© Greenpeace / Pressekonferenz von Greenpeace, Global 2000 und WWF mit Helga Kromp-Kolb
© Greenpeace / Pressekonferenz von Greenpeace, Global 2000 und WWF mit Helga Kromp-Kolb

Wo ist eine ambitionierte Energie- und Klimastrategie?

5.000 Klimafragen an die Bundesregierung - Kopfschütteln über Online-Konsultation - Vorschläge für einen besseren Prozess- Umweltschädliche Subventionen abschaffen

Wien- Es ist einfach unfassbar, so lautet mehr oder weniger das gemeinschaftliche Statement. Klimawissenschaftlerin Helga Kromp-Kolb zeigte sich heute gemeinsam mit den VertreterInnen der drei großen Umwetschutzorganisationen GLOBAL 2000, Greenpeace und WWF im Rahmen einer Pressekonferenz äußerst besorgt über die vielen Schwachpunkte bei der Entwicklung einer neuen österreichischen Energie- und Klimastrategie. Die Anforderungen sollten bereits spätestens seit der Ratifizierung des Pariser Klimaschutzabkommens mehr als klar sein, und trotzdem fehlt ein Bekenntnis der Bundesregierung zur Dekarbonisierung als klares Ziel der Strategie. Auf Initiative der Umweltschutzorganisationen haben mehr als 5.000 Personen der Bundesregierung sieben ganz konkrete Fragen gestellt, etwa welche Klimaziele aus Sicht der Bundesregierung einem fairen Beitrag Österreichs zur Erreichung des globalen Ziels, die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten. Am Freitag haben die Minister Reinhold Mitterlehner, Andrä Rupprechter, Jörg Leichtfried und Alois Stöger eine absolut nichtssagende Antwort gesendet. "Dass die zuständigen Minister besorgte BürgerInnen mit einem Brief abspeisen, der besagt, dass sie frühzeitige Festlegungen vermeiden wollen, ist ein Skandal! Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner müssen das Ruder in die Hand nehmen - der Ausstieg aus fossiler Energien bis spätestens 2050 muss als Ziel der Strategie festgelegt werden, sonst wird das ein planloses und wirkungsloses Papier", sind sich die UmweltschützerInnen vollends einig.

Klimawissenschaft: Große Schwächen im derzeit laufenden Prozess

Aus Sicht der Klimawissenschaft weist das vorliegende "Grünbuch", das den Ausgangspunkt für die Konsultation bildet, große Schwächen auf. Befremdlicherweise wurde der international richtungsweisende Klimawandel-Sachstandsbericht nicht als Grundlage herangezogen, obwohl die Studie wesentlich umfassender und von weit mehr Sachkenntnis getragen ist. Die im Climate Change Center Austria (CCCA) zusammengeschlossenen WissenschaftlerInnen Österreichs haben bereits vor Monaten ihre Bereitschaft zur Unterstützung der Bundesregierung bei der anspruchsvollen Umsetzung des Pariser Abkommens angeboten.

"Mir ist kein anderes Land bekannt, indem die KlimawissenschaftlerInnen geschlossen ihre Hilfe angeboten haben, um der Bundesregierung wissensbasierte Entscheidungen zu ermöglichen und so politische Pattsituationen zu vermeiden", sagt Helga Kromp-Kolb.

Fehler der Vergangenheit sollen nicht wiederholt werden

Das Fehlen von klaren Zielsetzungen führt zu Unklarheiten über den Prozess, und die Sorge wächst, dass damit eine ambitionslose Sammlung von Einzelmaßnahmen ohne klare Richtung entsteht. "Österreich hat bereits mehrere Anläufe für die Schaffung von Klima- oder Energiestrategien hinter sich, die eines gemeinsam haben: Sie waren bisher erfolglos", so Karl Schellmann vom WWF. "Grund war, dass stets versäumt wurde, klare Ziele und Umsetzungsstrategien festzulegen. Ergebnis: in den letzten 25 Jahren ist es nicht gelungen, die Treibhausgasemissionen zu senken, sie sind 2015 genauso hoch wie 1990. Eine Strategie wird gemacht, um Ziele zu erreichen, nur so kann sie auch wirksam werden. Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden!"

Bemerkenswert ist auch, dass viele Bundesländer längst konsequente Energie- und Klimaziele beschlossen haben und die Bundesregierung hier bislang keine Unterstützung bietet, ja sogar zu den bremsenden Faktoren in der Umsetzung der Länderpläne zählt.

Kopfschütteln über verfehlte Fragestellungen bei Online-Prozess

Die vor zwei Tagen beendete Online-Konsultation hat nicht nur bei Umweltorganisationen vielfach für entsetztes Kopfschütteln gesorgt. Auch an der Bevölkerung ist diese Befragung der Ministerien mehr oder weniger spurlos vorüber gegangen, nur 399 Personen haben sich an der "Insideraktion" beteiligt. Anstatt die Energiewende voranzutreiben, wird sie dabei sogar in Frage gestellt. So möchte man wissen, ob wir uns bis 2030 Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energie stecken sollen. Das, obwohl der ehemalige Bundeskanzler Werner Faymann bei der UN-Klimakonferenz in Paris im offiziellen Statement der Bundesregierung bereits bekanntgab, dass Österreich bis 2030 im Elektrizitätsbereich zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie setzen wird und Umweltminister Andrä Rupprechter dieses Ziel bestätigte. Weiters wurde die Meinung "aller" eingeholt, ob in Zukunft Klimaschutz in Österreich stattfinden soll, oder ob wir uns wieder über CO2-Zertifikate freikaufen sollen. Ein Irrweg, den Österreich schon einmal beschritten hat, mit Kosten von etwa 600 Millionen Euro und dem einzigen Ergebnis, dass notwendige Maßnahmen auf später verschoben wurden. "Es braucht jetzt ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu Klimaschutz und der Energiewende und Antworten auf sehr wichtige Fragen. Mittlerweile muss doch allen klar sein, dass wir Klimaschutz im Inland umsetzen müssen und wir uns nicht ewig über teure CO2-Zertifikate freikaufen können", ist Johannes Wahlmüller von GLOBAL 2000 überzeugt.

Klimaschutz ist in vielen Staaten als langfristiges Ziel bereits in Umsetzung

In dem Antwortschreiben der Bundesregierung wurde auf keine einzige der von besorgten BürgerInnen gestellten sieben Fragen eine Antwort gegeben. Stattdessen wurde eine schwammige Abhandlung über den Prozess zur Erarbeitung einer Energie- und Klimastrategie zugeschickt, mit lediglich einer vagen Zusage, langfristige Perspektiven bis 2050 behandeln zu wollen. "Wir haben der Bundesregierung klare Fragen gestellt, die sie offensichtlich nicht beantworten will", ist Adam Pawloff, Klima- und Energiesprecher von Greenpeace in Österreich, enttäuscht. "Spätestens seit der UN-Klimakonferenz von Paris muss doch klar sein wohin die Reise geht. Viele Staaten haben bereits ambitionierte Ziele gesteckt. Nur Österreich scheint dazu nicht imstande zu sein, hier verlieren wir die internationalen Märkte der Zukunft und die Glaubwürdigkeit der Politik in der Bevölkerung". Großbritannien und Deutschland haben beispielsweise verbindlich zugesagt, die Emissionen bis 2050 um 80 bzw. 95 Prozent zu reduzieren. Die Schweiz will die klimaschädlichen Treibhausgase bis 2030 bereits halbieren. Länder wie Schottland, Dänemark oder Costa Rica werden in den kommenden Jahren ihre Stromversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energie umstellen.

Daher verlangen die KlimaschützerInnen, dass die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zur absolut zentralen Vorgabe für die Strategie gemacht wird, dass Dekarbonisierung der Wirtschaft und Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien bis 2050 als zentrale Ziele festgelegt werden, und dass überprüft wird, ob die vorgeschlagene Strategie tatsächlich in der Lage ist, die Ziele zu erreichen. "Ohne klare Ziele wird die Energie- und Klimastrategie scheitern, und daher muss die Strategie zur Chefsache werden", herrscht vollkommene Einigkeit unter den UmweltschützerInnen.

Brief an die Minister und Antwortschreiben

Endlich ade für umweltschädliche Subventionen

Auch den Umweltdachverband beschäftigt dieses Thema seit Wochen, denn: "Der bisherige Prozess zur Erarbeitung dieser für die Zukunft Österreichs essenziellen Strategie lässt ebenso Konsequenz vermissen wie das Agieren der Bundesregierung. Die Verhandlungsergebnisse der Weltklimakonferenz in Paris werden derzeit mit Füßen getreten. Ein löblicher erster Schritt ist die Absicht des Bundeskanzlers, die Steuern auf fossile Energieträger zu erhöhen. Doch den Worten müssen endlich Taten folgen", meint Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.

Entwicklung einer langfristigen Strategie und effiziente Maßnahmen gefragt

Zahlreiche Vorschläge für Einzelmaßnahmen für einen effektiven Kampf gegen den Klimawandel liegen bereits auf dem Tisch - die Bundesregierung müsste nur ENDLICH zugreifen und handeln. Der seit Jahren geforderte Abbau umweltschädlicher Subventionen im Zuge einer ökosozialen Steuerreform wäre rasch und wirkungsvoll umzusetzen. Es ist unverständlich, dass Diesel und Heizöl weiterhin bevorzugt werden, stehen doch deren gesundheits-, umwelt- und vor allem klimaschädliche Auswirkungen längst fest. Den Haupttreibern der Treibhausgasemissionen - Verkehr, Energie und Industrie - muss mit entsprechend verbindlichen, langfristigen Zielen unverzüglich ein ambitionierter Reduktionspfad vorgegeben werden. Dabei gäbe es auch die Möglichkeit, neben nationalen Instrumenten gesamteuropäische Steuern zu entwickeln. Das WIFO präsentierte gestern entsprechende Möglichkeiten, wie etwa eine europaweite Steuer auf Atomstrom oder eine europaweite CO2-Abgabe.

Verkehr: BürgerInnen müssen mitgenommen werden

Klimasünder Nummer eins in Österreich ist der Verkehrsbereich. Seit Jahren steigen die Emissionen in diesem Bereich ohne Aussicht auf sinnvolle Maßnahmen. "Angesichts der Tatsache, dass die aktuell niedrigen Erdölpreise Gift für die Umsetzung der Energiewende sind, sollten wir auch in Österreich Modelle andenken, in denen die Mineralölsteuer ,atmet', also sich bei sinkendem Marktpreis der Steueranteil erhöht und umgekehrt", empfiehlt Maier. Die höheren Steuern bei Preisrückgängen können damit durch den Staat abgeschöpft bzw. Preisanstiege im Markt abgepuffert werden. In Deutschland wird ein derartiges Modell bereits intensiv diskutiert. Als Ausgleich zur Abschaffung des Dieselprivilegs und zur Erhöhung der Steuersätze müssen der Bevölkerung jedoch Alternativen angeboten werden. Eine längst realisierbare Maßnahme wäre endlich die Einführung eines Österreich-Tickets, einer Jahreskarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich. "Bundeskanzler Kern hat bereits angemerkt, dass er im Energiebereich Akzente setzen möchte. Die Umsetzung des Österreich-Tickets wäre eine klare Ansage, mit der die Bundesregierung die Ernsthaftigkeit ihres klima- und energiepolitischen Engagements unter Beweis stellen könnte", so Maier.

TIME TO ACT- es ist genug geredet worden. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /