© Emrich Consulting ZT-GmbH – Das 'Einfamilienhaus auf der Grünen Wiese' verursacht hohe Infrastrukturkosten und induziert viel motorisierten Individualverkehr
© Emrich Consulting ZT-GmbH – Das 'Einfamilienhaus auf der Grünen Wiese' verursacht hohe Infrastrukturkosten und induziert viel motorisierten Individualverkehr

Energieausweis für Siedlungen

Wie ökologisch, sozial und volkswirtschaftlich nachhaltig ist Ihre Siedlung?

© Emrich Consulting ZT-GmbH – Energieausweis für Siedlungen
© Emrich Consulting ZT-GmbH – Energieausweis für Siedlungen
© VCÖ/APA Pressefotos/Preis – Energieausweis für Siedlungen Gesamtsieger beim VCÖ-Mobilitätspreis 2010
© VCÖ/APA Pressefotos/Preis – Energieausweis für Siedlungen Gesamtsieger beim VCÖ-Mobilitätspreis 2010

Das Passiv-Einfamilienhaus auf der 'grünen Wiese' erscheint zwar rein auf dessen Konditionierung (Heizung, Warmwasser, ...) bezogen, ökologisch und volkswirtschaftlich effizient, werden jedoch die Aufwände für die Erschließung (Straße, Wasser, Kanal, Stromleitungen, Straßenbeleuchtung), sowie der indizierte motorisierte Individualverkehr mit-einbezogen, sieht die Sache ganz anders aus. So ist beispielsweise eine salzburger Infrastrukturkostenstudie aus dem Jahr 2007 klar zu dem Schluss gekommen, dass Reihenhäuser und Geschosswohnbauten wesentlich geringere Infrastrukturkosten je Einwohner/in verursachen, als die oftmals bevorzugten Ein- und Zweifamilienhäuser.
Um diese Unterschiede in konkreten Zahlen zu erfassen, wird seit 2009 für niederösterreichische Gemeinden ein 'Energieausweis für Siedlungen' angeboten.
oekonews.at führte ein Interview mit den Initiatoren DI Rainer Zeller von Emrich Consulting und Hofrat DI Siegfried Kautz vom Amt der niederösterreichischen Landesregierung.

Was ist der Energieausweis für Siedlungen?

oekonews.at: Was ist der Energieausweis für Siedlungen?

Kautz: Ein Instrument um Bauland hinsichtlich der Lage im Ortsverband betreffend Energieaufwand und CO2-Emissionen zu beurteilen.

Zeller: Ein Wohnbau kann damit nicht mehr nur wärmetechnisch auf Energieeffizienz geprüft werden, sondern auch bezüglich seiner Lage im Ortsgefüge und der daraus resultierenden Infrastrukturkosten. So haben Gemeinden damit auch eine Argumentationshilfe für die effizientere Nutzung der Baulandreserven.


oekonews.at: Was wird im Energieausweis für Siedlungen bewertet?

Zeller: Es gibt drei Bewertungsschemen, die unterschiedlich gewichtet werden:
1. Kosten für die Gemeinde (in €) – 40 %
2. CO2-Emissionen – 25 %
3. Punkte für Lebensqualität – 35 %

Kautz: Die Gewichtung kann aber auch gemeindespezifisch geändert werden.

Entstehung

oekonews.at: Wie kam es zum Energieausweis für Siedlungen?

Kautz: Wir wollten ein Tool für objektive Standortvergleiche hinsichtlich Energieaufwand und Schadstoffausstoß schaffen. Wichtig war uns dabei die relativ einfache Anwendbarkeit, damit es die zuständigen Personen in den Gemeinde ohne allzu großes Fachwissen auch selbst nutzen können.

Zeller: Wir betreuen viele niederösterreichische Gemeinden in der Raumplanung. Bei dem Projekt 'Heimatsleiten' in Waidhofen an der Thaya ging es darum, neue Baulandreserven ressourcenschonend und effizient zu nutzen. Da kam uns die Idee, das 'Rad' nicht jedes mal 'neu zu erfinden'. Ziel war ein komfortables Tool zu schaffen, das bei solchen Fragen immer wieder eingesetzt werden kann. Angelehnt an den damals gerade relativ neuen Energieausweis für Gebäude, ist zusammen mit Hofrat Kauz die Idee zum Energieausweis für Siedlungen entstanden.
Erarbeitet wurde er dann von Emrich Consulting im Auftrag des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung. Daher ist das Programm auch speziell für die Bedürfnisse von Gemeinden im Land Niederösterreich ausgerichtet.

Kautz: Nebenbei wollten wir aufzeigen, dass das liebgewonnene freistehende Einfamilienhaus auch Nachteile hat – und zwar über die gesamte Lebensdauer.


oekonews.at: Wer hat noch am Energieausweis für Siedlungen mitgearbeitet?

Zeller: Dr. DI Helmut Sedlmayer von Areal Consult hat die Verkehrskennzahlen auf ihre Plausibilität geprüft. Weiters war Architekt DI Norbert Erlach wesentlich an der Ausfertigung des Energieausweises beteiligt.

Vorteile und Erfolge

oekonews.at: Was sind die Vorteile der Nutzung des Tools für GemeindepolitikerInnen?

Kautz: Versachlichung, statt Emotionalisierung. Entscheidungen können dann auch gegenüber der Opposition und eventuell vorhandenen Skeptikern aus der Bevölkerung sachlich und objektiv dargestellt werden.


oekonews.at: Wie viele Gemeinden haben den Energieausweis bereits angewendet?

Zeller: Wir wissen von rund 30 Gemeinden, dass sie den Energieausweis angewandt haben. Das Programm wird aber kostenlos zum Download angeboten. Ist in einer Gemeinde das entsprechende Vorwissen im Bereich Raumplanung bereits vorhanden, kann der Energieausweis für Siedlungen ja auch ohne unser Zutun genutzt werden. Wir können daher nicht sagen, wie viele weitere Gemeinden ohne unsere Hilfe den Energieausweis für Siedlungen angewendet haben.


oekonews.at: Welche konkreten Erfolge gab es beim Einsatz vom Energieausweis für Siedlungen?

Kautz: Entscheidungen gehen in Richtung der höheren Wertigkeit. Wenn es zB die Auswahl zwischen Energiekennzahl 'B' und 'C' gibt, wird in Richtung Wert 'B' entschieden.

Zeller: Konkret ging es beispielsweise in Retz um eine Siedlungserweiterung. Mehrere Bebauungsvarianten standen zur Diskussion. Für alle Varianten wurde die Berechnung des Energieausweises für Siedlungen angewendet. In der Diskussion der Variantenwahl wurden die Berechnungsergebnisse miteinbezogen und es erfolgte eine nachträgliche Optimierung.


oekonews.at: Zeigen Gemeinden auch Interesse an der Verbesserung bestehender Kennzahlen?

Kautz: Beispielsweise hat Krummnussbaum nach Anwendung des Energieausweises erkannt, dass in der Gemeinde Verbesserungsbedarf besteht. Es wurde beschlossen, statt der Fortsetzung der Außenentwicklung, das Potential zur Innenverdichtung zu untersuchen. Ich habe mich hier mit Fördergeldern eingeklinkt und unterstütze das Vorhaben. Die Überziele sind dabei die Verdichtung der Wege und der Infrastruktur um beispielsweise die Nahversorger zu erhalten. Im Endeffekt kann man dann vielleicht sogar Bauland rückwidmen. Ich möchte den Mut des dortigen Gemeinderats sehr hervorheben.

100 % Förderung für Gemeinden dzt. noch möglich

oekonews.at: Das Energieausweis-Tool selbst ist ja vollkommen kostenlos. Falls eine Gemeinde jedoch einen externen Raumplaner mit der exakten Datenerfassung beauftragen möchte, gibt es da Förderungen?

Kautz: Ja, Kosten bis maximal 1.000 Euro werden zu 100 % gefördert. Es gab Fördermittel für etwa 50 Gemeinden, wovon 60 Prozent bereits aufgebraucht sind. Das heißt, momentan sind noch Mittel für 20 weitere Gemeinden vorhanden.

oekonews.at: Welche Intentionen haben Gemeinden, Siedlungen mit guten Kennzahlen im Sinne vom Energieausweis für Siedlungen zu errichten?

Zeller: Viele Gemeindeoberhäupter wissen oft selbst im Groben, welche Siedlungsformen die optimalen sind. Der Energieausweis liefert aber konkrete Zahlen als Diskussions- und Argumentationsgrundlage.

Kautz: Es gibt eine Tendenz zu mehr Umweltbewusstsein und Qualitätsbewusstsein.

"Viele Menschen haben einfach das Gefühl, in Niederösterreich stünde uns eh noch so viel 'Gegend' zur Verfügung"

oekonews.at: Welche Intentionen können Ihrer Meinung nach Gemeinden haben, statt einer dichten Bebauungsstruktur, welche zu guten Kennzahlen im Sinne vom Energieausweis führen würde, einen losen Ein- und Zweifamiliencharakter zu bevorzugen, beziehungsweise zu erhalten?

Zeller: Ich kann es verstehen, wenn in manchen Regionen die Erhaltung eines bestehenden Ortsbildes im Vordergrund steht. Intention kann auch die Ansiedelung wohlhabender Einwohner/innen sein. Weitere sinnvolle Gründe fallen mir ad hoc eigentlich keine ein.

Kautz: Das Ortsbild kann natürlich ein Grund sein. Aber viele Menschen haben einfach das Gefühl, in Niederösterreich stünde uns eh noch so viel 'Gegend' zur Verfügung – das verleitet eben zur Verschwendung der Baulandreserven.


oekonews.at: Gibt es Ambitionen, auch Gemeinden, welche einer dichteren Bebauungsstruktur generell skeptisch gegenüberstehen, zumindest einmal die Anwendung des Energieausweises schmackhaft zu machen?

Zeller: Ja, natürlich. Aber ich denke, dass geht nur in persönlichen Gesprächen mit den Gemeindeverantwortlichen.

Kautz: Es gibt Überlegungen, Büros mit der Durchführung von Informationsveranstaltungen und Überzeugungsarbeiten zu beauftragen. Leider haben wir bei unseren derzeitigen Ressourcen ein Kapazitätsproblem für solche Projekte.

Zeitaufwand: Ein bis zwei Stunden

oekonews.at: Was ist die sinnvolle Mindestgröße von Siedlungen für die Anwendung Ihres Energieausweises?

Kautz: Je größer, je deutlicher werden die bewerteten Unterschiede. Aber prinzipiell ist es sogar möglich, Einzelparzellen zu bewerten.

Zeller: Spätestens ab einer Größe von etwa einem Hektar Baugrund – das entspricht beispielsweise zehn Bauplätzen mit jeweils 800 m² plus Infrastruktur – ist die Anwendung auf jeden Fall zu empfehlen!

Kautz: Sie müssen bedenken, einem bloßen zusätzlichen Zeitaufwand von ein bis zwei Stunden stehen die lebenslangen günstigeren Auswirkungen der besser gewählten Siedlungsstruktur gegenüber.

Zukunftsperspektiven

oekonews.at: Ist eine Weiterentwicklung des Energieausweises für Siedlungen geplant?

Zeller: Ja, noch in diesem Jahr wird eine neue Version 2.0 erscheinen. In der neuen Version soll es nicht mehr notwendig sein, bereits ein geplantes Projekt zu haben. Die Standortbewertung und die Ausgestaltung des Standortes sind dann voneinander entkoppelt. Hat eine Gemeinde zB Baulandreserven an drei verschiedenen Standorten, kann dann erst mal der reine Vergleich der verschiedenen Standorte gemacht werden.

Kautz: Zusätzlich wird es demnächst den Niederösterreichischen Infrastruktur Kosten-Kalkulator 'NIKK' geben. Bei diesem geht es dann speziell um die ausführliche Gesamtbetrachtung aller verursachter Infrastrukturkosten von Siedlungs-Projekten.


oekonews.at bedankt sich für das Gespräch.

Das Tool selbst und alle Informationen rund um den Energieausweis für Siedlungen finden Sie hier:
www.energieausweis-siedlungen.at

Das Interview führten Iris Kovarik, Richard Gruber und Michael Sigmund für oekonews.at


Artikel Online geschaltet von: / sigmund /