© Solar-Fabrik AG
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Sun and Sense 2008: Solararchitekten fordern mehr Experimente beim Bauen

Kreative Gesamtkonzeptionen für jedes Gebäude statt vorgestanzte, globalisierte architektonische Einheiten – Europäische Konferenz in Berlin

BERLIN. ‘Das Bauministerium ist eigentlich das wichtigste Energieministerium’, erklärte Eurosolar-Präsident Hermann Scheer bei der Eröffnung der 7. Europäischen Konferenz ‘Solarenergie in Architektur und Stadtplanung’ am Dienstag in Berlin. Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in Europa dienen der Wärmeregulierung in Gebäuden. Durch effiziente energetische Sanierung des Wohnungsbestands gebe es hier ein hohes Einsparpotential. Durch die mögliche Energieautonomie der Gebäude werde sich ein kultureller Wandel manifestieren, der die Verbindung von individueller Freiheit und Gemeinnützigkeit schaffe, prophezeite Scheer, der ‘Schatten-Umweltminister’ einer geplanten SPD-Regierung in Hessen.

Bei der von Eurosolar und dem deutschen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung veranstalteten Konferenz, zu der sich fast 400 Experten aus allen Kontinenten angemeldet haben, steht die Energiefrage des Bauens und Wohnens im Mittelpunkt, vom einfachen Haus bis hin zu komplexen Siedlungsstrukturen. Die ursprüngliche Anregung, Solarenergie, Architektur und Stadtplanung in Europäischen Konferenzen gemeinsam zu betrachten kam 1987 von der Europäischen Kommission. Bei der vierten Konferenz 1996, ebenfalls in Berlin, formulierten rund 30 in ihren Ländern sehr bedeutende Architekten und Stadtplaner die ‘Europäische Charta für Solarenergie in Architektur und Stadtplanung’, kurz ‘Solar-Charta’ genannt.

‘Die Solar-Charta ist ein europäisches Dokument, unterschrieben in Anwesenheit des zuständigen EU-Kommissars’, berichtete Thomas Herzog von der TU München, einer der Verfasser dieser Charta. Auch wenn der Text inzwischen zwölf Jahre alt sei, wirke er noch so aktuell wie je. Das liege leider auch daran, so Herzog, dass inzwischen zwar zahlreiche Einzelprojekte des solaren Bauens entstanden seien, aber viele Architekten den Aspekt der Energieeffizienz und sogar der Energiegewinnung mit ‘Gebäuden als technischen Großgegenständen’ zu wenig in ihre Planungen integrierten, dies auch an den Hochschulen zu wenig behandelt werde.

Diese gesamtheitliche Betrachtung sei zeit- und etwa um 50 Prozent kostenaufwendiger als die bisherige Planung in Teilaspekten, rentiere sich aber durch die Energieeinsparung sehr schnell. Doch auch in der Architektur habe die Globalisierung Einzug gehalten, beim Bauen würden die lokalen klimatischen Bedingungen zu wenig beachtet. Bauplanung müsse eine ‘Modellierung eines thermodynamischen Gesamtkonzepts in Einzelschritten in einem Team von Architekt, Ingenieur und Naturwissenschaftler’ werden. Notwendig sei eine Verbindung von angewandter Forschung und künstlerischer Weiterentwicklung, ‘Pädagogik und Industrial Design’, forderte Herzog. Es herrsche ein zu geringes Bewusstsein für den beim Wohnen - bis zum Tag der Rechnung - unsichtbaren Energieverbrauch. Planungen in Teilbudgets durch Bauherren verhindern integrative Ansätze, Denken in vorgestanzten architektonischen Einheiten verhindern kreative Lösungen. ‘Experimente außerhalb der etablierten Systeme werden zu wenig gemacht’, bilanzierte Herzog. Ziele einer solaren Architektur in der Stadtplanung solle eine Entwicklung von Stadtvierteln der kurzen Wege, der Mischnutzung und der hohen Verdichtung sein.

Um dies zu ändern und auch der von Bauminister Wolfgang Tiefensee dringend geforderten größeren Interdisziplinarität beim Bauen gerecht zu werden, diskutieren Architekten, Stadtplaner, Energieforscher, Bauherren und Bauingenieure noch bis zum Freitag im Berliner Bauministerium über einzelne Gebäude wie Plusenergiehäuser, über neue Solarstromsysteme und Photovoltaikfolien ebenso wie über Projekte in Bangladesh oder die Suncity im obersteirischen Weiz, über Städte und Siedlungen als Solarkraftwerke, Stadt-Umland-Beziehungen und den Nutzen Erneuerbarer Energien in den Megastädten der Schwellenländer. Exkursionen werden die Teilnehmer zum ‘solaren Regierungsviertel’ auf der anderen Spreeseite bringen und zum ‘Quartier Solaire’, der alten und nach der Wende heruntergekommenen Speicherstadt Potsdams.


Solar-Charta, herausgegeben vom Prestel-Verlag und Thomas Herzog, 2007

GastautorIn: Susanne Stracke-Neumann, Berlin für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /