Züge auf Bremsabstand

Bestehende Schienensysteme könnten in Zukunft weit besser genutzt werden

Der Personen- und vor allem Güterverkehr auf der Schiene hat große Zuwachsraten. Zahlreiche Zugverbindungen stoßen so schon heute an ihre Kapazitätsgrenze. KIT-Forscher arbeiten deshalb zusammen mit Institutionen aus Wissenschaft und Industrie an extrem präzisen, bordautonomen Ortungssystemen, die die Kapazität bestehender Schienensysteme erheblich steigern sollen. Jetzt wurde das insgesamt mit 3,75 Millionen Euro vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Demo-Ort-Projekt bei einem Meilensteintreffen in Karlsruhe erstmals vorgestellt.

Das neue System, dessen Entwicklung das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR koordiniert, kombiniert zwei moderne, direkt im Triebwagen installierte Technologien zur Ortsbestimmung - am KIT entwickelte Wirbelstromsensoren und eine Satellitenortungseinheit, die die TU Braunschweig zur Verfügung stellt. Der Wirbelstromsensor induziert elektrische Ströme ins Gleis, die dann als Magnetfeld wieder empfangen werden. So bestimmt das am Unterboden des Zugs installierte Gerät nicht nur exakt die Geschwindigkeit, sondern erkennt auch das spezifische Muster von Weichen und Radlenkern am Gleis. Gleicht man die so gewonnenen Daten mit digitalem Kartenmaterial ab, kann die Position des Zuges eindeutig bestimmt werden. Der Wirbelstromsensor kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn das GPS-System unter besonderen geographischen oder klimatischen Bedingungen - in Tunnels, Schluchten oder bei Schnee, Eis und dicker Wolkendecke - keine Satelliten-Verbindung aufbauen kann.

Carsten Hasberg, der den Wirbelstromsensor unter der Leitung von Professor Christoph Stiller vom Institut für Mess- und Regelungstechnik des KIT weiterentwickelt, formuliert ehrgeizige Ziele: "Züge sollen künftig mit einer Genauigkeit von einem halben Meter geortet werden und genau wie Autos auf Bremsabstand fahren können". Zum Vergleich: Mit dem heutigen Standard, an den Schienen montierten Achszählern, kann die Position von Zügen nur mit einer Genauigkeit von etwa einem Kilometer bestimmt werden. Ohne einen Cent in die Infrastruktur zu investieren, so Hasberg, könnten auf dem bestehenden Schienensystem bald doppelt so viele Züge verkehren wie heute.

Der besondere Charme des Projekts liegt darin, dass nicht nur viel befahrene Strecken sehr viel effektiver genutzt werden können. Auch wenig befahrene Gleisabschnitte könnten mit bordautonomen Ortungssystemen deutlich kostengünstiger betrieben werden, da aufwändig montierte Achszähler, die kilometerlange Kabel entlang der Schienen verbinden, nicht mehr notwendig sind.

Seit August 2007 erproben die Wissenschaftler Wirbelstromsensor und Satellitenortung in AVG-Straßenbahnwägen auf der Strecke von Ettlingen in den Schwarzwald nach Bad Herrenalb in der Praxis. Das Demo-Ort-Konsortium betreibt darüber hinaus eine 30 Kilometer lange Versuchsstrecke in der slowakischen Hohen Tatra. Dort wird das Ortungssystem bei schwierigen klimatischen und anspruchsvol-len geographischen Bedingungen auf Herz und Nieren geprüft.

Anfang 2009 soll das Projekt abgeschlossen sein. Der nächste Schritt ist eine Strecke, auf der das neue Ortungssystem echte Betriebsverantwortung übernimmt. Dann will der ebenfalls beteiligte Schienenfahrzeugbauer Bombardier das Ortungssystem vermarkten. Ein weiteres Einsatzgebiet für die Technik wäre ein neuartiges Kollisionsvermeidungssystem.

Im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schließen sich das Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft und die Universität Karlsruhe zusammen.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /