© Gerd Altmann / pixelio.de
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Ergreifen Sie die Initiative in Fukushima – Ein Offener Brief an Generalsekretär Ban Ki-moon

Blog von Akio-Matsumura- übersetzt von AFAZ

Sehr geehrter Generalsekretär Ban Ki-moon!

Zweifellos haben Sie die Fukushima-Katastrophe vom 11. März 2011 mit Schrecken und Sorge verfolgt: Was würde ein weiteres Desaster für die Beziehungen zwischen den Staaten, besonders in ihrer Heimatregion Ostasien, bedeuten? Glücklicherweise – so schien es – beschränkten sich die Auswirkungen hauptsächlich auf die japanische Insel und schienen geringer, als viele Experten vorausgesagt haben. Innerhalb von ein paar Wochen wurde in den großen Medien immer weniger von dieser Angeleg¬enheit berichtet – wenn sie nicht sogar verschwand –, nur um als Irgend¬jemandes persönliche Heldengeschichte oder als besonders tragi¬scher Verlust eines geliebten Menschen wieder aufzutauchen.

Aber diese Krise ist nicht vorbei. Heute berichtete Martin Fackler in der New York Times, dass radioaktiv verseuchtes Wasser aus den Reaktoren austritt und dass die Anlage in einer neuen Notsituation steckt. Mitsuhei Murata, Japans ehemaliger Botschafter in der Schweiz, hat im vergange¬nen Jahr einen Brief geschrieben, der die internationale Aufmerksamkeit auf die abertausende von radioaktiven Brennelementen in der Anlage lenkte und auf die Gefahr, die von deren Schadensanfälligkeit ausgeht. Zuvor hatte er im Parlament schon mehrmals darauf hingewiesen. Inter¬nationale Experten, unabhängige und solche der Internationalen Atom Energie Organisation haben die Pläne der Tokio Elektrik Energiegesell¬schaft zur Auslagerung der Brennelemente an einen vorläufig sichereren Ort als op¬timistisch, wenn nicht gar als unrealistisch eingeschätzt.

Die Nachrichtenmedien haben bei der Berichterstattung über die derzei¬tigen Probleme mit den Brennelementen eine adäquate, wenn auch dürf¬tige Arbeit geleistet. Die radioaktiven Brennelemente müssen ununter¬brochen gekühlt werden, damit sie sicher bleiben. Die improvisierte Stromversorgung, die diese Kühlung aufrecht erhält, hat etliche Male versagt, einmal sogar länger als 24 Stunden: entweder wegen Eigenfeh¬lern oder wegen hungriger Ratten. Der Schritt von der Sicherheit zu ei¬nem Feuer in der Anlage von Fukushima Daiichi steht, ist gelinde ge¬sagt, gefährlich klein. (Und wie schon vielen von Anfang an klar war, hofft TEPCO sich vor der Verantwortung drücken zu können: erstens bei der Sicherheit und Instandhaltung der Anlage, zweitens bei der Rück¬erstattung der Kosten an Japan.)

Über das Ausmaß der Folgen im Falle eines Brennelemente-Brands kann nur spekuliert werden, aber außer Streit steht, dass bei einem solchen Brand (durch das Fehlen von Kühlwasser oder durch einen Schaden, der durch ein Erdbeben verursacht wird) das beste anzunehmende Szenario eine beispiellose globale Katastrophe wäre. Die möglichen Folgen wären die Evakuierung von den 35 Millionen Menschen aus Tokio, eine bleiben¬de Unbrauchbarkeit des Bodens in Japan und ein verseuchter Nahrungs¬mittelanbau in den Vereinigten Staaten. Das sind keine fantastischen Prognosen, sondern begründete Erwartungen, die man als vorsich¬tig-zurückhaltend sehen kann.

Geradezu untragbar, aber leider allzu wahr, ist, dass diese Situation auf die letzten Seiten der Zeitungen und damit auch aus den Köpfen unserer Regierungsverantwortlichen verbannt ist. Es erinnert mich an unsere in¬ternationale Annäherung bei der Lösung des Klimawandels, an der ich über Jahrzehnte teilgenommen habe, erst bei den Vereinten Nationen und dann als Generalsekretär des Parlamentarischen Weltgipfels in Rio de Janeiro: wir haben ein latentes und sehr ernstes Problem, das wir wahrscheinlich lösen könnten, wozu aber Entschlossenheit und politi¬scher Wille fehlen. Wie wir wissen, ist es nie zu einem wirklichen Ab¬kommen beim Klimawandel gekommen.

Allerdings ist im Vergleich zum Klimawandel das Problem der radioakti¬ven Brennelemente in Fukushima leichter zu lösen, aber auch dringlicher. Jeder Japaner wird ihnen erzählen, dass in den nächsten Jahrzehnten ein schweres Erdbeben Japan treffen wird. Das bedeutet, dass die Situation schnell gelöst werden muss.

Dennoch, selbst wenn das Problem lösbar ist, braucht es ständige Auf¬merksamkeit und kompetente und gut ausgerüstete Akteure. Wer könnte die Verantwortung übernehmen? Die Internationale Atomaufsichtsbehör¬de ließ letzte Woche verlautbaren, dass TEPCO 40 Jahre brauchen wer¬de, um die radioaktiven Brennelemente in geeigneten Lagerbehältern zu sichern. TEPCO weigert sich bereits, Milliarden Yen an Kosten für die Aufräumarbeiten zu zahlen und verfügt weder über die Technologie noch die finanziellen Mittel, um der Aufgabe kompetent und zweckmäßig nachkommen zu können. Bis jetzt hat die japanische Regierung nur auf TEPCO geschaut.

Die naheliegende Wahl außerhalb Japans sind die Vereinigten Staaten auf Grund ihrer technologischen Übermacht, Finanzstärke und Führungs¬rolle. Kurz nach dem Unfall bot das US Verteidigungsministerium Japan seine Unterstützung an, aber die Japaner lehnte die Hilfe ab. Es scheint, als sei diese Tür für immer zugeschlagen. Sie [die USA] tun sich damit aber keinen Gefallen: Bei einem Brand im Lagerbecken für Brennelemen¬te sind die USA unmittelbar betroffen, in Kalifornien, Oregon und Wa¬shington haben die Bewohner bereits sehr viel Radioaktivität abbekom¬men. Eine von den USA angeführte Aktion – ausgenommen vielleicht unter Oregons Senator Ron Wyden – ist unwahrscheinlich, US-Senatoren und Abgeordnete demonstrieren weiterhin zu Hause und anderswo ihre Unfähigkeit.

Ich spreche mich schon lange für ein internationales Expertenteam aus, das die Situation untersuchen sollte. Die Vereinten Nationen ist eine der geeigneten Körperschaften, um ein solches Team zusammenzustellen und auszusenden. Die IAEA hingegen sollte nicht in der Verantwortung stehen.

Die Aufgabe der IAEA ist es, die friedliche Nutzung der Atomenergie voranzutreiben. Die Gefahr einer Weiterverbreitung ist hier nicht gege¬ben und das Desaster selbst wirft (wieder einmal) die Frage auf, was denn die friedliche Nutzung der Atomenergie bedeutet und ob sie weiter vorangetrieben werden soll. Auch wenn die IAEA schon mal Sicherheits¬prüfungen in Fukushima gefordert hat, so zielt ihre offizielle Linie darauf ab – was falsch und unerklärlich ist –, dass TEPCO weiter am Ruder bleibt.

Wir legen keinen Wert darauf, auf ein noch größeres Desaster warten zu müssen. Eines liegt bereits offenkundig am Tisch. Die gesundheitlichen Folgen der freigesetzten Strahlung sind groß: Ungeachtet dessen, was in den großen Nachrichtenmedien berichtet wird, haben wir in Japan in den nächsten vier bis fünf Jahren einen signifikanten Anstieg bei Schilddrü¬senkrebs und anderen Krebsarten zu erwarten. Gleichzeitig werden ange¬borene Missbildungen in Erscheinung treten. Die voreilige Berichterstat¬tung einiger UN-Abteilungen und der Presse sind im Großen und Ganzen unverantwortlich: Haben wir keine Ahnung, was ‘Vorsorge’ eigentlich ist? Diese dauernde Einwirkung wird einen Großteil der japanischen Ju¬gend in den nächsten Jahrzehnten zu Krüppeln machen.

Unsere Kurzsichtigkeit – in Japan und auch international – ist tragisch. Eine Ausnahme war in diesem Zusammenhang die Erkundungsmission des UN-Sonderbeauftragten Anand Grover im letzten Jahr. Ich hoffe, Sie kennen seine Untersuchungsergebnisse und machen diese weithin be¬kannt.

Wir haben bereits zu lange auf eine internationale Aktion in Fukushima gewartet – wie beim Klimawandel. Mittlerweile ist klar geworden, dass wir es Japan nicht zugestehen können, alleine eine Angelegenheit in der Hand zu haben, die uns alle betreffen kann.

Herr Generalsekretär Ban Ki-moon, ich fordere Sie auf, Ihre einzigartige Stellung als Leiter der Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass der notwendige politische Wille entsteht und eine unabhängige Untersu¬chungskommission aus internationalen Wissenschaftlern und Technikern eingerichtet wird, damit die Angelegenheit mit den abgebrannten Brenn¬elementen in Fukushima angegangen wird, bevor wir gezwungen sind, mit dem Fallout des nächsten Desasters rechnen zu müssen. Japan und die Welt sollen nicht deswegen stärker leiden müssen, nur weil wir uns auf das Warten verlegt haben.

Hochachtungsvoll
Akio Matsumura

• Ehemaliger Sonderberater beim UN-Entwicklungsprogramm
• Gründer und Sekretär des Globalen Forums Geistiger und Parla¬mentarischer Führungspersönlichkeiten für das Überleben der Mensch¬heit
• Generalsekretär des Parlamentarischen Weltgipfels von Rio de Ja¬neiro von 1992

GastautorIn: Akio-Matsumura - übersetzt vonHermann Ölberg für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /