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Elektrisches Weltmeisterschafts-Wochenende-Wahnsinn!

Samstag . . . das schönste Wochenende des goldenen Oktober . . . die Sonne sendet wohlige Energie . . . die Luft ist klar und rein .. . Sie treten vor ihre Haustür und . . . werden von vier entzückenden Boxengirls empfangen, die Sie zum Weltmeister küren

. . . ‘Nein – so etwas gibt es doch nicht!’
Ein einziges Mal gab es das wirklich, wenn man es verstanden hatte zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.
Wären Sie am Samstag, den 9. Oktober 2010, durch die Tore der Kölner Messehalle 5 getreten, dann hätte sich auch Ihnen diese einmalige Chance eröffnet.
Einzige Voraussetzung: das wahnsinnige Wagnis einen elektrischen E-Scooter (100km/h) oder ein E-Bike (45 km/h) möglichst schnell, 30 Minuten um eine 2 km kurze Rennstrecke zu treiben.

Dort, im Rahmen der weltgrößten Motorradmesse Intermot, wurde die ‘Elektrische Scooter Weltmeisterschaft’ ausgetragen.Wolfgang Tiebe, der Organisator des Harzringes war der Veranstalter. 12 wild entschlossene Renn- und Hobbyfahrer stellten sich dieser Herausforderung.


Das Rennen wurden in 4 verschieden Klassen ausgetragen:

* Prototypen-Klasse mit 150 kg Maximalgewicht (> 100 km/h)
* Produktions-Klasse mit 30 kg Mindestgewicht (ca. 45 km/h)
* Produktions-Klasse mit 70 kg Mindestgewicht (ca. 60 km/h)
* Produktions-Klasse mit 120 kg Mindestgewicht (ca. 100 km/h)

Nach Ende des Rennens wurden also nicht nur ein, sondern gleich vier Weltmeister gekürt.


Das kann doch wohl nicht einfach so gemacht werden? Da müssen doch große Marken mitmachen, Internationale Rennfahrer teilnehmen und der traditionelle World Championchip Veranstalter, die FIM einbezogen werden?

Bekannte, große Marken liefern noch keine elektrischen Fahrzeuge aus und für die bisher präsentierten Scooter-Prototypen reichte es wohl nicht. Stattdessen trat die kleine schwäbische Firma InnoScooter mit ihrem Elektrischen Prototypen-Scooter an. Dieser hatte bereits an allen 3 vorherigen, internationalen, elektrischen Motorrad-Straßenrenn-Premieren teilgenommen. Gefahren von wechselnden internationalen Rennfahrern aus Spanien, Deutschland und England. Weitere Maschinen kamen aus China, Amerika, Frankreich und Deutschland.

Die deutsche Rennsport Szene war natürlich auch vertreten, wobei die beiden internationalen Starter der berühmt berüchtigten Tourist Trophy auf der Isle of Man, Frank Spenner und Harald Gasse, zu verzeichnen waren.

Die FIM hatte bereits Anfang des Jahres ihre eigene elektrische Rennsportserie ins Leben gerufen, die internationale E-Power Serie, ohne diese Rennserie gleich mit dem Prädikat einer Weltmeisterschaft auszustatten.
Diese ‘vornehme’ Zurückhaltung gab es nicht für Wolfgang Tiebe, dem Veranstalter der ersten elektrischen Weltmeisterschaft für Batteriebetriebene Scooterfahrzeuge, bei denen der Schnellste gewinnt. Rechtliche Absicherung durch Eintrag ins Markenregister sorgen nun dafür, dass jeder Veranstalter der sein Rennen ‘Elektrische-Scooter- oder E-Bike World Championchip’ nennen möchte bei ihm nachfragen muss - selbst die FIM.

Mit solchen Voraussetzungen startete dann das Rennen und unsere französischen Freunde vom XOR-Team übernahmen die Führung in der ersten Kurve, hart verfolgt von den amerikanischen Vectrix Maschinen. Damit lag ein Fahrzeug an der Spitze, das sich auf geniale Weise auf Trolly-Koffergröße kleinfalten lässt, ein Novum im Rennsport. Im weiteren Verlauf des Rennens musste das Fahrzeug leider mit technischem Defekt in der Boxenstraße abgestellt werden. Dort befand sich bereits der InnoScooter, mit einem mysteriösen Motorstopp, denn nach dem Rennen lief der Motor wieder, als wenn nichts gewesen wäre.

Auch harter Rennsport wurde geboten, bei dem 3 Stürze zu beklagen waren, die alle glimpflich verliefen und teilweise mit Wiederaufnahme des Rennens zu Ende gefahren wurden. Zum Schluss hatten 2 Vectrix die Führung übernommen, bis in der vorletzten Runde einer der Beiden mit leerem Akku ausrollte. Die kleineren Klassen gewannen Solarscooter und Elmoto. Fehlte nur noch die vierte Klasse.

In der Prototypenklasse ergab sich die kuriose Situation, dass nur ein Fahrzeug, der InnoScooter, genannt hatte. Dieser hatte allerdings mit dem vorübergehenden Problem der technischen Arbeitsverweigerung zu kämpfen. Um in die Wertung mit aufgenommen zu werden, musste er die Ziellinie überqueren. Mit elektrischer Kraft war dies nicht möglich – also wurde er geschoben. So wurde InnoScooter nach nur 5 Minuten Rennfahrt und leichter ‘Humanpower Aktion’ durch Harald Gasse zum Weltmeister der Elektrischen Scooter Prototypen Klasse. Effizienter und energiesparender geht es nicht!
Der Streckensprecher freute sich noch über: ‘diese clevere Wertungssicherung’, doch dies ist nur die halbe Wahrheit.
Wenn Sie die ganze Wahrheit über den elektrischen Rennsport wissen wollen, oder welches Körperteil das Schärfste ist, vom Boxengirl am linken Bildrand der Vorderseite, dann lesen sie die sehr persönlichen Erfahrungen des Autors Harald Gasse im folgenden Kommentar:

‘ Die Letzten werden die Ersten sein?’



Die Letzten werden die Ersten sein!


Solche Sinnsprüche waren für alle ‘nur’ platzierten ‘nicht Sieger’ immer beliebt.
Sie dienten als Motivation beim nächsten Rennen wieder anzutreten. Das dabei ausgerechnet die Letzten eine reelle Chance hätten haben sollen, kam in der Realität leider sehr selten vor.
Wenn ja, dann war es meist ein schwerer und langer Weg bis zur Spitze.


Nun stellte sich heraus, das dieser Weg auch ultra kurz sein kann.
Nicht im Nächsten, sondern im selben Rennen ist es möglich Sieger und doch gleichzeitig der Allerletzte zu sein. Mathematisch korrekt tritt dieser Fall ein, wenn nur ein Teilnehmer zum Wettbewerb angetreten ist.


Viel Feind, viel Ehr! - als Kampfschrei, um sich einer zahlenmäßigen Übermacht entgegen zu werfen - das kann man für solche ‘Meistertaten’ nicht in Anspruch nehmen.
Ach, wenn es doch auf allen Schlachtfeldern so einsam zugegangen wäre.


Lieber tot als Zweiter! – als Ausdruck unbedingten Siegeswillen?
(Zu meist als ironische Übertreibung ausgesprochen).
Wer dieser Maxime folgte, konnte durchaus Erfolge einfahren – für kurze Zeit.
Die Kunst ist - irgendwo dazwischen unbeschadet zu überleben.


Was bleibt? Schande oder Stolz? Welch irreale Gefühlswirrungen haben diese beiden konträren Ruhmesbewertungen schon erzeugt - selbst wenn Sie nur alleine aufgetreten sind?


Ratsam ist es, für solche Grenzfälle des Siegestaumels, sich auch weiterhin an den einfachen Dingen des Lebens zu erfreuen. Dann ist es völlig egal ob der Siegerpokal halbvoll oder halbleer ist. Ob der WM-Titel halb verdient oder halb geschenkt war. Ob das Glas gefüllt ist mit deiner Lebensenergie, halbentleert, oder gefüllt ist mit dem Rest, der in unzählige kleine Tropfen geteilt werden kann, von den du jeden Einzelnen genießen darfst. Schade nur, dass diese Erkenntnis meistens erst dann verstanden wird, wenn die erste Hälfte bereits heruntergestürzt wurde.

Freilich muss man für diese kleinen, glücklichen Momente mit offenen Augen durchs Leben gehen, und so kann selbst in der Dämmerung einer dunklen Messerampe eine unerwartete Freude auf dich zu kommen.
Eigentlich war es mehr ein Vorbeiziehen in 50 bis 30 Meter Entfernung. In der kleinen Gruppe hinauseilender Messebesucher fand sich ein verschwommener roter Fleck, dessen weibliche Bewegungen mir irgendwie bekannt vorkamen. Also, erst einmal die Brille rausgekramt und sich vergewissert. Richtig, da ist doch eine der reißenden Begleiterinnen der Siegerehrung, die heute von 4 Weltmeistern geküsst wurde. Noch bevor ich eine weiter Reaktion zeigen konnte, löste sich ihre Erscheinung etwas verzögernd von der Gruppe, um in einen Anflug von freudigem Wiedererkennen, mir herzlichst zu zu Winken. Meine Zeichen waren natürlich genauso freudig und schon war dieser kleine Moment vorbeigegangen.

War es das schon? Um festzustellen welches Körperteil ihr schärfstes war hat es gereicht.
Es waren natürlich die – Augen. Schließlich saß ich in 30 Meter Entfernung, quasi im Dunkeln, hinter der Glasscheibe meines Renntransporters der aussieht wie ein Krankenwagen, ohne Lederkombi, dafür mit einer Brille auf der Nase – um aus dieser Entfernung Gesichtzüge zu erkennen braucht man Adleraugen oder den siebten Sinn oder beides.

Wem das zu wenig erscheint dem sei verdeutlicht:
So etwas kann man nicht kaufen. So etwas kann man nur geschenkt bekommen.
Und das war nur der Samstag dieses wahnsinnigen Weltmeisterwochenendes.
Zum jedem Wochenende gehört allerdings auch ein Sonntag!

Ist es möglich so ein einmaliges Erlebnis zu wiederholen? Etwa schon am nächsten Tag?
Vielleicht sogar unter dem Vorzeichen, dass nicht ein kleiner Veranstalter zu Wettstreit ruft, sondern die ‘Oberste deutsche Motorsport Organisation’, der DMSB!

Die Spannung steigt – besonders wenn man elektrisch unterwegs ist.

GastautorIn: Harald Gasse - Peace-E-Rider Team für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /