© Amnesty International Österreich
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17 Jahre unschuldig in der Todeszelle

Begegnung mit einem Untoten - Argumente für die Todesstrafe - Tipp für einen echt witzigen Film - Selbst handeln: „Tod der Todesstrafe“

Juan Melendez

Im Mai 1984 wird in Florida ein Mann ermordet und bald darauf wird der 32-jährige Obstpflücker Juan Melendez aus Puerto Rico festgenommen. Wie der Mörder hat er eine Zahnlücke und eine Tätowierung. Nach einem Prozess von fünf Tagen wird er zum Tode verurteilt ( ‘Unser’ Tierschützerprozess dauert bereits über fünfzig Tage).
Im Oktober 2010 ist Melendez auf Einladung von Amnesty International in Wien und berichtet mit dramatischer Gestik, aber auch mit überraschendem Humor von seinen 17 Jahren in einer Todeszelle in Florida:

Immer wieder muss er zusehen, wie andere Häftlinge tot aus ihrer Zelle getragen werden - Selbstmord. Auch er hat schon eine Schlinge gebastelt, aber ein Brief seiner Mutter hält ihn ab. Und immer wieder flackert das Licht, dann weiß er, dass gerade einer seiner Leidensgenossen auf dem elektrischen Stuhl endet. Seine eigene Hinrichtung wird immer wieder verschoben. Nach siebzehn Jahren, acht Monaten und einem Tag wird er an Händen und Füßen gefesselt und einer Beamtin vorgeführt. Die wundert sich, dass er nicht weiß, dass er heute freigelassen wird. Schnell werden die Fesseln entfernt, erstmals nennen ihn die Anwesenden MISTER Melendez. Er bekommt hundert Dollar, eine Hose und ein T-Shirt und darf gehen.

Durch einen unglaublichen Zufall hatte sich herausgestellt, dass sowohl der Staatsanwalt als auch der unfähige Pflichtverteidiger im Besitz von Tonbandkassetten waren, auf denen der wahre Mörder genannt wurde. Der Verteidiger hatte gefürchtet, eine Kassette würde als Beweismittel nicht zugelassen und es daher gar nicht versucht. Der Staatsanwalt seinerseits wollte Melendez unbedingt verurteilen und unterschlug die Kassette einfach. Staatsanwälte haben in den USA noch mehr Narrenfreiheit als bei uns und sind, auch wenn sie ein solches Verbrechen begehen, immun vor Strafverfolgung. Deshalb wird Melendez außer den hundert Dollar nie eine finanzielle Kompensation sehen. Er arbeitet heute in einem Architekturbüro und sein verständnisvoller Chef lässt ihm genügend Zeit, um in der ganzen Welt gegen die Todesstrafe aufzutreten. Der Staatsanwalt hingegen genießt seine wohlverdiente Pension – er hat seine Pflicht getan und möglichst viele Schuldige und Unschuldige hinter Gitter oder auf den elektrischen Stuhl gebracht.
Melendez betont, dass sein Fall absolut kein Einzelfall ist. Aber er hat gelernt, niemanden mehr zu hassen. Und die Bitterkeit, die sich in ihm im Lauf der Zeit aufgestaut hatte und die er erfolgreich sublimiert, hat sich auf einen Satz reduziert: ’I’d like to kick his ass’. Er möchte den Staatsanwalt in den Hintern treten.

Zwei Argumente für die Todesstrafe

Wir brauchen mehr Sicherheit, und irgendwie müssen die Verbrecher ja abgeschreckt werden. Allerdings besteht im Ländervergleich absolut kein statistischer Zusammenhang zwischen Todesstrafe und weniger Verbrechen. Vielfach ist es sogar umgekehrt. Es kam auch vor, dass der wahre Täter ein Serienmörder war und nach der Verurteilung des Falschen umso ungestörter weitermorden konnte.

Auch in der Bibel heißt es ja Aug um Auge usw. Tatsächlich gibt es in der amerikanischen Öffentlichkeit eine starke und nur langsam kleiner werdende Minderheit mit der Einstellung, wenn mir ein lieber Mensch ermordet wurde, bin ich es ihm schuldig, dafür zu sorgen, dass jemand dafür mit der Todesstrafe büßt. Vielleicht ist das in fünf oder fünfzehn Prozent der Fälle ein Unschuldiger. Aber nur keine Sentimentalität. Das ist halt ’collateral damage’, Kollateralschaden, wie die Militärs sagen, wenn ihre ‘chirurgisch genauen’ Bombenangriffe einen Terroristen und zwanzig Unschuldige töten.

Take an eye for an eye
and a life for a life
and somebody must die
for the death of my wife.
(aus Tony Christies Country Western Song ’I did what I did for Maria’)

Filmtipps:

Die Doku dazu, ’Juan Meléndez 6446’, läuft – wenn Sie dies lesen, wahrscheinlich nicht mehr – im Filmcasino.

Wollen Sie aber einen unterhaltsamen Film sehen, wo das todernste Thema der amerikanischen Exekutions-Justiz auf ausgesprochen niveauvoll-witzige Weise hineinspielt, borgen Sie sich eine DVD mit ’My Cousin Vinny’ aus. Mit Joe Pesci und Marisa Tomei (die bekam dafür einen Oscar). Deutsch: ‘Mein Vetter Winnie’.

Handeln:

Amnesty International unterstützt in diesen Tagen insbesondere die Bemühungen seiner amerikanischen Mitarbeiter/innen, die Todesstrafe in den USA wieder abzuschaffen. Warum die Konzentration auf die Vereinigten Staaten? Weil diese für viele der 58 Länder, die die Todesstrafe weltweit noch vollziehen, als Vorbild gelten. 139 haben sie jedoch bereits abgeschafft oder ausgesetzt. Und der Einsatz der USA für die Menschenrechte etwa im Iran würde deutlich glaubwürdiger klingen, wenn Amerika selbst mit gutem Beispiel voranginge.

Bitte unterstützen Sie diese Bemühungen und gehen Sie zu:
www.amnesty.at
Dort wird erklärt, wie Sie helfen können, zum Beispiel durch ein SMS mit Handyfoto, oder eine Postkarte mit aufmunternden Worten an die amerikanischen AI-Mitarbeiter. Die Botschaften werden gesammelt und der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

GastautorIn: Univ.-Lektor Mag. Dr. Gernot Neuwirth für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /