© Greenpeace/Georg Mayer - Protest in Wien gegen die Lobau-Autobahn
© Greenpeace/Georg Mayer - Protest in Wien gegen die Lobau-Autobahn

Autobahnausbau Teil 3: Eine seltsame UVP-Verhandlung

Von virtuellen Autokolonnen, Lärmplanern und von Leuten, die per Gesetz kein Recht auf ruhiges Wohnen haben

Wien- Vom 19. bis zum 23. November 2012 fand im Amtshaus Wien-Landstraße die sogenannte ‘mündliche Verhandlung’ der UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) zum Projekt ‘Lobauautobahn’ statt, also zu jenem je nach Kostenanstieg voraussichtlich mindestens 3 bis 4 Milliarden Euro teuren Straßenprojekt von Süßenbrunn über Großenzersdorf durch zwei riesige Tunnelröhren nach Schwechat. Zukünftig soll es auch Autobahnseitenäste zur Seestadt Aspern und nach Obersiebenbrunn geben, die wurden jedoch in dieser Verhandlung amtlich weitgehend ignoriert – nach der bewährten Strategie, dass Einzelprojekte in einer UVP juristisch meist leichter durchzubringen sind als die gigantische Menge an Lärm-, Schadstoff- und CO2-Emissionen des ungeheuren geplanten Autobahngesamtnetzes im Nordosten Wiens.

Während der fünf langen Tage saßen links im Saal eine Armada von ASFINAG-Leuten mit von ihnen beauftragten Detailplanern, sowie rechts gegenüber die Vertreter diverser Bürgerinitiativen. Hoch oben auf einem Podium thronten einige Ministerialbeamte, sowie eine ebenfalls große Anzahl von Gutachtern, die im Auftrag des Ministeriums in ihren gut bezahlten Gutachten festgestellt hatten, dass das Riesenprojekt ‘umweltverträglich’ sei.

Protokollerstellung

Die Ministerialrätin aus dem Verkehrsministerium, die das Verfahren leitete, verkündete zu meiner Verwunderung, dass die Verhandlung zwar mündlich ablaufen müsse, dass jedoch kein Wortprotokoll, ja sogar überhaupt kein Protokoll mitgeschrieben werde, sondern nur ein paar Themen-Stichworte zu jedem Redner. Eigentlich gültig sei dann nur, was schriftlich abgegeben oder in der Mittagspause unter Zeitdruck der Sekretärin diktiert werde.

Wenn man also verbal im Dialog dem Gutachter nachweist, dass dieser einen Unsinn berechnet hat, und man diktiert es nachher nicht der Sekretärin, dann ist es so, als hätte der Wortwechsel nie stattgefunden. Umgekehrt nützt es nichts, wenn man der Sekretärin eine schriftliche Stellungnahme abgibt, ohne sie im Saal vorzulesen. Denn dann gilt sie auch nicht.

Bei monolithischen Stellungnahmen war dies kein Problem. Sie wurden langwierig vorgelesen und dann abgegeben. Bei fachlich komplizierten Dialogen zwischen künftigen Autobahnopfern (also den Anrainern), sowie den Gutachtern und ASFINAG-Experten ergab sich das Problem, dass der genaue Gesprächsverlauf Stunden später gegenüber der Sekretärin rekonstruiert werden musste. Dass das ministerielle Protokoll bei dieser unprofessionellen Vorgangsweise lückenhaft und fehlerhaft sein würde, war damit vorprogrammiert.

Die Ministerialrätin teilte außerdem mit, dass die gesamte Verhandlung auf Tonband aufgenommen werde. Dieses Tonband werde jedoch nicht für die Protokollerstellung verwendet, und überdies sei nicht-ministeriellen Personen später das Anhören oder Verwenden dieses Tonbandes verboten (etwa zum Vergleich mit dem offiziellen Ministeriums-Protokoll). Umgekehrt waren auch Ton- und Videoaufnahmen im Saal verboten (mit Ausnahme des ministeriellen Tonbandes), sodass die Hoppalas und zuweilen peinlichen fachlichen Ausrutscher der Gutachter (wohl nicht zufällig) von den Anrainern später nicht mehr belegt werden können.

Windige Verkehrsprognosen

Einer der Experten teilte mir in der Pause im Privatgespräch mit, dass die Verkehrsprognosen tatsächlich de facto ziemlich willkürlich seien, weil man durch entsprechende Ausgangsbedingungen praktisch jedes Ergebnis erzielen könne. Wenn man, fragte ich, die extremeren Szenarien in beide Richtungen berücksichtigt, bekäme man doch eine ungeheure Schwankungsbreite in den Prognose-Ergebnissen? Ja, dann bekomme man gar kein brauchbares Ergebnis, sagte mir der Mann in leicht resigniert klingendem Ton.

Für Aufsehen sorgte eine Verkehrsstromanalyse des Ist-Zustandes von einem anderen Experten. Auf der einzigen Zufahrtsstraße zur abgelegenen Invalidensiedlung nahe Neu-Essling, wo rund 260 Menschen wohnen, von denen etliche Familienmitglieder kein eigenes Auto haben, und wo somit nur alle heiligen Zeiten ein Auto durch die Felder fährt, auf dieser Sackgasse war ein dicker Verkehrsstrom von derzeit täglich weit über tausend Autos eingezeichnet. Dies sei doch absurd, zweifelten Leute im Saal die Abbildung mit ihren virtuellen, nicht existierenden Autokolonnen an. Der Gutachter verteidigte seine Graphik damit, dass man die Zahlen der Seitenstraßen im Berechnungsmodell nicht wörtlich nehmen dürfe, sie würden sich auf ein größeres Areal beziehen, einen ‘Flächenbereich’. Die Zahlen würden von benachbarten Straßen sozusagen ‘beeinflusst’ werden. Ob dann wenigstens die Verkehrszahlen der Hauptachsen halbwegs glaubwürdig seien, fragten sich wohl viele Leute im Saal.

Der Lärmplaner der ASFINAG

Gerade diese Invalidensiedlung am Rand von Wien, bereits in der Weite des Marchfeldes gelegen, wo im Sommer außer dem Zwitschern der hochfliegenden Feldlerchen nicht viele Laute die Stille durchdringen, wird ganz furchtbar betroffen sein. Ständiger Dauerlärm Tag und Nacht soll hart am gesetzlich gerade noch erlaubten Limit gegen die Häuser branden, aus deren Gärten man statt auf Felder nur mehr auf hohe Lärmschutzwände blickt, weil ohne diese der Lärm jenseits aller Grenzwerte wäre.

Als die Tragik dieser Menschen, die sich dort wohl absichtlich wegen der ruhigen Lage angesiedelt hatten, im UVP-Verfahren zur Sprache kam, sprach die verhandlungsführende Ministerialrätin ins Mikrophon: ‘Ich übergebe das Wort an den Lärmplaner der ASFINAG!’ Möglicherweise wollte sie ‘Lärmexperte’ sagen, aber die Formulierung ‘Lärmplaner der ASFINAG’ traf eigentlich genau den Kern des Problems.

Ein am Podium sitzender Ministerialrat teilte dem unten im Saal stehenden Anrainer mit traurigem Gesicht mit, dass es in Österreich leider kein Grundrecht auf ruhiges Wohnen gäbe. Wenn es vorher herrlich still gewesen sei, und nachher ist es Tag und Nacht sehr laut, aber gerade noch unter den erlaubten Grenzwerten, und es handle sich um ein Bauprojekt im allgemeinen Interesse, dann könne man da nichts machen. Rechtlich hätten die Menschen in Österreich kein Anrecht auf ein idyllisches, ruhiges Wohnen.

Dies sind ein paar verstörende, erste Eindrücke von der mündlichen Verhandlung der Lobauautobahn-UVP. Über die seltsamen Dinge, die in den Gutachten drin stehen, wird demnächst zu berichten sein.

GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /