WIEN: Ab 7. 9. Einwendungsmöglichkeit gegen Ausbau von Mochovce

Start der grenzüberschreitenden UVP - Wien beteiligt sich aktiv

Ab Montag, den 7. September, können alle Wienerinnen und Wiener ihren Einspruch gegen den Ausbau des slowakischen AKW Mochovce deponieren. Bis 6. Oktober können im Rahmen der nun gestarteten grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung mittels Einspruchskarten und Unterschriftenlisten die Einwendungen an die MA 22 - Wiener Umweltschutzabteilung übermittelt werden. "Die Stadt Wien beteiligt sich aktiv am Verfahren, denn der Ausbau des Kraftwerks verdoppelt die atomare Bedrohung für Wien", so Umweltstadträtin Ulli Sima. Erst kürzlich hat eine Studie desÖsterreichischen Ökologie-Instituts im Auftrag der Wiener Umweltanwaltschaft die dramatischen Sicherheitsmängel im AKW - 160 km von Wien entfernt - belegt. Die Stadt Wien schickt im Rahmen des UVP-Verfahrens nun an alle Wiener Haushalte Einwendungskarten. Die Einsprüche werden von der MA 22 an das Umweltministerium übergeben, von dort schließlich den slowakischen Behörden übermittelt. Ende September wird es aller Voraussicht nach in Wien ein Hearing geben. "Ich hoffe auf breite Beteiligung der Wiener Bevölkerung, um die Sicherheitsdefizite und ungelösten Fragen zu thematisieren", so Sima.

Unverantwortlich: Weiterbau nach über 20 Jahren

Bereits im Jahr 1981 wurde der Bau des AKW Mochovce mit 4 Blöcken des Typs WWER440/V213 in Angriff genommen; die beiden ersten Blöcke gingen 1998 bzw. 1999 in Betrieb. Für Block 3 und 4 reichten die finanziellen Mittel nicht. 1992 kam es endgültig zum Baustopp. Mit einer Baubewilligung von 1986 sollen die beiden Blöcke nun fertiggestellt werden. Eigentümer ist zu 66 % mittlerweile der italienische Energieversorger ENEL, der mit der Privatisierung des slowakischen Energieversorgers SE die Verpflichtung zum Fertigbau von Block 3 und 4 übernommen hat.

"Die Grundkonstruktion erlaubt keine vollständige Anpassung an den heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Die Möglichkeiten für Verbesserungen sind beschränkt, da die Bauwerke zu 70 % und das Equipment zu 30 % bereits fertig gestellt sind", so das Fazit der Studie, die die zentralen Schwachstellen dokumentiert:

Sicherheitsdefizit 1: Enorme Brandgefahr

"Die unzureichende bauliche Trennung von redundanten Systemen lässt sich nachträglich nicht wesentlich verbessern. Wegen der nicht ausreichenden Trennung können wichtige Notfallsysteme von Bränden gleichzeitig zerstört werden. Dadurch besteht die Gefahr, dass ein Ereignis nicht mehr beherrscht werden kann und zu einem Kernschmelzunfall mit hohen radioaktiven Freisetzungen führt", so Antonia Wenisch vom Österreichischen Ökologie-Institut. Gleichzeitig erhöht die angekündigte Leistungserhöhung in sämtlichen Teilen der elektrischen Anlage die Brandgefahr gegenüber dem Originalzustand.

Sicherheitsdefizit 2: Erdbebengefahr

In der ursprünglichen Auslegung des WWER 440/V213 wurde die Erdbebengefahr nicht berücksichtigt. Eine Neubewertung ergab, dass der Auslegung ein Beben der Stärke VII zugrunde zu legen ist. Für die Blöcke 3 und 4 wurden etwas höhere Auslegungswerte als für die ersten beiden Blöcke angenommen, die aber ebenfalls unzureichend sind. In der Slowakei wurde angenommen, dass der Standort Mochovce in einer nicht-seismischen Zone liegt und dass ein Erdbeben nur in einer Entfernung von 50 km oder mehr auftreten kann. "Experten sehen die Annahme dieser Erdbeben-Ausschlusszone kritisch; ein am Standort nicht auszuschließendes Erdbeben könnte sehr wohl relevante Schäden verursachen", warnt Wenisch.

Sicherheitsdefizit 3: Fehlende Schutzhülle

Zum Schutz eines Reaktors vor einer Einwirkung von außen und zum Schutz der Umgebung vor radioaktiven Emissionen verfügen moderne Kraftwerke über einen Sicherheitseinschluss.

Das sogenannte Confinement-System des Reaktortyps WWER 440/V213 hat diese Schutzwirkungen nicht in ausreichendem Maße. Der Schutz ist lediglich für den Absturz kleiner Sportflugzeuge ausgerichtet. Bei AKW-Neubauten wird derzeit von allen relevanten Behörden - wie etwa der US-Aufsichtsbehörde oder auch der Deutschen Aufsichtsbehörde - ein Schutz vor dem Absturz großer Maschinen sowie Schutz gegegen Terror und Sabotage verlangt.

Sicherheitsdefizit 4: der Bubbler Condenser

Der WWER 440/V213 hat kein Volldruckcontainment, wie es bei den westlichen Druckwasserreaktoren Standard ist. Stattdessen hat dieser Reaktor ein Hilfssystem zum Druckabbau bei großen Leckstörfällen, den sogenannten Bubbler Condenser. Die Sicherheitsreserven dieses Systems sind gering. Bei Versagen des Druckabbaus wird radioaktiver Dampf in die Umwelt abgegeben. "Für die Blöcke 3 und 4 werden zwar Konstruktionsverbesserungen geplant, durch eine Leistungserhöhung könnte der durch die Nachrüstungen gewonnene Sicherheitszuwachs aber wieder verloren gehen", warnt Wenisch.

Sicherheitsdefizit 5: Hohe Komplexität durch Nachrüstung

Die vielen Maßnahmen zur Nachrüstung erhöhen die ohnehin schon immense Komplexität eines Kernkraftwerks erheblich. Das kann im Ernstfall etwa dazu führen, dass durch fehlerhafte Ansteuerung erforderliche Sicherheitssysteme nicht oder nur teilweise zur Verfügung stehen. Für das Personal ist es zudem extrem schwierig, in eine derart komplexe Anlage einzugreifen.

Sicherheitsdefizit 6: Völlig veraltete Teile

Viele Komponenten in Block 3 und 4 sind mehr als 20 Jahre alt. Der Zustand der bereits installierten Komponenten ist erheblich schlechter, als der jener, die über die Jahre in der Lagerhalle aufbewahrt wurden. Die Prüfung der Bauten und Reaktor-Komponenten ergab, dass einige Maßnahmen zur Wiederherstellung erforderlich sind. "Die bisherige nur stichprobenartig durchgeführte Bauteilprüfung in Kombination mit der geplanten Verringerung der Prüffrequenz ist ein gefährliches Spiel, dass die Wahrscheinlichkeit vergrößert, Fehler nicht rechtzeitig zur erkennen", so die Studienautorinnen.

Auf der Seite der Wiener Umweltanwaltschaft (http://www.wua-wien.at) finden sich weitere Informationen zum Thema. Auch die Zusammenfassung der Studie zum geplanten Ausbau bzw. der gesamte Text ist von dieser Seite oder der Seite des ÖsterreichischenÖkologie-Instituts (http://www.ecology.at) abrufbar.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /