Wie verändert das globale Finanzsystem den Raum?

Factsheet aus "Verbaute Zukunft?" - Wissenschaft & Umwelt interdisziplinär 12/2009 (hg. vom Forum Wissenschaft & Umwelt) - nach Beiträgen von Susanne Heeg und Reinhard Seiß

Großstädte sahen sich in den vergangenen Jahrzehnten einem steigenden Druck ausgesetzt, der ihre Handlungsspielräume mehr und mehr einzuschränken schien. Die Konkurrenz der Städte untereinander im "Städtewettbewerb" um Investoren, Unternehmen und zahlungskräftige Haushalte verschärfte sich.

Dazu kam, dass sich die Immobilienmärkte in den letzten zwanzig Jahren stark gewandelt haben, wie die deutsche Stadtgeographin Susanne Heeg analysiert. Im Prozess der Globalisierung verloren lokale Märkte ihre Eigenständigkeit als isolierte Welten mit eigenen Regelwerken. Bis zur Deklaration des freien Grundverkehrs durch die Europäische Union waren in Westeuropa kaum grenzüberschreitende und überregionale Immobiliengeschäfte getätigt worden, und Investoren und Entwickler waren in regionale Netzwerke von Regelungen, Banken, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern eingebunden (was noch nichts über die Nachhaltigkeit von deren baulichen Projekten aussagt). Seit den 1980er-Jahren jedoch wuchsen die Immobilienmärkte mehr und mehr zusammen. Nationale und lokale Regulierungen wurden abgebaut. Die Akteure und Bedingungen auf den Immobilienmärkten veränderten sich.

Eine ganz entscheidende und wesentliche Rolle spielte dabei die Deregulierung des internationalen Finanzsystems, das zu einem zentralen Träger wirtschaftlicher Veränderungen wurde. Die internationalen Kapitalflüsse wurden freigegeben und Kapitalflüsse in der Folge weniger durch nationale Zinsniveaus oder produktive Investments gelenkt, sondern zunehmend durch jene Renditen, die auf den globalen Finanzmärkten erzielt werden konnten. Das Kapital für neue Bauprojekte kam nun nicht mehr zum allergrößten Teil von den Banken.

Immobilienfonds, bei denen wiederum Pensionsfonds, Versicherungen oder Vermögensverwaltungen ihr Kapital anlegten, wurden - zusammen mit Immobilien-AG’s, Real Estate Investment Trusts oder Real Estate Private Equity - zu bedeutenden Kapitalgebern. Damit betrachtete man Immobilien zunehmend unter renditebezogenen Gesichtspunkten.

Immobilieninvestments müssen also den Anforderungen des Finanzmarkts genügen. Der Druck, eine gewisse Rendite zu erzielen, führt dazu, dass ganze Immobilienportfolios analysiert, bewertet, neu kombiniert, gekauft und verkauft und weniger ertragreiche und riskantere Objekte abgestoßen werden. Das Kapitel konzentriert sich in zentralen großstädtischen Gunstlagen und wird in konjunkturellen Flauteperioden rasch zurückgezogen. Das führt dazu, dass in Boomphasen mit guten Aussichten auf hohe Renditen die Preise rasant steigen, zu viel investiert und zu viele Bauprojekte begonnen werden, während im Abschwung zu wenig Geld für Sinnvolles und Notwendiges vorhanden ist, so Heeg: "In Boomphasen entstehen viele Bauprojekte, für die möglicherweise auf Jahre kein oder nie Bedarf besteht. Insbesondere an Stadträndern bedeutet dies Bodenversiegelungen und unbelebte Bauhülsen, die zum Teil bis zum Abriss oder zur Sanierung nie Nutzer finden."

Die Befürchtung, dass bei nicht ausreichender Unterstützung von Investoren andere Städte den Zuschlag erhalten, berge die Gefahr einer gewissen Willfährigkeit der Planungspolitik. Der Wiener Stadtplaner und Publizist Reinhard Seiß bestätigt diesen Eindruck aus seinen Kenntnissen der Verhältnisse in der Donaumetropole Wien: Ob im Fall der "Wienerberg City", von "Monte Laa" oder "TownTown", Hochhauskomplexen an den Rändern Wiens - in allen Fällen kam die Stadt den Wünschen der Projektentwickler weitestgehend entgegen und verzichtete auf die Durchsetzung eigener planerischer Ziele. Fehlende Freiraumkonzepte, monofunktionale Bauten in überdimensioniertem Maßstab, fehlende öffentliche Verkehrsanbindungen, unmittelbare Nähe von Wohnungen zu Hauptverkehrsstraßen tragen zur Minderung der urbanen Lebensqualität bei - und bedeuten für die öffentliche Hand darüber hinaus noch massive Folgekosten.

Es geht auch anders, meint Seiß, und verweist auf München, das seit den 1990er-Jahren nicht davor zurückschreckt, von den Entwicklern großer Projekte (den "Planungsbegünstigten") zwei Drittel der Bodenwertsteigerungen einzufordern und an die Allgemeinheit weiterzugeben (unter anderem in Form von Grün- und Erholungsflächen, Sozialwohnungen oder Kindergärten). Das sei zwar per se noch kein Instrument zur Qualitätssteigerung im Städtebau, doch bewahre es die Stadt vor Investoren, die fragwürdigste Projekte allein wegen grundstücksspekulativer Gewinne in Angriff nehmen. Was München kann, könnten andere Städte auch. Dies gelte nicht zuletzt für Wien, appelliert Reinhard Seiß an die Stadtväter: "Über die Siedlungsentwicklung könnte die Kommunalpolitik in hohem Maße selbst bestimmen."

Zusammenstellung nach Beiträgen von Susanne Heeg und Reinhard Seiß, erschienen in "Verbaute Zukunft?", Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Nr. 12/2009



Quelle: Forum Wissenschaft und Umwelt

GastautorIn: Susanne Heeg & Reinhard Seiß für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /