Außenhandel und Klimapolitik: Was bringt Cancún?

FIW-Policy Brief Nr. 9 "Außenhandel und Umwelt: Was Bringt Cancún?" von Stefan Schleicher, Karl Steininger und Andreas Türk als kostenloser Download unter www.fiw.ac.at erschienen.

Im Rahmen der Klimarahmenkonvention der UNO treffen die Vertragsstaaten zu ihren Verhandlungen (Conference of Parties, COP 16) von 29. November bis 10. Dezember 2010 in Cancún, Mexiko zusammen. Die naturwissenschaftlichen Grundlagen für die Szenarien des Klimawandels haben sich über die letzten Jahre weiter erhärtet und weisen auf die Notwendigkeit einer umfassenden Reduktion der Treibhausgasemissionen hin einer Reduktion um ein Vielfaches der im Kyoto-Vertrag vereinbarten Ziele und unter Einbeziehung von wesentlich mehr als der damaligen Vertragsstaaten. Die Vorgänger-Vertragsstaaten-Konferenz in Kopenhagen 2009 markierte eine fundamentale Änderung in der internationalen Klimapolitik-Architektur. Statt völkerrechtlich verbindlichen gemeinsamen Zielen dürfte es nun den einzelnen Staaten überlassen bleiben welche Handlungen sie setzen. Einzelstaatliche Klimapolitik läuft ohne gemeinsame Ziele aber Gefahr mit wesentlichen Wettbewerbs-effekten im internationalen Handel verbunden zu sein. Für einige Wirtschaftssektoren zeichnen sich technologische Quantensprünge für "Low-Carbon"-Strukturen ab. Für andere Sektoren werden globale sektorale Treibhausgas-Abkommen diskutiert. Vorschläge liegen insbesondere aber auch für Border Tax Adjustments vor, um potentiell nachteiligen Wettbewerbseffekten vorzubeugen. Die Interessenlage der Verhandlungsstaaten ist dabei durchaus komplex.

Das veränderte Klima in der internationalen Klimapolitik: Von der Kyoto- zur Kopenhagen-Architektur

Der Dezember 2009 markierte mit der Klimakonferenz in Kopenhagen eine fundamentale Änderung in der internationalen Klimapolitik. Galt bisher die Kyoto-Architektur, charakterisiert durch das Bemühen einer Treibhausgasemission auf der Basis von völkerrechtlich verbindlich gemachten Zielen, sichtbar im Kyoto-Protokoll, so markierte Kopenhagen einen Abschied von dieser Architektur. Auf Betreiben der USA und China wurden mit dem Kopenhagen Accord die Umrisse der neuen Architektur festgelegt: statt Reduktionszielen ein Bekenntnis, die globale Erwärmung mit 2Grad Celsius zu begrenzen, die dafür notwendigen Handlungen aber den einzelnen Staaten selbst zuüberlassen und zu ersuchen, ihre Absichten der Weltgemeinschaft in eine Liste von Versprechungen einzutragen.

Während die Reduktionsziele unter dem Kyoto-Protokoll vergleichsweise gering waren, und die EU das Kyoto-Ziel auch dank des Zusammenbruchs der Wirtschaft in den neuen EU-Mitgliedstaaten leicht erreichen kann, sind somit nun verstärkte Reduktionen nötig, die eine Herausforderung auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Wirtschaft darstellen.

Klimapolitik in einer vernetzten Weltwirtschaft

Wenn striktere Klimapolitik in einem Land nur dazu führt, dass die treibhausgasintensive Pro-duktion in ein anderes nicht reguliertes Land abwandert, so ist niemandem gedient, weder wirtschaftlich dem reduzierenden Land, noch der globalen Umweltqualität.

Die weltweite Verteilung der Produktionssysteme und der sie ermöglichende Welthandel bestimmen bereits derzeit, dass jedes Land mit der Klimapolitik in seiner eigenen Jurisdiktion nur mehr einen Bruchteil der Treibhausgasemissionen bestimmen kann, für die es durch seinen Konsum letztlich verantwortlich ist. Am Beispiel Österreichs: Für das Jahr 1997, dem Jahr in dem das Kyoto-Protokoll unterzeichnet wurde, weist Österreich Emissionen "innerhalb seiner Grenzen" in Höhe von 67 Mio. t CO2 aus. Werden davon jene Emissionen abgezogen, die zwar in Österreich entstehen, aber nur für die Produktion von Gütern notwendig sind, die anschließend exportiert werden, und zählen umgekehrt gleichzeitig jene Emissionen hinzu, die im Ausland entstehen in der Produktion von Gütern, die dann nach Österreich importiert und hier konsumiert werden, so zeigt sich, dass derösterreichische Konsum - bei Beachtung aller Vorketten in der Produktion letztlich in diesem Jahr für netto 91 Mio. t CO2 verantwortlich war, die weltweit entstehen, und damit für deutlich mehr als die 67 Mio. t, die die offiziellen Statistiken als jene Emissionen ausweisen, die innerhalb der Grenzen Österreichs entstehen. Die Zurechnung nach dem konsumbasierten Prinzip fällt also um 36% höher aus als jene nach dem Produktionsortsprinzip, dem die bisherigen offiziellen Statistiken folgen. Im Jahr 2004 war dieser "gap" der österreichischen Emissionen übrigens bereits auf 44% gestiegen, und Österreich ist durch seinen Konsum mittlerweile für 114 Mio. t weltweiter CO2-Emissionen verantwortlich.

Entstehende Post-2012-Klimaarchitektur im Lichte von Wettbewerbsfragen

Auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen 2009 brachten die USA Border Tax Adjustments ins Spiel, falls Entwicklungsländer keine Ziele annehmen würden, einige der legislativen Vorschläge für ein nationales US Klimagesetz sehen Border Tax Adjustments (BTA) explizit vor. In Form von sogenannten Border Tax Adjustments hebt ein Land, das verglichen mit der übrigen Welt striktere Klimaziele in seinem eigenen Land einführt, Importzölle für Produkte aus "kohlenstoffintensiven" Sektoren ein, um die im Inland in diesen Wirtschaftssektoren übermäßig entstehenden Reduktionskosten auszugleichen. Border Tax Adjustments stellen damit eine der diskutierten Möglichkeiten dar, um in einer Welt von einzelstaatlicher und nicht notwendigerweise global akkordierter Treibhausgaspolitik, Wettbewerbsnachteilen vorzubeugen. Sollte es nicht wenigstens zu sektoralen globalen Zielvereinbarungen kommen, die ebenso Wett-bewerbsnachteilen vorbeugen könnten, so wären BTAs wohl die einzige Möglichkeit dieser Gefahr zu begegnen. Kurzfristig, oder gar bis Cancún, erscheinen sektorale Abkommen jedoch nicht wahrscheinlich.

Aufgrund der weltweiten politischen Entwicklungen, zuletzt der Mid-Term Elections in den USA, muss sich die EU darauf einstellen, dass sie zu einer kleinen Gruppe von Ländern mit vergleichsweise strengen Zielen gehören könnte, während zahlreiche andere Staaten zwar auf freiwilliger Basis Reduktionsziele vereinbaren, jedoch ohne vergleichbare Stringenz. Während für Cancún eine Reihe von Entscheidungen auf technischer Ebene erwartet werden können, wird die Diskussion über die Gesamtarchitektur frühestens Ende 2011 bei der Weltklimakonferenz in Südafrika fallen. Ein ambitioniertes internationales Abkommen dürfte jedoch auch dann außer Reichweite sein.

Sind Border Tax Adjustments eine Option für Europa?

Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass BTAs unter bestimmten Voraussetzungen mit WTO-Richtlinien verträglich sind. Ein Ausgleich einer CO2-Steuer beim Import beispielsweise könnte über eine Ausnahmebestimmung der GATT-Regeln gerechtfertigt werden. Die Entscheidung, ob Europa BTAs einführt, wird somit wohl keine primäre rechtliche sein, sondern eine politische. Dennoch sollte die EU um den Vertrauensvorschuss, den sie im Gegensatz zu den USA Entwicklungsländern gegenüber noch besitzt, zuerst alle diplomatischen Mittel ausnützen, um diese Länder, beispielsweise in Cancún aber auch im nächsten Jahr, zu verstärkten Klimaschutzbemühungen zu bewegen, bevor sich Europa auf eine klare Position zugunsten von BTA festlegt.

Das von allen Ländern deklarierte Ziel, die Erderwärmung bei (höchstens) 2 Grad (im globalen Durchschnitt) zu beschränken (was fürÖsterreich eine Erwärmung um etwa 4 Grad, in einzel-nen Regionen in einzelnen Jahreszeiten jedoch noch deutlich mehr, bedeutet) erfordert eine Stabilisierung der CO2-Konzentrationen auf einem Niveau von höchstens 450 ppm, nach neueren Rechnungen einiger Modelle langfristig sogar nur bei 350 ppm. Wir stehen derzeit bei 387 ppm, haben den Spielraum der Erhöhung mit den bisherigen fossilen Emissionen also bereits ausgeschöpft bzw. weitgehend ausgeschöpft. Je länger wir mit der Restrukturierung unserer Energiesysteme und Gesellschaften warten, umso schwieriger wird es, dieses Ziel noch zu er-reichen - und umso mehr Anpassungskosten an das dann veränderte Klima wird jedes Land tragen müssen. In Cancún gilt es, eine gemeinsame Sichtweise zu stärken, um dann in allen relevanten Foren (von WTO bis G 20 und G 77, wie auch national) die darauf abgestimmten Regelwerke zu entwickeln und zu implementieren.

Der vollständige FIW-Policy Brief sowie weitere Informationen können kostenlos von der FIW-Webseite heruntergeladen werden: http://www.fiw.ac.at/index.php?id=462

Die FIW-Policy Briefs erscheinen in unregelmäßigen Abständen zu aktuellen außenwirtschaftlichen Themen. Herausgeber ist das Kompetenzzentrum "Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft" (FIW). Das FIW wird im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) im Rahmen der Internationalisierungsoffensive der Bundesregierung von drei Instituten Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Rechenzentrum (WSR) betrieben. Es bietet den Zugang zu internationalen Außenwirtschafts-Datenbanken, eine Forschungsplattform und Informationen zu außenwirtschaftsrelevanten Themen.

Für die Inhalte der Policy Briefs sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich.

Quelle: Wegener Zentrum Universität Graz


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /