30 Jahre „Nein zu Zwentendorf“ – was lernen wir daraus?

Eine Ansichtssache von Dr. Reinhold Christian

Am 5. November 1978 ergab eine Volksabstimmung in Österreich ein denkbar knappes ‘Nein’ zur Nutzung der Atomenergie in Österreich und zur Inbetriebnahme Zwentendorfs. Zwischenergebnisse und Hochrechnungen konnten schon vor ihrer Bekanntgabe jeweils von der Miene des damaligen ‘Hochrechners der Nation’ Gerhart Bruckmann (offenbar ein Atomgegner) abgelesen werden. Die Haltung der Bevölkerung Österreichs dürfte tatsächlich etwa 50 zu 50 gewesen sein. Die Entscheidung war freilich stark überlagert durch parteipolitische Aspekte (Kreisky massiv für, Taus (daher?) gegen die Inbetriebnahme Zwentendorfs). Tschernobyl 1986 machte dann die Stimmung klar: plötzlich stand es wohl 95 zu 5 gegen AKWs in Österreich.

In den Jahren nach der Volksabstimmung befassten sich etliche Diskussionen und wissenschaftliche Untersuchungen mit der Notwendigkeit einer ‘Energiewende’ (effiziente Nutzung statt steigendem Verbrauch). Wissenschaftliche Arbeiten (wie z.B. ‘Energie 2030 – der sanfte Weg’, Österreichische Gesellschaft für Ökologie, Wien 1984) zeichneten nachhaltige Energiezukünfte. Diese Grundidee sickerte aber allmählich auch in offizielle Energiekonzepte der österreichischen Bundesregierung (ab 1984).

Verwirklicht wurde diese Wende nicht. Fortschritte der Effizienz wurden durch steigende Ansprüche überkompensiert. Der Energieverbrauch hat sich von 1970 bis 2006 fast verdoppelt, der Stromverbrauch stieg in den letzten Jahren mehrmals um die Arbeitsfähigkeit eines großen Donaukraftwerks!

Die aktuelle Hype des Themas ‘Klimawandel’ mit dem Ziel der Senkung der Treibhausgase, insbesondere des CO2, ruft späte Propheten der Atomenergie auf den Plan. Die Branche wittert eine Chance auf ein ‘Revival’. Von Sarkozy über Bush bis Berlusconi findet sie oft offene Ohren der Politik. Unsere tschechischen und slowakischen Nachbarn treten mit weiteren Ausbauvorhaben auf dem Plan (Temelin bzw. Jaslovské Bohunice und Mochovce).

Wie sieht es aus mit möglichen Beiträgen der Atomenergie zum Klimaschutz? Ist sie wirklich – wie derzeit wieder verstärkt behauptet wird – sauber, billig, unerschöpflich und sicher?

Tatsächlich ist Atomkraft

nicht erneuerbar: Nach einer Informationsschrift des deutschen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit reichen die Erzvorräte bei gleichbleibender weltweiter Stromproduktion für etwa 50 bis 70 Jahre. Setzt man die rapiden Verbrauchszuwächse diverser Prognosen an, verkürzt sich dieser Zeitraum auf vielleicht 30 bis 40 Jahre.

nicht in großen Mengen lieferbar: derzeit unterschreiten weltweit die Neubauraten jene der Stilllegung. Um den derzeitigen Anteil von Atomstrom an der Gesamterzeugung aufrecht zu erhalten müssten gemäß Prognosen der internationalen Energieagentur (die nicht im Verdacht der Atomfeindlichkeit steht) bis 2030 rund 450 neue Kraftwerke errichtet werden.

nicht sicher: Typisch für die aktuelle Diskussion ist es, dass verschiedenste Schadstoffe außer acht gelassen werden. Schon bei der Gewinnung der Uranerze und ihrer Aufbereitung spielen gefährliche Chemikalien (Fluoride…) eine wesentliche Rolle. Von den Gefahren der Radioaktivität, die den gesamten Prozess der Verwendung bis zum Atommüll begleitet, ganz abgesehen. Besonders dramatisch zeigt sich das bei ‘Störfällen’ a la Sellafield, Harrisburg oder gar Tschernobyl (1986): Laut Komitee ‘Kinder für Tschernobyl’ starben 3000 Menschen an den unmittelbaren Folgen des Unfalls. 2 900 km2 sind für Jahrtausende unbewohnbar. 130 000 Menschen mussten evakuiert werden. Träte heute ein vergleichbarer Unfall im dicht besiedelten Mitteleuropa auf, müsste wohl eine Zahl von 500 000 bis 2 Mio. Bürger evakuiert werden. Ein derartiger Vorfall müsste wohl mit einer Schadenssumme von rund 5 000 Milliarden Euro beziffert werden – ganz abgesehen von der menschlichen Katastrophe!

nicht sauber: neben den außerordentlichen Gefahren der Radioaktivität entstehen durch die Verwendung von Atomenergie auch zahlreiche gefährliche Chemikalien. Schließlich ist sie nicht einmal CO2-frei.

nicht billig: der Trick des billigen Atomstroms ist es, schwer kalkulierbare Kosten gar nicht einzurechnen und stillschweigend kommenden Generationen aufzubürden. Das Wuppertal Institut kommt auf Kosten von ca. € 2,00 pro Kilowattstunde, wenn die Risken durch eine Versicherung abzudecken wären.

Dass es für die Lagerung der radioaktiven Abfälle keine Lösung gibt, ist praktisch unbestritten. Vertuscht, übersehen oder zumindest verniedlicht wird dabei der enorme Risiko und Kostenfaktor, den die überaus gefährlichen langlebigen hochradioaktiven Abfälle bewirken: wir belasten damit zahlreiche kommende Generationen über tausende, ja Millionen Jahre hinweg. (Halten wir kurz inne: die ersten Felsmalereien sind vielleicht zwanzigtausend Jahre alt…)

Atomenergie ist also ein Trojanisches Pferd des Klimaschutzes. Sich seiner zu bedienen ist verantwortungslos gegenüber der Zukunft, gegenüber kommenden Generationen.

Welche Energiezukunft wollen wir?

Eine Energiewende – Effizienz der Nutzung, erneuerbare Energie, energiebewusstes Verhalten aller Verbraucher – brächte dagegen ohne Belastung der Zukunft viele Vorteile schon in der Gegenwart: man könnte mit geringeren Energiekosten auch bei steigenden Energiepreisen (!) auskommen. Effiziente Energienutzung sichert Arbeit und Einkommen im Inland statt Milliardenbeträge in die Öl- und Gasexportländer zu pumpen…. das Beispiel der thermischen ganzheitlichen Sanierung von Altbauten zeigt überdies, dass der Wert der Immobilie steigt, dass den Bewohnern und Benutzern ein Mehr an Komfort und Behaglichkeit gesichert wird und, natürlich, dass dem Klimawandel und Umweltschutz gedient ist. Attraktiv gestaltete öffentliche Räume verleiten zum Verweilen, zum zu Fuß gehen, Rad fahren – viele Wege können so komfortabler erledigt werden, als mit dem Auto… Wir können besser leben mit weniger Energie!

Was brauchen wir dazu?

Die Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft müssen die Ziele der Nachhaltigkeit fördern: umweltgerechtes, energieeffizientes Verhalten muss belohnt werden, Umweltzerstörung ‘bestraft’ – in drastischen Fällen verboten, ansonsten vergleichsweise teurer werden.

Es geht deshalb um ordnungsrechtliche Vorgaben (Normen für Energieverbrauch von Gebäuden aber auch von Geräten und Anlagen, von Autos…). Es geht um finanzielle Anreize durch eine aufkommensneutrale, sozial ausgewogene ökologische Steuerreform, die Energie verteuert, Lohn- und Einkommenssteuer sowie Lohnkosten aber senkt. Und es geht ganz entscheidend um sachlich fundierte Information und Motivation jedes Einzelnen von uns, zu einem persönlichen, bewusst umweltfreundlichen Lebensstil zu finden: Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit bedeuten nicht Verzicht, sondern in vielen Fällen einen deutlichen Zugewinn an Lebens- und Wohlfühlqualität!

Dr. Reinhold Christian ist Präsident des Forums Wissenschaft & Umwelt



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GastautorIn: Dr. Reinhold Christian für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /