„Soziale und ökologische Marktwirtschaft – Mission Impossible?“

Welche Antworten kann die Ökosoziale Marktwirtschaft auf brisante aktuelle Herausforderungen wie Globalisierung, Armut und Klimawandel geben?

Diese Frage steht im Mittelpunkt einer neuen Diskussionsreihe des Ökosozialen Forums. 2009 wird die Idee der Ökosozialen Marktwirtschaft 20 Jahre ‘alt’. Im Mittelpunkt der Startveranstaltung am vergangenen Freitag (6.6.2008) in der Akademie der Wissenschaften in Wien stand eine spannende Diskussion zwischen Heiner Geißler (Publizist, ehemaliger Generalsekretär derCDU), Marina Fischer-Kowalski (Institut für Soziale Ökologie, IFF, Universität Klagenfurt), Karl Aiginger (WIFO) und Franz Fischler (Präsident des Ökosozialen Forums) sowie dem Publikum. Dabei wurden die Möglichkeiten und Perspektiven einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise sowie notwendige Rahmenbedingungen für die Zukunft auf sehr unterschiedliche Weise betrachtet.

Heiner Geißler (Publizist, ehemaliger Generalsekretär der CDU):

‘Ein Wirtschaftssystem ist krank, wenn der Wert eines Unternehmens desto mehr steigt, je mehr Mitarbeiter wegrationalisiert werden. Kapitalismus eliminiert die Arbeit und liquidiert damit die Menschen’, kritisierte der Publizist Heiner Geißler das derzeitige System des Kapitalismus. Die soziale Marktwirtschaft sei gescheitert. Denn sie würde Wohlstand für alle bedeuten und nicht nur für zwei Drittel der Menschen, sagte Geißler. ‘Das große Hindernis am System ist die Finanzindustrie, die bereits ein Vielfaches des Umsatzes der Realwirtschaft verbucht. Deshalb fordere ich eine Börsenumsatzsteuer. Denn wenn einerseits Windeln besteuert werden, macht es keinen Sinn dort nicht zur besteuern, wo wirklich Geld gemacht wird.’

Franz Fischler (Präsident des Ökosozialen Forums):

Heiner Geißler unterstreicht damit eine Forderung des Ökosozialen Forums nach der Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Dazu Franz Fischler, Präsident des Ökosozialen Forums: ‘Das Finanzsystem ist nicht transparent. Eine Bagatellbesteuerung aller Transaktionen auf den Finanzmärkten könnte die Transparenz erhöhen und vor allem schnelle kurzfristige Spekulationen verringern.’ Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes zeige, dass die Finanztransaktionssteuer auch europaweit eingeführt werden könnte, ohne die Finanzmärkte in der EU zu gefährden, sagte Fischler. ‘Ein minimaler Steuersatz von 0,01 % brächte bei einer Einführung auf dem Finanzplatz Europa Einnahmen von mehr als 80 Milliarden Euro. Das sind zwei Drittel des EU-Budgets.’

Derzeit agiere die Wirtschaft rein umsatzorientiert und nicht ‚gewinnorientiert’ im Sinne von Lebensqualität, kritisierte Fischler und er forderte: ‘Wir brauchen ein Gesellschaftssystem, das globalisierbar ist. Wir müssen Globalisierung gestalten.’

Marina Fischer-Kowalski (Institut für Soziale Ökologie, IFF, Universität Klagenfurt):

‘Zur Rettung des Weltklimas ist eine große Revolution notwendig, ähnlich wie die industrielle Revolution’, betonte die Wissenschafterin Marina Fischer-Kowalski. ‘Viele Länder könnten mit deutlich weniger Energie auskommen, ohne ihre Lebensqualität einschränken zu müssen. So konnte im Jahr 2005 ein hoher Human Development Index bereits mit der Hälfte des Energieeinsatzes im Vergleich zu 1975 erreicht werden. D.h. wir haben einen globalen Lernprozess durchgemacht. Trotzdem steigern wir derzeit laufend unseren Energiebedarf, ohne ein besseres Leben bieten zu können.’ Fischer-Kowalski forderte eine Entkoppelung der Bereiche Energie, Wohlstand und Lebensqualität. Lebensqualität sei heute auch mehr Zeitsouveränität, vor allem für die Menschen mit höheren Einkommen.

Karl Aiginger (WIFO):

Auch der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts forderte, dass Wachstum von Energieverbrauch gekoppelt werde. ‘Die Prioritätenreihenfolge muss sein: neue Produkte, neue Verhaltensweisen. Während derzeit die politischen Prioritäten lauten: Versorgungssicherheit, billige Energie und erst als letzter Punkt Energiesparen.’ Aiginger sieht die Schwierigkeit derzeit auf Seiten der Konsumenten. ‘Deren Verhaltensweise kann nur verändert werden, wenn alle Instrumente ausgeschöpft werden: die preisliche Gestaltung, Regulierungen, Standards und Bewusstseinsänderung.’

Josef Riegler (Vizekanzler a. D., Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums):

‘Lassen wir den Markt die Umwelt schützen. Machen wir Umweltschutz zu einem attraktiven Produkt’, beschrieb Josef Riegler den Leitsatz der Ökosozialen Marktwirtschaft. ‘Durch die starke Globalisierung der Wirtschaft und aller Lebensbereiche der Menschen sowie das breite Bekenntnis zu einem uneingeschränkten freien Markt steht das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft vor neuen Herausforderungen. Die derzeitige Situation mit globalen Problemen wie Klimawandel und Armut ist mehr als Politikversagen denn als Marktversagen zu sehen. Globale Probleme erfordern globale Lösungen’, betonte der Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums. ‘Wir brauchen als Alternative zu der derzeitigen globalen kapitalgetriebenen Architektur eine gerechte und zukunftsfähige Globalisierung und einen weltweiten Ordnungsrahmen, der auf ökosozialen Prinzipien beruht – wir müssen also trotz freien Marktes soziale und ökologische Erfordernisse sicherstellen.’ Dafür setzen sich das Ökosoziale Forum und die Mitglieder der Global Marshall Plan Initiative für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft ein.

Ökosoziale Marktwirtschaft – wirtschaftspolitisches Modell wird 20 Jahre alt

Der Impuls zum wirtschaftspolitischen Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft, das den Markt in den Dienst des Umweltschutzes stellt, stammt von damaligen Vizekanzler Josef Riegler, heute Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums. Riegler hat aufgrund der immer größer werdenden Umweltproblematik vor zwei Jahrzehnten die in Europa schon etablierte Soziale Marktwirtschaft um die Komponente Ökologie erweitert. Die Ökosoziale Marktwirtschaft stützt sich auf die Prinzipien Kostenwahrheit sowie Transparenz in Konsum und Produktion (Umweltkosten müssen erkennbar und wirksam sein, Konsumenten müssen wissen, was sie kaufen), Ökologisierung des Steuersystems (Entlastung des Faktors Arbeit, Belastung von Ressourcenverbrauch), die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien im gesamten Förderungswesen und ordnungspolitische Eingriffe in jenen Bereichen, in denen Nachhaltigkeit über Marktmechanismen nicht zu erreichen ist. Einzelne Elemente der Ökosozialen Marktwirtschaft finden sich in verschiedenen Programmen von Parteien und Organisationen wieder.

Neues Buch: „Eine Minute vor zwölf! Warum wir eine neue Weltordnung brauchen“

Im Rahmen der Veranstaltung präsentierte das Ökosoziale Forum auch das neue Buch ‘Eine Minute vor zwölf! Warum wir eine neue Weltordnung brauchen’. Visionäre wie Heiner Geißler, Vandana Shiva, Birgit Mahnkopf, Ibrahim Abouleish, Johan Galtung, Maneka Ghandi, Hermann Scheer und Jakob von Uexküll kommen darin zu Wort. Das Thema ist angesichts von Hungerrevolten, Spekulationsgeschäften auf Rohstoffe, Klimawandel und steigenden Armutszahlen hochaktuell. Die Interviews sind Ö1-Features von Johannes Kaup und Michael Kerbler. Herausgeber des neuen Buches ist das Ökosoziale Forum.

Es kann zum Preis von Euro 10,- beim Ökosozialen Forum bestellt werden
(Tel. 01/533 07 97-13 u. www.oekosozial.at

GastautorIn: Martina Baumeister, MSc für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /