DER STANDARD-Kommentar "Schiffbruch (vorerst) abgewendet"

von Julia Raabe -"Der Gipfel in Cancún bietet die Chance, das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen"

Die Mannschaft eines leckgeschlagenen Schiffes hat sich nach langem Streit darauf verständigt, nicht ertrinken zu wollen. Eigentlich weiß zwar jeder, was zu tun wäre. Doch sie beschließt, zunächst ein bisschen Ballast abzuwerfen und weiter darüber zu diskutieren, wie man die Lecks stopfen kann - wofür es immerhin schon einige Ideen gibt.

Jeder normale Passagier würde wohl angesichts dieser Lage die Besatzung für verrückt erklären oder gänzlich in Panik geraten. Nicht so die 194 Delegationen, die sich auf dem diesjährigen UN-Klimagipfel in Cancún gerade auf genau so einen Kompromiss geeinigt haben: Sie feiern das überschwänglich als einen Erfolg.

Kein Wunder: Man hatte ja schon fast fix damit gerechnet, Schiffbruch zu erleiden. Wer in Kategorien des nationalen Interesses denkt, kann auf eine gemeinsame Bedrohung nicht reagieren - das war die Lektion aus dem gescheiterten Gipfel in Kopenhagen. Und auch in Cancún sah es zunächst danach aus, als würden sich die Nationalstaaten nicht aus dieser Logik befreien können.

Nun gibt es wieder etwas Hoffnung, eine Chance, weil sich die Staaten zumindest auf einige Punkte des weiteren Fahrplans geeinigt haben: Sie wollen die Erderwärmung auf unter zwei Grad begrenzen, den armen Länder Geld für Klimaschutzmaßnahmen geben und die Entwaldung stoppen.

Doch bisher sind das Absichtserklärungen. Wer das verloren gegangene Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten wiedergewinnen will, muss diese Beschlüsse in den kommenden Monaten in die Realität umsetzen - allen voran die Finanzhilfen für die armen Staaten. Die Kluft zwischen Entwicklungs- und Industrieländern hat die Verhandlungen schon viel zu lange blockiert.

Geschieht das nicht bis zum nächsten Gipfel im südafrikanischen Durban Ende 2011, könnte dann schnell wieder alles auf dem Spiel stehen. Denn die wichtigsten Fragen, die auch den Cancún-Gipfel fast zum Scheitern gebracht haben, wurden wieder einmal aufgeschoben: Was passiert, wenn die erste Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls ausläuft, das die Industriestaaten (bis auf die USA) dazu verpflichtet, ihre Emissionen zu senken? Soll es eine zweite Periode geben? Länder wie Japan und Russland winken jetzt schon ab. Wie weit müssen große Schwellenländer wie China und Indien ihre Emissionen senken? Und muss der neue Klimavertrag für alle rechtlich bindend sein? Um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden, muss es auch darauf Antworten geben.

Wie es auch anders gehen kann, zeigen Initiativen wie das Netzwerk Klimaschutz-Modellregionen, in dem Oberösterreich Mitglied ist, oder das von Kalifornien im November initiierte Klimabündnis "R20": Hier haben sich jeweils Regionen aus aller Welt zusammengeschlossen, die im Klimaschutz schneller voranschreiten als ihre nationalen Regierungen. Der Klimawandel als Chance, lautet das Motto - vor allem als eine wirtschaftliche.

Prognosen sagen in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien voraus - 1,7 Billionen Dollar bis 2020, lauten die Schätzungen. Wenn die Regierungen erkennen, dass eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz wirtschaftliche Vorteile bringt, wäre das zwar nicht die Überwindung der nationalen Interessen. Aber diese dienten dann durchaus dem Interesse der Menschheit.

Rückfragehinweis: Der Standard



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OTS0040 2010-12-12/18:23



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /