IAA-Veranstaltung: Nachhaltige Mobilität in Ballungsräumen

Wirtschaft für Klimaschutz- Industrie muss so schnell wie möglich umsteueren

Frankfurt - Über "nachhaltige Mobilität in Ballungsräumen" wurde auf einem IAA-Symposium rege diskutiert: Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und Dr. Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG waren am Podium. Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Verband der Automobilindustrie (VDA) und dem BDI im Rahmen der BDI-Initiative "Wirtschaft für Klimaschutz" durchgeführt. VDA-Präsident Matthias Wissmann begrüßte die Teilnehmer und betonte, dass die 63. IAA PKW trotz eines schwierigen konjunkturellen Umfeldes gut gestartet sei.

Keitel betonte, die Leistungen der deutschen Industrie für den Klimaschutz könnten sich sehen lassen: "Bei hochinnovativen und kosteneffizienten Klimaschutzlösungen ist unsere Industrie schon heute weltweit führend. Auf den "grünen" Weltmärkten haben deutsche Unternehmen einen überproportional hohen Anteil von insgesamt mehr als 16 Prozent - Tendenz steigend." Der BDI unterstütze das vom EU-Rat vorgesehene CO2-Minderungsziel von 20 Prozent bis 2020 - "wohlgemerkt auf der Basis von 1990", eine Erhöhung auf 30 Prozent könne nur dann akzeptiert werden, wenn sie nicht einseitig zu Lasten der deutschen Wirtschaft geht. Alle müssten teilnehmen.

Auch die leistungsfähigen aufstrebenden Schwellenländer müssten Verantwortung tragen. Dort liege in Zukunft das eigentliche Einsparpotenzial. Beim dafür notwendigen Technologietransfer müsse allerdings auch der Schutz des geistigen Eigentums gewährleistet sein und die Teilnahme an Ressourcen partnerschaftlich geregelt werden. Auch von den USA forderte Keitel weitere Beiträge zum Klimaschutz.

Zu Kritikern der deutschen Autobranche meinte er: "Es ist purer Populismus zu behaupten, die deutsche Industrie erkenne die Zeichen der Zeit nicht." Das Gegenteil sei der Fall, die IAA sei dafür das beste Beispiel: "Hier präsentieren die Automobilhersteller und Zulieferer - in der schwersten Krise, die die Autoindustrie seit 1945 erlebt hat - ein Feuerwerk von Innovationen und Ideen." Motoren würden heute beispielsweise durchschnittlich zwei Liter weniger je 100 km verbrauchten als noch 1990.

Der BDI-Präsident betonte: "Hocheffiziente, innovative Antriebstechnologien und alternative Kraftstoffe werden eine zentrale Rolle für unsere nachhaltige Mobilität spielen. Kurzfristig heißt das: CO2 und andere Treibhausgase einsparen, indem wir bestehende Antriebstechnologien verbessern und Biokraftstoffe beimischen." Es gebe ein Verbrauchseinsparpotenzial von 25 bis 30 Prozent in den nächsten Jahren. Mittel- und langfristig bilde nach seiner Meinung der Elektroantrieb mit lokal emissionsfreiem Fahren eine vielversprechende Option, vor allem in Ballungsräumen. Für Elektromobilität sei die Industrie gut gerüstet - von der Automobilindustrie über die Energieversorgung bis zur Chemie, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Elektroindustrie.

Da es künftig eine breite Palette an unterschiedlichen Antriebstechnologien geben werde, fordert der BDI eine technologieoffene Förderung der Forschung: "Die IAA zeigt mehr als deutlich, dass die Regierung den Inhalt der Forschung getrost der Industrie überlassen kann", betonte Keitel, der auf die CO2-Minderungen auch anderer Verkehrsträger hinwies. "All dies zeigt: Die deutsche Industrie nimmt ihre Verantwortung für den Umwelt- und Klimaschutz sehr ernst. Wir arbeiten heute mit Erfolg an Lösungen für morgen. Wir werden den großen Herausforderungen nachhaltigen Wirtschaftens gerade auch in dieser Krise gerecht. Darauf kann die Gesellschaft, darauf kann die Politik zählen", so Keitel.

Der BDI-Präsident unterstrich: "Mobilität schaffen wir nicht ohne intelligente Verkehrssysteme. Besonders wichtig ist dabei die intelligente Vernetzung aller Verkehrsträger - gerade im urbanen Raum." Die Informationen müssten in "Echtzeit" verfügbar sein. Dafür sei der Zugang zu Verkehrsdaten von Fahrzeugen und Infrastrukturen notwendig, die weitergeleitet und in vernetzten Verkehrsmanagementzentralen verarbeitet werden. Als "maßgeschneidertes Informationspaket" könnten diese Informationen dann zurück zum Nutzer fließen: "Hier liegen Innovationen der Zukunft, die in den Kreativschmieden unserer Industrien erdacht werden. Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen und ausreichende Spielräume für die Einführung dieser Systeme rasch schaffen - das ist ihre Aufgabe", sagte der BDI-Präsident.

"Die deutsche Automobilindustrie kommt bei der CO2-Minderung gut voran," betonte Dr. Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, "Der gesamte Verkehrssektor weiß um seine Verantwortung bei diesem Thema. Von der Automobilindustrie über den Luft- und Schienenverkehr bis hin zur Schifffahrt gilt: In den Grafiken zum CO2-Ausstoß wird in den nächsten Jahren ein dicker Pfeil nach unten gehen. Wir leisten unseren Beitrag - einzeln und durch eine intelligente Vernetzung der Verkehrsträger untereinander." Auch die deutschen Unternehmen in Summe stellten sich der Aufgabe, das werde durch die Initiative einmal mehr unterstrichen.

Zetsche wies darauf hin, dass eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz auch gut für die deutsche Wirtschaft sei: "Kurzfristig gibt es CO2-neutrale Technologien zwar nicht zum Nulltarif. Auf lange Sicht aber gilt: Wer das Klima schützt, schützt auch seine Wettbewerbsfähigkeit. Langfristig werden wir nur mit 'grünen' Produkten und Dienstleistungen schwarze Zahlen schreiben - und kaum irgendwo verdichtet sich diese Entwicklung aktuell so sehr wie in der Automobilindustrie."

Weltweit betrachtet, verschiebe sich die Nachfrage von den stagnierenden Triade-Märkten in die Boom-Märkte der Schwellenländer, es gebe eine "Spreizung der Kundenerwartungen", die das Automobil "differenzierter" mache. Das Altern der Gesellschaft in den Industrieländern sei ebenso zu berücksichtigen wie der Trend zur Verstädterung. Auch die "automobile Emanzipation" komme hinzu, der Anteil weiblicher Autokäufer nehme zu.

Die Klimaschutzdebatte habe diese langfristigen Trends nun zusätzlich überlagert, betonte Zetsche: "Nach einem Jahrhundert unangefochtener Dominanz des Verbrennungsmotors hat ein "Erbfolgekrieg" begonnen, bei dem bislang kein alleiniger "Thronfolger" abzusehen ist - zumal der alte "Regent" das Zepter noch auf absehbare Zeit fest in der Hand halten wird. Langfristig werden zwar Wasserstoff und Strom Diesel und Benzin als Energielieferant ablösen. Aber anders als bei einem Regierungswechsel wird diese Umstellung nicht zu einem bestimmten Stichtag erfolgen. Dass wir die technologische Vielfalt, die sich daraus ableitet, allerdings simultan beherrschen müssen, zwingt uns zu einer Gratwanderung: Um den Verbrennungsmotor eines Tages ablösen zu können, müssen wir ihn heute erfolgreich verkaufen. Nur dann können wir die immensen Investitionen in alternative Antriebe schultern. Gleichzeitig aber müssen wir in die Weiterentwicklung der bisherigen Technologien investieren, die wir auf lange Sicht überflüssig machen wollen. Sowohl die Vorgaben der EU als auch die bestehenden Hürden beim elektrischen Fahren lassen uns keine andere Wahl. Beide Anforderungen zusammen bedeuten einen gewaltigen Kraftakt."

Gerade weil der Siegeszug des Autos nicht zu Ende sei, müsse die Industrie so schnell wie möglich umsteuern. Global betrachtet dürfte sich der Automobilbestand bis 2050 mindestens verdoppeln - und ökologisch vertretbar sei eine solche Entwicklung nur dann, wenn jedes einzelne Fahrzeug gleichzeitig weniger Emissionen verursacht.

Auf dem Weg zu nachhaltiger Mobilität verfolge die deutsche Automobilindustrie drei Stoßrichtungen parallel zueinander - "einsparen, ergänzen und ersetzen". Zetsche betonte: "Erstens müssen wir in möglichst kurzer Zeit möglichst viel CO2 einsparen - und dabei ist der Verbrennungsmotor derzeit noch unser höchster Trumpf. Er ist hier und heute flächendeckend verfügbar - und darum entscheidet seine Verbesserung darüber, wie viel CO2 wir kurzfristig vermeiden." Einhundert moderne Fahrzeuge würden heute im Schnitt weniger Emissionen als ein einziges Auto aus den 70er Jahren.

Hinzu komme die Ergänzung konventioneller Antriebe durch elektrische Komponenten. Zwar sei ein Hybridantrieb immer nur so gut wie sein Verbrennungsmotor. Wenn aber das Gesamtpaket stimme, seien die Fortschritte beachtlich, sagte Zetsche und verwies auf die erste "Drei-Liter-S-Klasse", die auf der IAA vorgestellt wurde: "Und ich meine den Verbrauch, nicht den Hubraum. Der CO2-Wert dieses "Plug-In-Hybrids" liegt gerade mal bei 74 Gramm".

Entscheidend seien nun Fortschritte bei der Batterietechnologie. In London führe Daimler seit zwei Jahren einen Pilotversuch mit Elektrofahrzeugen durch, in Berlin beginne noch in diesem Jahr ein ähnliches Projekt. Längere Strecken allerdings seien mit batteriebetriebenen Fahrzeugen auf absehbare Zeit nur mit einem "Range Extender" zu bewältigen - also mit einem zusätzlichen Verbrennungsmotor. Er ermögliche eine Reichweite von 600 Kilometern, davon 100 Kilometer ohne Emissionen. Wer aber auf langen Strecken komplett emissionsfrei bleiben wolle, komme am Elektro-Auto mit Brennstoffzellenantrieb nicht vorbei: "Mit ihm sind heute schon Fahrten von über 400 Kilometern machbar. Das Nachtanken dauert genau so lange wie an einer 'normalen' Zapfsäule. Alles in allem ist elektrisches Fahren also keine Utopie mehr", sagte Zetsche. Bevor die Elektromobilität allerdings "flächendeckend Realität" werde, würden noch einige Jahre vergehen. Notwendig seien hierfür der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur sowie einer leistungsfähigen und preislich attraktiven Batterie.

Der Kampf gegen den Klimawandel sei, so Zetsche, eine Kraftprobe: "Er birgt aber auch eine Chance: 'Neue Lösungen' waren immer die Stärke der deutschen Industrie - und heute sind sie gefragter denn je. Wenn Politik und Wirtschaft miteinander arbeiten, werden am Ende beide profitieren: die Umwelt und die deutsche Volkswirtschaft".

Nach den Vorträgen folgte eine Podiumsdiskussion mit Günter Damme, Konzernforschung Volkswagen AG; Dr. Klaus Scheurer, Beauftragter des Vorstands für Verkehr und Umwelt der BMW AG; Friedrich Smaxwil, Präsident des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB); Bernd Lange, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Folkert Kiepe, Beigeordneter für Stadtentwicklung und Verkehr beim Deutschen Städtetag.

GastautorIn: RD für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /