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"Nachrüstungsliste" bestätigt wesentliche Biblis-Mängel

Zentrale Vorwürfe der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW über gravierende Sicherheitsdefizite im Atomkraftwerk Biblis B sind zutreffend

Während die Hessische Atomaufsicht, der TÜV Süd, und der Atomkraftwerksbetreiber RWE seit Jahren alle Sicherheitsmängel in Biblis B abstreiten, bestätigt die deutsche Bundesregierung in ihrer gemeinsam mit der hessischen Atombehörde erstellten Nachrüstungsliste vom 3. September 2010: Zentrale Vorwürfe der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW über gravierende Sicherheitsdefizite im Atomkraftwerk Biblis B sind zutreffend. Einige der erforderlichen Nachrüstmaßnahmen beziehen sich ausdrücklich auf Druckwasserreaktoren der "2. Baulinie", womit unter anderem Biblis B gemeint ist.



Als kurzfristig umzusetzende Maßnahme sieht die "Nachrüstliste" der Fachbeamten des Bundes und der Länder beispielsweise vor, dass das zügige Herunterfahren des Atommeilers beim gefürchteten "kleinen Leck" automatisch ausgelöst werden müsste ("Automatisierte Auslösung des sekundärseitigen Abfahrens mit 100 K/h"). Die IPPNW bemängelt schon seit Jahren, dass dies in Biblis B nicht der Fall ist.



Für den TÜV Süd, Gutachter der hessischen Atombehörde stellte die fehlende Automatisierung der Abschaltung des Atomkraftwerks angeblich kein Problem dar. In einem Schreiben des TÜV Süd an die Behörde vom 11. Februar 2008 heißt es zu der Thematik: ‘Ein Sicherheitsdefizit ist nicht ableitbar.’ RWE hatte der Atomaufsicht bereits am 2. April 2004 mitgeteilt: Man habe nachgewiesen, dass die fehlende Automatisierung ‘keine signifikant schlechtere Verfügbarkeit’ ausweise, da die Handmaßnahme ‘geschult’ und ‘vom Schichtpersonal verinnerlicht’ worden sei. In ihrer förmlichen Entscheidung vom 10. April 2008, dem IPPNW-Antrag zur Stilllegung von Biblis B nicht zu entsprechen, schreibt die hessische Atomaufsicht bezüglich der detaillierten Mängelliste der IPPNW, es handele sich um ‘pauschale Behauptungen oder Behauptungen ins Blaue hinein’. Noch vor zwei Tagen sagte die hessische Umweltministerin Lucia Puttrich in der ‘Tagesschau’: Biblis sei sicher. Keine der 80 vom Gutachter der Bundesatomaufsicht als ‘sicherheitsrelevant’ bewerteten Punkte ist nach Aussage der Ministerin ‘sicherheitsrelevant’. Die Bund-Länder-Nachrüstungs-Liste, an der auch die hessische Behörde mitgewirkt hat, straft nun diese Aussage lügen: Die Fachbeamten halten eine automatisierte Abschaltung des Atommeilers ‘kurzfristig’ für erforderlich.



Auch der IPPNW-Vorwurf, Biblis B verfüge nicht über ein schnell wirkendes chemisches Abschaltsystem ("Zusatzboriersystem") wie neuere Atomkraftwerke wurde stets abgetan. Obwohl das Sicherheitssystem für die äußerst gefährlichen "Dampferzeuger-Heizrohrlecks" relevant ist und es in Biblis B vor Jahren bereits eine kleine Leckage gab, war für den TÜV Süd 2008 ein Sicherheitsdefizit "nicht erkennbar". Und die Fachbeamten des hessischen Umweltministeriums schrieben am 12. Februar 2008 in einem internen Vermerk für den damaligen Minister: "Alle vorgebrachten Punkte … sind nicht ausreichend begründet." Jetzt heißt es in der Nachrüstliste der Bundesregierung: "Implementierung eines Zusatzboriersystems".


Selbst der Umstand, dass die Notkühlwassermenge in Biblis B knapp ist, wurde ‘wegdiskutiert’. Der TÜV erkannte wiederum keine Sicherheitsdefizit und RWE schrieb, ‘die ausreichend in den Flutbehältern vorgehaltene Kühlwassermenge wurde … nachgewiesen’. Die Atombehörde ließ über ihren Rechtsanwalt dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 26. August 2009 zu den ‘angeblichen Sicherheitsmängeln’ mitteilen: ‘Die Behauptungen sind fachlich unbegründet.’ Jetzt fordern die Fachbeamten in der Aufsichtsbehörden: ‘Vergrößerung der Flutbehälterinventare’. Die Nachrüstliste bestätigt eine Reihe weiterer Sicherheitsdefizite von Biblis B. So beispielsweise die unzulänglichen ‘Speisewasservorräte’, den unzureichenden Schutz gegen Brände und Überflutungen, das fehlende ‘Probenahmesystem’ für den Fall einer Kernschmelze, die unzureichende räumliche Trennung von Sicherheitssystemen und Rohrleitungen, Defizite beim Notkühlsystem (Rückförderungsmöglichkeit aus dem Sumpf für den Hochdruck-Pfad), das fehlende ‘An- und Abfahrsystem’, fehlende Ventile an den Dampferzeugern, überflüssige Schweißnähte, veraltete Werkstoffe.

Quelle:
IPPNW 2010


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /