© Parlamentsdirektion/Ott - Fritz Neugebauer (Zweiter Präsident des Nationalrates), Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie), Prof. Dr. Claudia Kemfert (Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung).
© Parlamentsdirektion/Ott - Fritz Neugebauer (Zweiter Präsident des Nationalrates), Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie), Prof. Dr. Claudia Kemfert (Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung).

Wohin geht die Energieversorgung der Zukunft?

Energiekommissar Günther Oettinger und Prof. Claudia Kemfert im Parlament- Diskussionsveranstaltung mit den Energiesprechern der Parlamentsparteien und dem Präsident von Oesterreichs Energie

© Parlamentsdirektion/Ott - Dr. Barbara Schmidt (Generalsekretärin von Oesterreichs Energie), Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie), Dr. Peter Layr (Präsident von Oesterreichs Energie).
© Parlamentsdirektion/Ott - Dr. Barbara Schmidt (Generalsekretärin von Oesterreichs Energie), Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie), Dr. Peter Layr (Präsident von Oesterreichs Energie).

Die Energieversorgung der Zukunft stand heute im Zentrum einer hochrangig besetzten Diskussionsveranstaltung mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Auf Einladung der Präsidentin des Nationalrates Mag.a Barbara Prammer, des Zweiten Präsidenten des Nationalrates Fritz Neugebauer, und von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, diskutierten die EnergiesprecherInnen der im Nationalrat vertretenen Parteien Wolfgang Katzian (S), Peter Haubner (V), Werner Neubauer (F), Christiane Brunner (G) und Rainer Widmann (B) und der Präsident von Oesterreichs Energie, DI Dr. Peter Layr. Moderiert wurde von Manuela Raidl von PLUS 4.



In seinen Begrüßungsworten erinnerte Präsident Neugebauer an die große Aufmerksamkeit, die sowohl der Hauptausschuss des Nationalrates als auch der EU-Ausschuss des Bundesrates der Europäischen Strategie 2020 und den Klimaschutz- und Energiezielen "20:20:20" widmen. Die Energieversorgung Österreichs hat einen hohen Standard, hielt Neugebauer fest, sprach sich aber angesichts der Klimaschutzziele, das absehbaren Endes fossiler Energieträger und des immer weiter steigenden Energiebedarfs nachdrücklich dafür aus, sich seitens der Politik intensiver als bisher mit dem Thema Energiepolitik
auseinanderzusetzen.

Energievisionen für Europa und die Energiewende in Deutschland

EU-Energiekommissar Günther Oettinger sprach über "Investitionen und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Energieversorgung in Europa"
und leitete seine Ausführungen mit dem Hinweis auf die wichtige geostrategische Lage Österreichs an einem Nord-Süd- und West-Ost-Schnittpunkt des Kontinents ein, die dem Land eine entscheidende Rolle in einer kooperativen Energiepolitik für Europa zuweise. Eine EU-weite Umstellung auf eine emissionsarme und sichere Energieerzeugung ist notwendig, daher muss auch eine verstärkte Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten forciert werden, so Oettinger. Seit nunmehr 15 Jahren steht Energiepolitik wieder ganz oben auf der Prioritätenliste der EU, stellte Oettinger fest und plädierte dafür, den Energiebinnenmarkt bis 2014 zu vollenden, wie es das Ziel des Dritten Energiebinnenmarktpakets darstellt.

Kritisch sah der EU-Kommissar die große und weiter steigende Importabhängigkeit der Europäischen Union bei Energie, wodurch die Abhängigkeit von den Lieferanten und Erpressbarkeit der EU zunehme. Die Nachhaltigkeit der Europäischen Energieversorgung habe noch Nachholbedarf. Oettinger äußerte sich pessimistisch über die Chancen, eine globale Klimaschutzvereinbarung zu treffen, weil etwa China darauf hinweisen könne, dass der Energiebedarf jedes Chinesen im Durchschnitt weit unter dem eines Europäers liegt. Die Energiemenge, mit der ein Chinese ein Jahr lang auskomme, würde für einen Europäer nur bis zum 20. Februar reichen, meinte Oettinger pointiert.

Die Energiekosten haben große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Als Wettbewerbskriterium haben sie die Arbeitskosten sogar schon abgelöst, sagte Oettinger und sah die Energiepolitik als einen wesentlichen Faktor der Industriepolitik. Obwohl der Lissabonvertrag eine umfassende Energiekompetenz für die Europäische Union gebracht hat, bleiben Entscheidungen über den jeweiligen Energiemix in der Hand der Mitgliedsländer. Deutschland wird in 10 Jahren keine AKW mehr haben, während Frankreich 76 % seiner Elektrizität mit AKW produziert und Polen in die Atomstromproduktion einsteige, um seine Abhängigkeit von der Braunkohle zu reduzieren. Tschechien wiederum produziere Atomstrom, um diesen zu exportieren, so Oettinger.
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Europa braucht eine neue effizientere Energieinfrastruktur, die es erlaubt, Energie in Europa arbeitsteilig herzustellen, ist der EU-Energiekommissar überzeugt. Europa braucht nach seiner Meinung auch transeuropäische Energienetze, die es möglich machen, Wind-Strom aus dem Norden in den Süden und Solarstrom aus dem Süden in den Norden zu transportieren und gleichzeitig die Pumpspeichermöglichkeiten in den Alpen und auf dem Balkan zu nutzen.

Ein wichtiges Element der europäischen Energiepolitik sei das Energiesparen und die Steigerung der Energieeffizienz, insbesondere durch die thermische Sanierung alter Gebäude, sagte Oettinger und äußerte die Befürchtung, dass die Energieeffizienz bis 2020 nicht - wie geplant - um 20 %, sondern nur um maximal 14 % gesteigert werden könne. Während Automobile dem Fahrer bereits genau anzeigen, wie viel Benzin oder Diesel er verbrauche, oder Telekomfirmen ihren Kunden detaillierte Abrechnungen bieten, wissen die Stromverbraucher immer noch nicht, dass es wirtschaftlich sinnvoll wäre, Wäsche nicht tagsüber, sondern in der Nacht zu waschen oder alte Kühlschränke durch energiesparende neue Modelle zu ersetzen. Oettinger setzt auf den intelligenten Stromverbraucher und hält Maßnahmen zur besseren Information der Konsumenten für dringend notwendig.

Deutschland als Pionier der Energiewende für die EU

Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, berichtete von dem Umdenkprozess in der Atompolitik, zu dem die Katastrophe in Japan in Deutschland geführt hat. Der aktuelle Ausstiegsplan in Deutschland sehe vor, alle Kernkraftwerke in Deutschland bis 2022 abzuschalten. Doch es gehe bei der Energiewende nicht nur um den Ausstieg aus der Kernenergie, sondern auch um den Ausstieg aus der Kohle, hielt Kemfert fest. In Deutschland werden über 40 % des Stroms aus Kohle gewonnen, rechnete die Expertin vor und befürchtete, dass mit dem Rückgang der Atomenergie der Kohleanteil am Strommix wieder auf über 50 % klettern könnte. Kohlekraftwerke passen aber nicht in das Konzept der nachhaltigen Energiewende: Sie produzieren deutlich mehr klimagefährdende Treibhausgase als andere Energieträger.

Das Ziel der deutschen Bundesregierung, in den kommenden vier Jahrzehnten den Anteil der erneuerbaren Energien von heute 17 % auf 80 % zu erhöhen, ist technisch machbar. Allerdings müssen dazu gleichzeitig die Netze deutlich ausgebaut und vor allem deutlich mehr Stromspeicher geschaffen werden. Genauso wichtig wie das Angebot ist jedoch die Nachfrage. Je weniger Energie wir verbrauchen, desto weniger abhängig machen wir uns von den immer knapper und teurer werdenden fossilen Energien, analysierte die Expertin.

Die Energiewende ist also technisch machbar. Aber ist sie auch wirtschaftlich sinnvoll, fragte die Ökonomin. "Isoliert sich Deutschland dabei völlig? Droht eine Deindustrialisierung, müssen wir mit Blackouts und mit Strompreisexplosionen leben?" - Solchen Horrorvisionen, wie sie von interessierter Seite an die Wand gemalt werden, erteilte Claudia Kemfert eine klare Absage. Richtig sei vielmehr: Die Welt schaue manchmal skeptisch, meist jedoch mit großem Interesse auf Deutschland. Eine Deindustrialisierung wird es definitiv nicht geben, im Gegenteil. Gerade die wichtigen Zulieferindustrien der erneuerbaren Energien und der nachhaltigen Mobilität profitieren von der Energiewende. Der Strompreis wird nur moderat steigen, da die Energiewende neben preistreibenden auch preissenkende Faktoren mit sich bringe.

Eine zentrale Frage bleibe laut Kemfert dennoch: "Wer zahlt diese Energiewende?" Die Anfangsinvestitionen der Energiewende werden sicherlich zum größten Teil von Unternehmen und kommunalen Energieversorgern getätigt werden, teilweise wird aber auch Finanzierung durch die öffentliche Hand notwendig sein. Wird der Anteil erneuerbarer Energien verdoppelt, müssen bis zu 122 Mrd. Euro in den kommenden 10 Jahren in diesen Sektor investiert werden, so die Schätzung des Bundesumweltministeriums. Die benötigten Fördermittel könnten, ebenso wie die zusätzlichen Ausgaben für die Energieforschung, aus dem Verkauf der CO2-Emissionsrechte erwirtschaftet werden.

Neue Investitionen der E-Wirtschaft werden aber Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen. Die deutsche Wirtschaft kann dabei vom Boom in erneuerbaren Energien profitieren, bei neuen Kraftwerken, bei der Steigerung der Energieeffizienz und bei nachhaltigen Gebäuden und Mobilitätsmodellen. Die Energiewende wird heute eingeleitet. Sie führt uns in eine nachhaltige Energieversorgung. Und sie bietet definitiv mehr Chancen als Risiken.

Ob Deutschland andere Länder, auch andere EU-Länder, überzeugen kann, auch diesen Weg einzuschlagen, wird davon abhängen, wie erfolgreich der Umstieg hin zu einer nachhaltigen Energiewende sein wird. Wenn es Deutschland schafft, den Anteil erneuerbarer Energien deutlich zu erhöhen und zugleich die Infrastruktur und Speicherung wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen, werden andere Länder dem positiven Vorbild folgen, schloss Claudia Kemfert.

Quelle: Österreichs Energie & Parlamentskorrespondenz

Österreich: Ein Schulterschluss aller Beteiligten ist notwendig

Die Energiesprecher der Parteien betonten in ihren Diskussionsbeiträgen die Bedeutung des richtigen Mix von Energieträgern. Mit 71 Prozent Energie aus erneuerbaren Quellen ist Österreich in Europa bereits heute führend, dieser Bereich soll noch weiter ausgebaut werden. Mit der Umsetzung des dritten Binnenmarktpakets durch das ElWOG und mit dem Ökostrom-Gesetz sind in Österreich zuletzt wichtige Schritte für die Energiezukunft gesetzt worden. Die Vorbereitung eines Energieeffizienz-Gesetzes stehe nun im Fokus.

"Letztlich müssen alle ihren Beitrag für die Energiezukunft leisten", fasste der zweite Präsident des Nationalrates, Fritz Neugebauer, die Diskussion zusammen. Konsumenten, Unternehmen und E-Wirtschaft werden gleichermaßen gefordert sein, um die nachhaltige und sichere Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Strom auch in Zukunft zu gewährleisten.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /