Neue Hiobsbotschaften zu Ilisu-Staudamm

Täuschungsmanöver der türkischen Behörden enthüllt -Zweiter Expertenbericht stellt vernichtendes Zeugnis für Europas größtes Bauprojekt aus




Berlin - Weitere Hiobsbotschaften für die Befürworter des geplanten Staudamms im Südosten der Türkei: Die Umsieldungsexperten weisen in ihrem zweiten Bericht nicht nur nach, dass das Ilisu-Projekt weit entfernt von internationalen Standards ist, sondern auch, dass die türkischen Behörden die europäischen Regierungen zu täuschen versuchten. Insgesamt führe das Projekt zu Verarmung, Not und sozialer Isolation von etwa 65.000 Menschen, so der Bericht. Die Experten fordern eine Bauverschiebung um mindestens 3 Jahre.

Im Frühjahr 2007 hatten die Exportkreditagenturen (ECAs) aus Deutschland, Österreich und der Schweiz der Türkei ihre Unterstützung für den Ilisu-Staudamm vertraglich zugesagt, aber an die Erfüllung von 153 Auflagen gekoppelt. Ein Expertengremium wurde beauftragt, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen. Im Februar 2008 stellten diese Experten in einem ersten Bericht fest, dass nur wenige Auflagen erfüllt waren, worauf die ECAs mit Vertragskündigung drohten und die Türkei einen neuen Zeitplan erstellte.

Jetzt weist das Team von Weltbankexperte Prof. Michael Cernea nach, dass es seither keine nennenswerten Verbesserungen gab. Im Gegenteil: Das Projekt sei weit von internationalen Standards und den Auflagen der europäischen Staaten entfernt. Es drohe Verarmung, Verelendung und die Isolation der Menschen. Mit den dringend notwendigen Umsiedlungs- und Einkommensplänen für die Betroffenen ist noch immer nicht begonnen worden. Die müssen aber nach Weltbankstandards vorliegen, bevor der Bau beginnt. Deren Erstellung dauert bei derartigen Dimensionen mindestens 3 bis 6 Jahre. Die Vorbereitungen sind laut Bericht so schlecht, dass selbst der "Drei-Schluchten-Damm" in China, bisher Sinnbild für Größenwahn und Rücksichtslosigkeit, sorgfältiger geplant war. Mit dem Bau des Ilisu-Kraftwerks, so die Experten, dürfe deshalb keinesfalls begonnen werden.

Sogar Täuschungsversuche der Dammbaubehörde DSI deckten die Experten auf. Wichtige Auflagen etwa wurden im neuen Zeitplan mehrfach nicht mehr aufgeführt. Andere Maßnahmen wurden als erfüllt gemeldet, in Wahrheit jedoch nicht realisiert. Die Experten vermuten grundlegende systemische Probleme des türkischen Regierungssystems. Alle Warnungen ignorierend, begann die DSI im Januar mit dem Bau von Zufahrtsstrassen, militärischen Sicherungen und Unterkünften für die Arbeiter. Zwei Dörfer wurden bereits ohne ausreichende Entschädigung enteignet.

"Dass die türkischen Behörden nicht nur alle Ratschläge zum Schutz von Menschen, Umwelt und Kultur ignorieren, sondern ihre europäischen Partner jetzt auch noch vorsätzlich täuschten, sollte die Bundesregierung endlich zum Handeln veranlassen", kommentiert Heike Drillisch von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED die neuen Expertenberichte. "Ein weiterer Verbleib in dem Projekt führt nur zu längerem Reputationsverlust für die Bundesregierung, die finanzierende DekaBank und die beteiligte Baufirma Züblin." Die Organisation fordert die Bundesregierung auf, sofort die Ausstiegsklausel der Kreditgarantie zu aktivieren.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /