremsende Wirkung des Tumors auf das Immunsystem unterbunden werden. Dadurch vermag das Immunsystem besser gegen die Tumorzellen vorzugehen und diese abzuwehren. Derzeit wird diese Methode bereits erfolgreich bei Melanomen (Hautkrebs) angewandt, die Behandlung anderer Krebsarten befindet sich in klinischer Erprobung.

Zudem sind zelluläre Krebstherapien stark im Kommen. Heute ist es möglich Lymphozyten mit solchen Rezeptoren auszustatten, die spezifisch mit bestimmten Tumoren reagieren. Dabei werden die Lymphozyten vom Patienten gewonnen, im Reagenzglas mit den krebsspezifischen Rezeptoren (CAR, chimerized antigen receptors) ausgestattet und nachfolgend in den Patienten zurück infundiert. Die Rezeptor-modifizierten Lymphozyten haben nun die Fähigkeit erlangt, die Krebszellen zu erkennen und entsprechend abzutöten. Diese Therapieform wird besonders für jene Erkrankungen interessant werden, bei denen Chemotherapie und/oder Antikörpertherapie alleine zu keinem durchschlagenden Erfolg führen.

Diese und weitere Therapieansätze, aber auch neuartige Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, die zur Entwicklung von weiteren Ansätzen und Arbeitshypothesen führen, werden von den weltweit anerkanntesten ExpertInnen im Rahmen des ECI Kongresses vorgetragen und im Detail diskutiert.

‘Mit der aktuellen Immunologie-Forschung setzen wir daher einmal mehr auf die Entwicklungen besserer und neuartiger Impfstoffe (aktiv wie passiv), der Bekämpfung von Auto-Immun-Erkrankung und eine verbesserte Tumor-Abwehr durch immunologische Krebstherapie. Ganz essentiell ist dabei die Grundlagenforschung, denn nur durch sie werden diese Meilensteine erst möglich’, betont Pickl.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /