© Julia Baier  und Stefan Diefenbach-Trommer
© Julia Baier und Stefan Diefenbach-Trommer

Deutscher Atomausstieg- schon wieder verschoben?

Atomausstieg erst 2022 ist für NGOs inakzeptabel / Merkel macht Rückzieher von "Ausstieg so schnell wie möglich"

Berlin- Noch Anfang des Monats informierte die deutsche Bundesregierung darüber, dass sie die Umsetzung eines Energiekonzeptes beschleunigen will und warb um Unterstützung für die energiepolitische Neuorientierung.

Im Hintergrund dürfte eine Kehrtwende schon gelaufen sein. Mehrere Medien berichteten in den letzten Tagen, dass das deutsche Umweltbundesamt auf Wunsch des deutschen Umweltministers eine Studie zurück hält, die aufzeigt, das ein Atomausstieg auch sofort möglich wäre.

Die Politik macht nun bei der Atomkraft auch offizell wieder einen Rückzieher- heute nacht wurde ein Atomausstieg bis 2022 unter den deutschen Koalitionsparteien vereinbart. Die 8 Atomkraftwerke, die bereits nach Fukushima abgeschaltet wurden, sollen außer Betrieb bleiben.

Greenpeace reagiert bestürzt auf den Atomdeal zwischen den Koalitionsparteien. Entgegen dem Versprechen von Bundeskanzlerin Merkel, aus der Atomkraft "so schnell wie möglich" auszusteigen, sollen die letzten deutschen Atomreaktoren nun frühestens im Jahre 2022 vom Netz gehen. Es bleibt nach wie vor unklar, ob ein Parlamentarischer Beauftragter für die Energiewende eingesetzt werden soll. Damit könnte den Atomkonzernen Tür und Tor geöffnet werden, den Atomausstieg noch weiter zu verzögern.

"2022 ist für Greenpeace absolut inakzeptabel", sagt Tobias Münchmeyer, Energieexperte bei Greenpeace. "Ein Ausstieg bis 2022 ist nicht der ,schnellstmögliche' den sie versprochen hatte, sondern ein unverantwortlich langsamer Ausstieg. Merkel hat ihr Wort gebrochen und nichts aus Fukushima gelernt. So setzt sie Millionen von Menschenleben noch elf Jahre unnötigerweise einer hohen Gefahr aus." Greenpeace hatte vorgerechnet, dass ein schnellstmöglicher Atomausstieg innerhalb von vier Jahren versorgungssicher möglich ist.

Der von der Ethik-Kommission empfohlene Parlamentarische Beauftragte für die Energiewende und das damit verknüpfte Monitoring-System sollen jährlich die Grundlagen liefern für die Entscheidung, wann und welche Atomkraftwerke abgeschaltet werden können. Greenpeace kritisiert, dass damit kein Anreiz geschaffen würde, früher als 2021 auszusteigen, sondern das Gegenteil: Atomkonzerne und Interessensgruppen könnten den Ausstieg in die Länge ziehen, indem sie zum Beispiel den Netzausbau oder Kraftwerksinvestitionen verzögern und so die Abschaltdaten nach hinten verschieben. "Damit würde den Konzernen Tür und Tor für Missbrauch und Manipulation geöffnet werden", sagt Tobias Münchmeyer. "Wir brauchen klare und verbindliche Abschaltdaten für jeden Reaktor. Nur so gibt es die für den Stromsektor dringend notwendige Investitionssicherheit und endlich eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung."

Das Datum für den Ausstieg dürfte eher willkürlich festgelegt worden zu sein. Es gibt dafür keinen technisch, ökonomisch oder sozial zwingenden Grund. Nach bisher vorliegenden Informationen hält die Kommission auch einen schnelleren Atomausstieg für möglich und wünschenswert, wenn die Energiewende schnell genug vorankommt. "Darauf ist Frau Merkel gar nicht eingegangen. Sie hat einfach nur das Maximum dessen für die Konzerne herausgeholt, was sie glaubt, der Bevölkerung und der Opposition zumuten zu können. Eine mutige Entscheidung sieht anders aus", so Münchmeyer.

Greenpeace fordert von Bundeskanzlerin Merkel, bis 2015 aus der Atomkraft auszusteigen, fixe Abschaltdaten ohne Hintertürchen für jeden Atommeiler festzulegen und kein Atomkraftwerk als Kaltreserve in Betrieb zu lassen.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht in dem Kompromiss der Regierungsparteien für einen Atomausstieg bis 2022 keine akzeptable Antwort auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Die Atomenergie sei ein tägliches, unverantwortbares Risiko für die Bevölkerung und könne viel schneller durch umweltfreundliche und sichere Alternativen ersetzt werden. Die Bundeskanzlerin breche nun mit einem verzögerten Atomausstieg, wie er bereits vor zehn Jahren von Rot-Grün beschlossen worden sei, ihr Versprechen.
Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender: ‘Angela Merkel inszeniert sich als Mutter Theresa der Energiewende. Sie setzt weiter auf eine Verschleppung des Atomausstiegs bis 2022. Immer noch gibt es Hintertüren, die ein Rollback beim Atomausstieg ermöglichen. Wenn einer der alten und störanfälligen Atommeiler weiter in Reserve gehalten werden soll, ist dies nicht nur inkonsequent, es ist auch ein viel zu großes Risiko.’

Alle deutschen Atomkraftwerke hätten gravierende Sicherheitsprobleme. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit, alle Reaktoren ohne Wenn und Aber und ohne Verzögerungen vom Netz zu nehmen. Weiger: ‘Es wird keine Stromausfälle und es wird keine Importe von Atomstrom geben. Jede Hintertür für den endgültigen und sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie ist Gift für die dringend erforderliche Energiewende.’

Den Energiekonzernen dürfe auf keinen Fall ermöglicht werden, den Atomausstieg zu verschleppen und Abschaltdaten zu verschieben. Weiger forderte deshalb eindeutige und verbindliche Abschaltdaten für jeden Atommeiler. Nur dann gebe es die Investitionssicherheit, die der deutsche Energiesektor dringend benötige. Deutschland könne ein Modell für andere Staaten sein, wenn es auf die gefährliche Atomenergie verzichte. Eine Neuorientierung der Bundesregierung in Sachen Energiepolitik sei nur glaubhaft, wenn der Atomausstieg einem schnellen und klaren Fahrplan folge.

Die Studie des deutschen Umweltbundesamts soll übrigens nächste Woche nun doch vorgestellt werden. Man darf gespannt sein.



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /