Ex-Chef der bulgarischen Atomaufsicht spricht sich gegen AKW Belene aus

Nichtregierungsorganisationen werfen der Kommission Nachlässigkeit vor

Die Auseinandersetzung um die Pläne der bulgarischen Regierung, ein Atomkraftwerk in einem Erdbebengebiet zu bauen, erreichen nun Brüssel. Dr. Gueorgui Kastchiev, ehemaliger Leit! er der bulgarischen Atomaufsicht präsentiert heute auf einer Pressekonferenz eine lange Liste von Problemen und stellt fest: ‘Ich bin der Meinung, dass das Atomkraftwerk Belene so schnell wie möglich gestoppt werden muss.’

Kastchievs Aussage kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt: es wird erwartet, dass die Europäische Kommission Anfang Dezember eine offizielle Stellungnahme zu Belene veröffentlicht. Diese ist zwar nicht verbindlich, trotzdem hat die bulgarische Regierung intensiv lobbyiert, damit die Stellungnahme positiv ausfällt. Dies ist die Voraussetzung, um finanzielle Unterstützung von Euratom oder Kredite der Europäischen Investitionsbank zu bekommen.

Dr. Kastchiev, inzwischen leitender Atomexperte am Institut für Risikoanalyse der Universität Wien, Petko Kovatchev von der bulgarischen ‘Nein zu Belene’-Koalition, Heffa Schücking von der Umweltorganisation urgewald und Jan Haverkamp von Greenpeace treffen heute Vertreter der Europäischen Kommission um über die bevorstehende Stellungnahme zu Belene zu diskutieren.

Jan Haverkamp erklärt: ‘Die Bedeutung der Stellungnahme ist nicht zu unterschätzen. Das Projekt hat große finanzielle Schwierigkeiten und ohne Euratom-Geld kann es kaum fertig gestellt werden.’

Der Plan, ein Atomkraftwerk nahe der Stadt Belene in Nordbulgarien zu bauen, hat eine bewegte Geschichte: Das Kraftwerk wurde in den 80ern geplant und der Bau begonnen, in den 90ern wurde das Projekt gestoppt und im Jahr 2002 wieder aufgenommen. Momentan ruht der Bau, da Privatbanken für das kontroverse Projekt kein Geld geben wollen.

Laut Dr. Kastchiev ‘stellt Belene ein nicht tolerierbares Sicherheits- und Umweltrisiko dar. Die fehlende Betriebserfahrung mit dem geplanten Reaktortyp, der Mangel an qualifiziertem Personal und effektiven Kontrollen wird zweifellos zu schlecht ausgeführten Bauarbeiten führen’, sagt er. ‘Wenn man das hohe seismische Risiko der Bauregion und den niedrigen Atomsicherheitslevel in Bulgarien zusammenzieht, kann man nur zu einem Schluss kommen: Dieses Projekt darf nicht weitergeführt werden.’

Dr. Kaschiev hat 34 Jahre Erfahrung im Atomsektor, die Hälfte davon direkt im Anfahren und Betrieb von Atomkraftwerken dieses Typs. Bezüglich der anstehenden Entscheidung sagt er: ‘Es wäre ein Fehler, wenn nur die Baupläne als Basis der Kommissions-Stellungnahme herangezogen werden, während die Realität, wie ein solches Projekt in Bulgarien durchgeführt wird, unbeachtet bleibt.’

Es ist nicht! das ers te Mal, dass Dr. Kastchiev sich zu Wort meldet. Im letzten Jahr warnte er vor einem Vorfall im bulgarischen Atomkraftwerk Kosloduj, wo ein Drittel der Regulationsstäbe ausfielen. Die bulgarischen Behörden bewerteten den Vorfall als völlig unbedenklich. Kastchiev brachte das Geschehen an die Öffentlichkeit, woraufhin die bulgarischen Behörden den Vorfall in der Risikorelevanz höher einstufen mussten. ‘Dies ist nur einer von vielen Fällen, wo die bulgarische Atomaufsicht versuchte, Probleme unter den Teppich zu kehren’, so Kastchiev.

Dr. Kastchiev weist außerdem darauf hin, dass die bulgarischen Behörden das Erdbebenrisiko abstreiten. Er zeigt jedoch mit einer Karte der europäischen seismologischen Kommission von 2003, warum zum Beispiel 1977 in Svishtov 120 Personen starben, einer Stadt, die nur 14 km von Belene entfernt liegt. ‘Es sollte die Alarmglocken bei der Kommission klingeln lassen, dass die bulgarischen Behörden das Erdbebenrisiko einfach abstreiten’, erklärt er.

Doch offensichtlich will auch die Kommission dieses Problem ignorieren. Heffa Schücking, Geschäftsführerin von urgewald erklärt: ‘Unsere bisherigen Gespräche mit der Kommission zeigen, dass diese die wichtigsten Aspekte zur Bewertung von Belene gar nicht prüfen. Die Qualität der Umweltverträglichkeitsprüfung, die Frage des Erdbebenrisikos und die schlechte Sicherheitskultur der bulgarischen Atomindustrie spielen im Prüfungsprozess keine Rolle.’ Dabei weist sie darauf hin, dass schon in den 80er Jahren sow! jetische Wissenschaftler vor dem Standort Belene wegen des Erdbebenrisikos gewarnt haben. Ihrer Meinung nach ‘ist die Prüfung der Kommission bei Belene fehlerhaft, nachlässig und unverantwortlich. Dabei bedeutet das Projekt ein Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Millionen Europäern.’

Schücking ist nicht allein mit ihrer Meinung. In den vergangenen Tagen hat die Kommission tausende E-Mails von besorgten Bürgern aus ganz Europa erhalten. ‘Wir hoffen sehr, dass die öffentlichen Bedenken dazu führen, dass die Kommission nicht russisches Roulette mit unserer Zukunft spielt, indem sie sich positiv zu dem Projekt äußert’, sagt Petko Kovatchev.

Elvira Pöschko, Obfrau des oberösterreichischen Antiatom-Vereins ‘Antiatom Szene’ erklärt: ‘Auch auf unserer Homepage www.antiatomszene.info gibt es ein Online-Protestformular. Mittlerweile haben viele Menschen dieses genutzt um ihre Bedenken gegen Belene und gegen eine positive Entscheidung der Kommission kundzutun.’

Hintergrundinformation:

Der Bau von Belene begann 1985. Das Projekt wurde 1992 wegen Umweltproblemen und wirtschaftlichen Risiken! gestopp t. Im Jahr 2002 wurden die Belene-Pläne jedoch wieder ausgegraben und im Jahr 2006 beauftragte die bulgarische Regierung den russischen Konzern Atomstroyexport damit, zwei Reaktoren zu bauen. Das gewählte Design AES 92 besteht aus zwei WWER 1000/466B Reaktoren, die weltweit noch nirgendwo industriell betrieben werden und für die es bisher weder Sicherheitsanalysen noch Betriebserfahrung gibt. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde im November 2004 fertig gestellt, lange bevor ein Reaktortyp fest stand und wurde gerichtlich angefochten.

Dr. Gueorgui Kastchiev war einer der führenden Manager des AKW Kosloduj von 1972 bis 1989 und war Chef der bulgarischen Atomsicherheitsbehörde von 1997 bis 2001. Aktuell ist er leitender Nuklearexperte am Institut für Risikoanalyse der Universität Wien.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /