Vehemente Gefahr für den Umweltschutz in Österreich

Neue Gesetze sollen Übermacht der Wirtschaft einzementieren - Ablehnung quer durch alle NGOs

Wien - Die geplante Änderung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes (UVP-G) und das Gesetz zur "Wettbewerbsbeschleunigung" (WBBG) wollen den Natur- und Umweltschutz in Österreich praktisch ausschalten, so der heutige Tenor unzähliger Umweltschutz-NGOs in Wien bei einer gemeinsamen Presskonferenz. Bei der anschließenden Kundgebung protestieren mehr als 20 Bürgerinitiativen und Vertreter sämtlicher Umwelt-NGOs vor dem Parlament. Die Bundesregierung will zukünftig im Interesse der Energiewirtschaft Kraftwerke verwirklichen, die nach österreichischem und europäischem Recht so nicht möglich wären. Umweltorganisationen, Bürgerinitiativen, Rechtsexperten, die steirische Umweltanwältin und Vertreter der Oppositionsparteien wenden sich entschieden gegen diese Gesetzesvorhaben und warnen "von einer drohenden Gefahr für den derzeit noch funktionierenden Umweltschutz in Österreich".

"Sollten diese Gesetze wirklich so in Kraft treten, hat die Bundesregierung vor den Interessen der Energiewirtschaft kapituliert und jedes Kraftwerk wäre trotz massiver Umweltbedenken möglich", so einhellig die breite Front der Ablehnung.

Sowohl die Dachorganisation der größten internationalen Umweltorganisationen Österreichs, das Ökobüro, als auch der Dachverband der österreichischen Natur- und Umweltschutz-NGOs, der Umweltdachverband warnen vehement.

Der UVP-Novellenentwurf trägt die klare Handschrift der Wirtschaft und ignoriert sämtliche Bedenken der Umweltorganisationen.

Das ÖKOBÜRO fordert eine Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten für die Öffentlichkeit, das heißt für Betroffene, für Bürgerinitiativen und auch für NGOs. Denn der derzeitige Vorschlag verwässert die ohnehin bereits schwach ausgestalteten Bestimmungen für eine effektive Beteiligung. "Das UVP-Verfahren mit seiner Öffentlichkeitsbeteiligung wird zur Ausnahme werden, sollte diese Gesetzesänderung zur UVP in Kraft treten", so Ökobüro-Geschäftsführer Markus Piringer.

In eine ganz ähnliche Kerbe schlägt der Präsident des Umweltdachverbands, Gerhard Heilingbrunner- der Umweltdachverband hat dazu außerdem eine Online-Unterschriftenkampagne www.stopp-bevorzugten-kraftwerksbau.at gestartet.

Auch für GLOBAL 2000 ist es absolut nicht akzeptabel, dass bei der Neufassung des UVP-Gesetzes der Klimaschutz so gut wie keine Rolle spielt. "Die Wirkungen auf das Klima werden in den UVP-Verfahren ständig ignoriert. Das gilt gleichermaßen für Autobahnprojekte, für die dritte Startbahn von Wien-Schwechat und für den Bau von kalorischen Kraftwerken." GLOBAL 2000 fordert, die Prüfung von klimaverträglicheren Alternativen gesetzlich zu verankern und diese Erkenntnisse dann auch konsequent umzusetzen", so Klaus Kastenhofer, Geschäftsführer von GLOBAL 2000. Rechtliche Einsprüche müssen immer auch eine aufschiebende Wirkung haben. "Denn es ist ein Hohn, wenn man die Aufhebung eines UVP-Bescheides erwirkt, die Bauarbeiten aber trotzem weitergeführt werden", empört sich Kastenhofer.

Auch der WWF sieht den drohenden Ausverkauf von Österreichs letzten Naturschönheiten und spricht von einem Kniefall vor der Industrie. "Wasserkraft darf nur dort ausgebaut werden, wo dies ökologisch möglich ist. Die Zerstörung unserer letzten naturnahen Flüsse durch erlaubten Kraftwerksbau aufgrund Bescheid des Wirtschaftsministers aus Wien dürfen die Länder nicht zulassen", so der stellvertretende WWF-Geschäftsführer Andreas Wurzer. "Die geplanten Gesetz dienen nicht der Energiezukunft Österreichs sondern nur den Profitinteressen der Energiewirtschaftsunternehmen", so Wurzer.

Das geplante WBBG sieht vor, dass der Wirtschaftsminister per Bescheid ein "öffentliches Interesse" vorschreiben kann. Daran müssten sich dann auch die Länder halten. Bedenken von Natur- und Umweltschutzseite würden damit keine Berücksichtigung mehr finden. Die steirische Umweltanwältin Ute Pöllinger reagiert ebenfalls empört auf dieses WBBG. "Dieses Gesetz konterkariert die Rechtssprechung des VwGH und den Rechtsstaat insgesamt. Ein Bescheid des Wirtschaftsministers, der die Naturschutzbehörden bindet, wäre die endgültige Kapitulation des Umweltschutzes vor der Energielobby", so die Umweltanwältin. Ähnlich sieht das auch Rechtsanwalt Heinrich Vana: "Lösungen die auf Verfahren ohne Beteiligung beruhen und wo der Minister bindend entscheidet, können keine langfristige Lösung sein. Das ist ein Rückschritt ins umweltpolitische Mittelalter", so der Rechtsanwalt.

Umstrittener Gesetzesvorschlag gefährdet die Glaubwürdigkeit der Anti-Atom-Politik

Empört ist man nicht nur in Wien, sondern auch in Oberösterreich. Während sich das Land Oberösterreich und zahlreiche NGO´s aus Österreich, Tschechien und der Slowakei intensiv bemühen, die Bürgerrechte in "Schein-UVP-Verfahren" zum Ausbau der AKW´s Temelin und Mochovce abzusichern, bleibt die Bundesregierung bis heute völlig passiv, meint der Anti-Atombeauftragte des Landes Oberösterreich, Pavlovec. "Stattdessen wurde im Wirtschaftsministerium ein Gesetzesvorschlag erarbeitet, welcher die demokratische Mitbestimmung massiv beschneiden könnte und umstrittenen Vorhaben im Energiebereich zum Durchbruch verhelfen könnte. Die Annahme eines solchen Gesetzesvorschlages würde einen schweren Rückschlag für unsere Anti-Atom-Bemühungen darstellen", erklärt Radko Pavlovec. "Unsere Aktivitäten gegen "Schein-UVP-Verfahren" zu den Projekten Temelin und Mochovce richten sich nämlich genau gegen die unzulässige Beschneidung von Bürgerrechten. Österreich muss auf diesem Gebiet als europäisches Vorbild agieren".

Vom umstrittenen Gesetzesvorschlag zur Feststellung de söffentlichen Interesses an Energieprojekten könnte in Österreich auch direkt die Atomlobby profitieren. Er könnte für Leitungsprojekte herangezogen werden, deren Errichtung im strategischen Interesse der Atomkonzerne liegt. Sehr aktuell ist in diesem Zusammenhang die Schließung der Lücke der 380kV-Leitung zwischen der Slowakei und der 380kV-Leitung durch die Steiermark. Dies ist im Zusammenhang mit dem umstrittenen Ausbau des AKW Mochovce durch die italienische Firma Enel sowie der Ankündigung der Errichtung eines neuen AKW-Blocks in Bohunice durch die Firma CEZ von großer Bedeutung.

Auch in Tschechien sind derzeit ähnliche politische Aktivitäten im Gang. Der frühere Wirtschaftsminister und Parlamentsabgeordnete Urban kündigte einen Gesetzesvorschlag zur schnellen Errichtung von neuen Atomkraftwerken an. Ähnlich wie im österreichischen Gesetzesvorschlag soll diesen Projekten öffentliches Interesse bescheinigt und die Rechte der Verfahrensteilnehmer ausgehebelt werden. "Der Gesetzesvorschlag muss im Interesse einer glaubwürdigen Anti-Atom-Politik umgehend zurückgezogen werden", fordert Pavlovec. "Die Teilnehmer an den grenzüberschreitenden UVP-Verfahren zu den AKW´s Temelin und Mochovce erwarten von der Bundesregierung stattdessen rasche und energische Schritte zur Wahrung ihrer Rechte".

Eine gute UVP-Gesetzesnovelle sieht anders aus

Kritik kommt auch von der Umwelt- und Energiesprecherin der Grünen, Christiane Brunner, die außerdem die heutige Demonstration befürwortet ."Mit den Vorschlägen des Wirtschaftsministers würde eine Prüfung der beantragten Projekte nach dem Naturschutzrecht, dem Wasserrecht und dem UVP-G hinfällig." sagt Brunner.

Brunner hält außerdem fest, dass eine gute UVP-G-Novelle auch für alle Anlagen, wie von Minister Berlakovich im Ministerialentwurf vorgeschlagen, das Gebot zum effizienten Einsatz und Verwendung von Energie beinhalten muss. Auf diese Weise kann die Energieeffizienz-Richtlinie teilumgesetzt werden. Weiters müssen die Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen Zugang zum Feststellungsverfahren bekommen, das ist jenes Verfahren, das in vielen Fällen erst entscheidet, ob für ein Vorhaben eine UVP durchzuführen ist. Dieses Verfahren wird zu 62 Prozent von ProjektwerberInnen angestrengt. Seit 2000 endeten 82 Prozent dieser Verfahren negativ, das heißt eine UVP-Pflicht wurde verneint.

"Der EuGH hat in einer Entscheidung im April ausdrücklich gesagt, dass negative Feststellungsbescheide von den betroffenen BürgerInnen vor ein Gericht gebracht werden können müssen. Weiters muss die Auflage von Projektanträgen und Zustellung von Bescheiden knapp vor den Ferien ein Ende haben. Damit werden die Partizipationsrechte unterlaufen. Das Gesetz muss dagegen Abhilfe schaffen", fordert Brunner.

FPÖ-Energiesprecher Norbert Hofer warnt im Zusammenhang mit dem Entwurf für das
"Wettbewerbs-Beschleunigungsgesetz" vor einer Entmündigung der Bundesländer.

Einseitige Machtausdehnung und Ausschaltung von Parteirechten

Ähnliche Ablehnung ist bei den Naturfreunden Österreich zu hören. Naturfreunde-Bundesvorsitzender Dr. Karl Frais sagt: "Die Wirtschaftskrise darf nicht zur Aushebelung von Umweltrechten missbraucht werden! Die Novelle ist als Wettbewerbsbeschleunigungsgesetz betitelt, tatsächlich handelt es sich aber um eine einseitige Machtausdehnung des Ministers und eine weitgehende Ausschaltung von Parteienrechten und Rechtsschutz. Die Interessen von Umwelt und Anrainern würden demnach bei Kraftwerks- und Leitungsprojekten massiv beschnitten!" Es bestehen zudem rechtliche Bedenken, dass die Novelle gegen das Legalitätsprinzip verstoße.

Die Naturfreunde bekennen sich zur gesicherten Stromversorgung Österreichs und haben sich bereits wiederholt konstruktiv zur Energiesituation geäußert. "Hohe Umweltschutz-Standards und die gesicherte Energiezukunft unseres Landes sind keine Gegensätze. Umso unverständlicher ist es, dass der Wirtschaftsminister mit diesem Gesetzesentwurf versucht, die Rechte des Umweltschutzes und der Anrainer massiv zurückzudrängen. Unser Hauptkritikpunkt ist die Absicht des Wirtschaftsministers, mit neuer Rechtsgrundlage das Bestehen eines öffentlichen Interesses an Kraftwerks- oder Leitungsbauten für alle beteiligten Behörden bindend feststellen zu können", so Naturfreunde-Vorsitzender Frais.

Der Bau von Kraftwerken oder Stromleitungen hat je nach Art und Dimension unterschiedliche Auswirkungen auf Natur und Umwelt. "Wasser-, Naturschutz, Raumordnung und auch Tierschutz sind wesentliche Rahmenbedingungen, die bei der Feststellung eines öffentlichen Interesses gewöhnlich berücksichtigt werden müssen. Aber diese Kriterien sind im neuen Elwog, das einen Feststellungsbescheid des Ministers für das öffentliche Interesse an Kraftwerken und Leitungsbauten vorsieht, nicht mehr enthalten. Dieses Fehlen von Kriterien, an die sich der Minister zu halten hat, und die weitgehende Ausschaltung von Rechtsschutz und Parteienrechten sind die Hauptursachen, warum wir Naturfreunde die Elwog-Novelle ablehnen. Wir sagen ja zum Energieausbau in Österreich, aber nur unter Berücksichtigung der Interessen von Natur und Umwelt. Die Wirtschaftskrise darf nicht stillschweigend zum Verlust von Umweltrechten missbraucht werden", so der Naturfreunde-Vorsitzende.

Die Industriellenvereinigung weist die Kritik der Umweltschützer zurück.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /