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"Die Presse"-Leitartikel: Das neue Weltthema Klimaschutz

von Martin Kugler

Der Klimawandel versammelt die gesamte Menschheit an einem Tisch. Das könnte derzeit kein anderes Thema.

Die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen sprengt alles bisher Dagewesene. Mit rund 15.000 Teilnehmern ist sie definitiv die größte internationale Konferenz, die jemals in Europa, wenn nicht sogar auf der Welt, stattgefunden hat. Das Treffen von 193 Staaten ist zudem so imposant inszeniert wie keine diplomatische Konferenz zuvor. Geht man durch Kopenhagen und durch das ausgedehnte Konferenzareal, wähnt man sich in einem großen Happening. Alles ist bunt, marktschreierisch, emotional, jedenfalls riesig aufgezogen. Einen nüchternen, rationalen Zugang hat kaum jemand. Es geht um starke Interessen, und da ist jedes Mittel recht, um sich gute PR zu verschaffen. Dass der Klimaschutz zu einem so dominanten Thema werden wird, hätte sich vor 20 Jahren wohl keiner der Wissenschaftler vorstellen können, die vor den Gefahren eines ungebremsten CO2-Ausstoßes gewarnt hatten.


Das Thema wurde mit der Zeit immer größer: Erst wurde es von einzelnen Staaten entdeckt, dann von der UNO und von den Medien, schließlich auch von Populisten. Es bekam eine ungeheure Eigendynamik, heute brennt das Thema Klimawandel unter den Nägeln unzähliger Menschen auf der ganzen Welt. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Erstens die Sache selbst. Man mag zu den wissenschaftlichen Argumenten und Ergebnissen stehen, wie man will, man mag sie glauben oder nicht: Selbst eine kleine Möglichkeit, dass die Welt zu einem ungemütlichen, vielleicht sogar lebensfeindlichen Planeten wird, betrifft jeden Menschen; ja, trifft jeden im Innersten.

Noch viel wichtiger ist aber ein anderer Faktor: Der Klimaschutz eignet sich ausgezeichnet dazu, andere Probleme zu thematisieren - aber unter einer anderen Überschrift. Der wichtigste dieser Aspekte ist die Sicherheit der Energieversorgung: Die nächste russische Gaskrise und der nächste Konflikt mit arabischen Ölstaaten kommen bestimmt, daher sind die Förderung einheimischer, erneuerbarer Energiequellen und damit die Verringerung der Importabhängigkeit ein Gebot der Stunde. Auch die Art und Weise, wie wir wirtschaften, ob unser Wirtschaftssystem nachhaltig und globalisierbar ist, lässt sich unter dem Gesichtspunkt des CO2-Ausstoßes trefflich abhandeln. Und nicht minder wichtig ist noch ein dritter Themenkomplex: die Bekämpfung der weltweiten Armut. Diese ist in den Augen vieler Experten untrennbar mit dem Klimaschutz verknüpft: Der Klimawandel trifft arme Staaten am stärksten und behindert deren Entwicklung, ohne Wohlstand können sie sich aber Klimaschutz nicht leisten.

Die Umweltpolitik im engeren Sinn tritt beim Klimaschutz dagegen in den Hintergrund. Ja, noch mehr: Umweltpolitik in einer umfassenden Bedeutung - dass Luft, Wasser, Boden, Vogelwelt usw. geschützt werden - hat sich aus der öffentlichen Wahrnehmung und aus der Politik verabschiedet. In einer Art Scheuklappenblick geht es derzeit nur mehr um das Klima. Faktum ist jedenfalls, dass der Klimaschutz zum neuen Weltthema geworden ist. Das, was früher einmal der Kalte Krieg oder der Welthandel war, ist nun der Klimawandel. Selbst die globale Finanz- und Wirtschaftskrise bringt keine so breite Beteiligung mit sich. Und auch keine so große Betroffenheit, obwohl die Auswirkungen Millionen Menschen unmittelbar betreffen - und das beim Klimawandel erst in 20 oder 50 Jahren der Fall sein wird.

Dieses neue Thema bringt die Welt an einen Tisch - mehr als 110 Staats- und Regierungschefs reisen nächste Woche nach Kopenhagen. Ob es dort auch zu einer Einigung kommen wird, steht freilich auf einem anderen Blatt. Die Vorstellungen der Staatengruppen liegen weit auseinander, mehr als politische Willensbekundungen werden bei der Konferenz wohl nicht herauskommen. Die UNO und der dänische Vorsitz geben sich alle Mühe, zumindest zwei Dinge unter Dach und Fach zu bekommen: langfristige CO2-Reduktionsziele und eine Finanzierungsstruktur, die arme Länder beim Klimaschutz wirksam unterstützt. Die Verhandler stehen unter einem hohen Erfolgsdruck. In jüngster Zeit wurde für die Kopenhagener Klimakonferenz eine riesige Erwartungshaltung aufgebaut. Seit zwei Jahren wird auf das jetzige Treffen, das immer wieder "Entscheidungskonferenz" genannt wird, hingearbeitet. Das äußert sich schließlich auch in der riesenhaften Inszenierung. Wenn man bedenkt, wie langwierig und mühevoll internationale Verhandlungen sind, dann ist das vielleicht auch der einzige Weg, damit wirklich Fortschritte erzielt werden können.

Rückfragehinweis: Die Presse Chef v. Dienst www.diepresse.com

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OTS0094 2009-12-08/17:55



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /