Ökologische Industriepolitik

Ein Beitrag des deutschen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel

Kennzeichen der neuen industriellen Revolution, die wir vorantreiben wollen, ist die Ökologisierung von Technik, Produktion und Konsum. Sie ist nicht vom Selbstlauf der Märkte zu erwarten, schon gar nicht, solange Naturverbrauch nichts kostet und die späteren Reparaturkosten gestörter Ökosysteme am Markt nicht zu Buche schlagen. Solange Umweltverbrauch und Naturzerstörung keinen Preis haben, können deren Nutznießer getrost davon ausgehen, dass andere für die Rechnung aufkommen müssen, die uns die Natur am Ende unfehlbar präsentiert. Die Übereinstimmung von Ökonomie und Ökologie kann heute auf Heller und Pfennig ausgerechnet werden. Aber sie ergibt sich nicht von selbst. Sie muss angeregt, organisiert und, wenn nötig, durch verbindliche Rahmensetzungen staatlichen Handelns nachdrücklich in die Wege geleitet werden. Wir müssen den Märkten politisch auf die Sprünge helfen. Und wir sind mit Leidenschaft dabei, das auch zu tun.

Das ist die unabweisbare Konsequenz aus der Feststellung von Nicholas Stern, dass die ökologische Krise der Gegenwart nichts anderes ist als das folgenreichste Marktversagen aller Zeiten. Damit meint Stern, dass das alleinige Setzen auf Märkte bei diesen Themen eine riesige Überforderung des Marktmechanismus darstellt. Funktionsfähige Märkte bedürfen der Vorgabe eines öffentlichen Rahmens. Wer es dagegen beim Selbstlauf belässt, dem sogenannten freien Spiel der Kräfte, verursacht hohe Kosten, solche, die unsere Gesellschaften aus dem Gleichgewicht bringen. Es erwächst die Gefahr, dass mit tiefen Schnitten unsere Lebenswurzeln durchtrennt werden. Märkte macht man funktionsfähig, indem man sie zu Bestandteilen der Lösung macht, nicht dadurch, dass man sie zur Ordnung ruft oder gegen sie anrennt. Was sie brauchen, um gute Dienste für bessere Ziele leisten zu können, sind vor allem wirksame Regeln. Robert Reich hat recht: Das Einzige, was gegen Marktversagen wirklich hilft, sind klare Rahmenbedingungen, die für alle gleich und konsequent durchgesetzt werden. Demokratische Politik, also wir alle gemeinsam, müssen sie definieren und zielstrebig durchsetzen. Wirklicher technischer Fortschritt verlangt heute nicht weniger, sondern mehr gestaltenden, orientierenden Einfluss der Politik.

Bei der fälligen Neubestimmung des Verhältnisses von Technik und Umwelt geht es nicht nur um den großen Rahmen. Was wir brauchen sind zielgenaue Anstöße, die Förderung derjenigen wissenschaftlichen und technischen Optionen, die ökologisch zukunftsfähig sind und gleichzeitig wirtschaftlich produktiver als diejenigen, an deren Stelle sie treten sollen. Sie müssen auch das Potenzial zum späteren Selbstlauf auf unseren eigenen und den globalen Märkten haben, wenn sie erst einmal wirksam angestoßen worden sind. Das ist die Herausforderung einer technologischen Industriepolitik, die jetzt an der Zeit ist. Sie verlangt von uns eine intelligentere, umsichtigere und beweglichere Art, Politik zu formulieren und zu machen. Sie muss durch innovative Technologien und deren rasche Umsetzung in wirtschaftliches Handeln die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Zunahme des Wohlstands durch Wachstum und den Schutz der Natur und des Weltklimas miteinander verbinden. Nicht durch nachträgliche Reparaturen an der geschädigten und zerstörten Natur, sondern von vornherein, von innen her durch die Konstruktionsideen der Anlagen und Verfahren selbst. Das schafft nur ein revolutionärer technologischer Wandel, der alle Kräfte bündelt und auf ein verbindendes Ziel ausrichtet.

Im Zentrum der ökologisch-industriellen Revolution stehen zwei Projekte. Das eine ist die sprunghafte Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz auf allen Gebieten. Das andere ist ein ökologisch-industrieller New Deal, ein Bündnis von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zur schnellstmöglichen Erreichung dieses Ziels. Es verbindet vier Ziele miteinander, die den Nur-Ökologen und Marktradikalen als gleichermaßen unverträglich gelten: hohes Wirtschaftswachstum, neue Arbeitsplätze, Umweltsicherung und Klimaschutz sowie Konkurrenzfähigkeit auf den globalen Märkten und neue Absatzchancen.

Folgende Beispiele geben einen Hinweis auf die Größenordnungen, um die es für ein Land wie die Bundesrepublik dabei geht.

Konstruktion und Bau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien erreichen schon heute in Deutschland einen Umsatz von sieben Milliarden Euro. Dieser Betrag wird sich bis 2020 noch einmal um das Vierfache auf etwa 25 bis 30 Milliarden Euro steigern lassen. Mit Technologien zur Rohstoff- und Energieersparnis durch Recycling werden bereits gegenwärtig sieben Milliarden Euro Jahresumsatz erzielt. Eine Untersuchung von Roland Berger ergab, dass sich ihr Umsatzanteil am gesamten Bruttosozialprodukt von heute vier Prozent auf 16 Prozent mehr als verdreifachen wird. Der Einsatz von Bio-Diesel hat sich in Deutschland zwischen den Jahren 2000 und 2006, in einem halben Jahrzehnt also, von anfänglich 200000 t auf 3400000 t um den Faktor 15 steigern lassen. Das sind Aussichten für Wachstumskerne und neue Arbeitsplätze, die nicht auf Hoffnungen beruhen, sondern auf den Tatsachen, die von einer zielstrebigen Politik der Nachhaltigkeit schon heute realisiert werden konnten. Und dabei stehen wir in all diesen Bereichen erst am Anfang.

Der Export ökologischer Technologien hat an diesen Zuwächsen einen beträchtlichen Anteil. Seine Wachstumschancen sind, wie ein Blick auf die Potenziale des Weltmarkts in diesem Bereich zu erkennen gibt, erheblich. Bei Energie aus Erdwärme, Wind und Sonne kann Deutschland, wenn unsere Anstrengungen nicht nachlassen, bis zum Jahr 2020 einen Weltmarktanteil von zehn Prozent erreichen. Das entspricht einem Umsatz von 24 Milliarden Euro. Bei alldem geht es für uns um kluge Spezialisierung auf das, was wir am besten produzieren und absetzen können. Das hat zum Beispiel die Deutsche Bank Research in einer Vielzahl von Studien belegt. Dieser Erfolg kommt allerdings nicht von selbst. Vorausschauende Politik muss dafür zum Geburtshelfer werden.

Die ökologische Industriepolitik will einen grundlegenden Umbau unserer Industriegesellschaft in den nächsten Jahren. Dabei geht es sowohl um mehr Wachstum als auch um mehr Nachhaltigkeit, denn Ökologie ist die Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Um dieses zu gewährleisten, ist ein integriertes industriepolitisches Konzept notwendig, das unterschiedliche Instrumente integriert, das Wachstum und Beschäftigung ermöglicht und das Klima und Umwelt schützt.

Im Mittelpunkt stehen marktbasierte Instrumente, die das Ziel verfolgen, dass Preise endlich die Wahrheit sagen. Eine intakte Umwelt ist ein knappes Gut und die Atmosphäre als Deponieraum für Treibhausgase ist erschöpft. Und der Knappheitsanzeiger für diese Umweltgüter ist der Preis. Der Emissionshandel zum Beispiel tut genau dies, indem er CO2 einen Preis gibt, damit externe Kosten internalisiert und so Innovationsdruck für die Unternehmen aufbaut.

Ergänzt werden müssen diese marktbasierten Instrumente durch eine Kombination aus Investitionen und einer verbesserten Finanzierung, durch ein intelligentes Ordnungsrecht, dynamische Effizienzstandards ("Top-Runner"), Markteinführungsprogramme und auch durch eine verstärkte Forschungsförderung.

Umweltschädliche Subventionen müssen endlich reduziert werden. Die Energiesteuerbefreiung beim Flugbenzin allein kostet die Steuerzahler im Jahr etwa sieben Milliarden Euro. Auch die Mehrwertsteuer – durch eine intelligente Spreizung – kann einen Beitrag zu mehr ökologischer Vernunft leisten. Energieeffiziente Produkte zum Beispiel könnten mit einem halbierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent belegt werden und die Abschreibungsbedingungen könnten sich so weiterentwickeln, dass sich ressourcen- und energieeffiziente Investitionen lohnen.

Investitionen sind der Schlüssel zu mehr Wachstum und zu einem ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft. Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern eine viel zu geringe Investitionsquote. Sie liegt mit 3,8 Prozent etwa nur halb so hoch wie im Schnitt aller OECD-Länder. Mit den Beschlüssen zur Klimapolitik werden in den nächsten Jahren Investitionen in der Größenordnung von 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 mobilisiert. Das schafft zusätzlich 500000 neue Jobs. Auch die Finanzierungsmöglichkeiten müssen weiterentwickelt werden. Moderne Finanzinstrumente können dazu einen Beitrag leisten. Deutschland braucht endlich einen Green-Tech-Fonds, der im Rahmen zum Beispiel von Privat Public Partnerships neue Mittel für Investitionen in grüne Technologien ermöglicht. Aktienindizes können nützliche Stimmungsbarometer für Volkswirtschaften sein und sind Seismographen für wirtschaftliche Entwicklungstechnologien. Ein Green-Tech-Dax könnte diese Entwicklung auf dem deutschen Markt widerspiegeln und transparenter machen. Er könnte sich aus Unternehmen der unterschiedlichen Bereiche, wie zum Beispiel Ressourcenwirtschaft, Abfallwirtschaft, erneuerbare Energien und so weiter, zusammensetzen. Damit würde zusätzliches privates Kapital auf den Weg gebracht werden.

Aber auch die klassischen Instrumente der Umweltpolitik müssen berücksichtigt werden. Ordnungsrecht ist und bleibt ein klassisches umweltpolitisches Instrument. Darüber können zum Beispiel Grenzwerte für geringere CO2-Emissionen von Automobilen festgelegt werden. Ab 2012 gelten Grenzwerte von 120 g, und diese müssen in den nächsten Jahren reduziert werden über 95 g im Jahre 2020 auf 70 g im Jahr 2030.

Notwendig ist zudem eine Verstärkung der Forschungsförderung, die Leuchttürme schaffen und Man-to-the-Moon-Projekte definieren kann. Zum Beispiel im Bereich "grüne Bioraffinerie", die nicht ökologisch fragwürdige Biokraftstoffe zulasten des Regenwaldes produziert, sondern aus Klärschlamm Diesel und aus Stroh Benzin erzeugt. Oder um ein anderes Beispiel aus dem Bereich Mobilität zu nennen, die Förderung der Elektromobilität. Dazu ist die Weiterentwicklung der Batterietechnologie eine Schlüsselfrage und bietet erstmals seit Jahrzehnten die Chance, die aus Deutschland abgewanderte Batterieindustrie mit ihren Arbeitsplätzen zurück ins Land zu holen.

Diese Beispiele ließen sich beliebig ergänzen. Sie zeigen, dass eine intelligente Kombination von Markt, Ordnungsrecht, Investitionsanreizen und Investitionen in Forschung und Entwicklung den Umbau möglich macht. Industriepolitik ist Zukunftspolitik. Sie richtet Märkte auf die Bedarfe und Herausforderungen von morgen aus.

Auszug aus: "Links neu denken - Politik für die Mehrheit" von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (erschienen im Piper-Verlag, 2008)


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /