© Wien Energie- Spittelau einst und jetzt
© Wien Energie- Spittelau einst und jetzt

Spittelau: 20 Jahre Goldenes Wahrzeichen

Mit der Übergabe der von Friedensreich Hundertwasser architektonisch umgestalteten thermischen Abfallbehandlungsanlage Spittelau bekam Wien am 2. Dezember 1992 neben Riesenrad und Stephansdom ein neues Wahrzeichen.

Wien Energie Fernwärme setzte damals mit dem gleichzeitig vollzogenen Einbau modernster Technologie zur Rauchgasreinigung auch neue Maßstäbe im Bereich Umweltschutz und Luftreinhaltung.

Hundertwasser schuf mit der künstlerisch-architektonischen Umgestaltung der thermischen Abfallbehandlungsanlage Spittelau, ausgeführt in den Jahren 1988-1992, eine einzigartige Symbiose aus Technik, Ökologie und Kunst. Gemäß seiner idealistischen Einstellung übernahm der österreichische Künstler und Umweltaktivist die Neugestaltung der Anlage sogar kostenlos.

Wien Energie Fernwärme-Geschäftsführer Thomas Irschik erinnert sich: "Es hätte sich damals niemand gedacht, dass dieses ehemals graue Industriegebäude zu einem solch erfrischenden Farbfleck im Stadtbild werden könnte. Hundertwasser schaffte ein Beispiel für eine humane Architektur, die jedes Jahr zehntausende Touristen, Fachdelegationen und selbst Donaukanal-Ausflugsschiffe extra hierher lockt. Die goldene Kugel prägt die Skyline von Wien wie kaum ein anderes Gebäude und ist in ihrer Erscheinung weltweit einzigartig. Heute ist die Spittelau ein international viel beachtetes Beispiel, wie sich bei Industriebauten Mensch, Natur und wirtschaftliche Ziele in harmonischen Einklang bringen lassen."

Bereits von weitem springen die bunte Fassade und die goldene Kugel auf dem Schlot ins Auge. Dachbegrünung und eine Bewaldung des Vordachs der Anlage bringen die Natur in die Stadtlandschaft zurück. Turmfalken, langjährige Bewohner des durch Brand zerstörten Vorgängerbaus fanden in den am Schlot eingebauten Nestern des Neubaus wieder ein Zuhause.

Bevor Hundertwasser der Anlage ein völlig neues Aussehen gab, war die Anlage ein nüchterner industrieller Zweckbau. Am 15. Mai 1987 lösten Flämmarbeiten am Dach einen Großbrand aus, der weite Teile der Anlage verwüstete und dazu führte, dass für einige Jahre kein Betrieb in der Spittelau möglich war. Bürgergruppen sprachen sich für einen Abriss der Anlage aus, die Wiener Stadtregierung unter dem damaligen Bürgermeister Helmut Zilk entschied sich aber für einen Wiederaufbau. Die Gründe: In der Spittelau ist die komplette Fernwärmeinfrastruktur vorhanden und der Abfall muss nicht umweltbelastend von täglich bis zu 250 Müllfahrzeugen zu einem weit entfernten Standort transportiert werden.

Da die neue Anlage nicht nur bei der Ökologie, sondern auch im Erscheinungsbild eine internationale Vorreiterrolle einnehmen sollte, wünschte sich Helmut Zilk für die Wiederinstandsetzung eine architektonische Gestaltung durch Hundertwasser. Der Künstler zögerte zunächst, drei Argumente stimmten ihn aber um: die Zusage, die Anlage nach modernsten technischen Standards zur Abgasreinigung auszurüsten; der Umstand, dass eine Millionenstadt wie Wien selbst bei größten Anstrengungen Abfälle nicht gänzlich vermeiden kann; und schließlich die Tatsache, dass die thermische Behandlung von Abfall die umweltfreundlichste Methode der Entsorgung ist.

Wien Energie Fernwärme-Geschäftsführer Gerhard Fida: "Darüber hinaus sollte die Anlage natürlich auch ihren Hauptzweck erfüllen und zehntausende Wiener Haushalte und Unternehmen mit Wärme und Warmwasser zu versorgen. Und das auf umweltfreundliche Art und Weise. Die Beheizung einer Wohnung mit Fernwärme spart etwa zwei Drittel an CO2-Emissionen im Vergleich zu einer mit Öl-beheizten Wohnung. Die Technologien bei den Filtern haben sich in den vergangenen Jahrzehnten derart weiterentwickelt, dass wir heute in der thermischen Abfallbehandlungsanlage Spittelau wie auch in den anderen Werken die gesetzlichen Grenzwerte um rund 90 Prozent unterschreiten."

Friedensreich Hundertwasser - Maler und Architekturdoktor für Mensch und Umwelt

Hundertwasser gelangte in den 1960er Jahren mit seinen Gemälden und Grafiken zu internationaler Bedeutung - unverwechselbar durch die ihnen eigene Farb- und Formensprache. In Hundertwassers Bildern taucht seit 1953 die Spirale als häufig wiederkehrendes Element auf. Sie entspricht seiner Vorstellung vom naturhaften Werden, vom Wachsen, aber auch vom Vergehen. Als Symbol des Lebens findet sich die Spirale überall in der Natur - im Kleinen wie im Großen: in Einzellern und Schneckenhäusern, in Fingerabdrücken und Hurrikans und selbst im Spiralnebel der Milchstraße. Typisch für Hundertwassers Malerei sind aber auch die natürlichen Farben. Als Gegner vorgefertigter Malmaterialien stellte er seine Farben selbst her. Er zerrieb Ziegel, Lehm, Erde oder Kohle und mischte sie mit Wasser, Öl, Ei oder Acryl.

Sein ganzes Leben lang beschäftigte sich Hundertwasser auch mit naturverbundenem, menschengerechterem Bauen und Wohnen. Aber erst im letzten Drittel seines Lebens bekam er Gelegenheit, seine architektonischen Entwürfe entsprechend seiner früh verfassten theoretischen Manifeste in die Wirklichkeit umzusetzen: 1982 gestaltete er die Fassade der Porzellanfabrik Rosenthal im deutschen Selb. Ein Jahr später folgte die Grundsteinlegung des Hundertwasser-Hauses in Wien, das 1985 an die Mieter übergeben wurde. In den folgenden Jahren arbeitete er weltweit an zahlreichen Architekturprojekten: Wohnbauten in Bad Soden, Plochingen, Darmstadt und Magdeburg, eine Kirche in der Steiermark, eine Autobahnraststätte in Niederösterreich, ein Bahnhof in Deutschland, aber auch Brunnen in Österreich und Israel. In der Schweiz, aber auch in Kalifornien, in Japan und Neuseeland sind seine Bauten zu finden. So unterschiedlich diese Bauwerke sind, sie alle tragen unverkennbar Hundertwassers Handschrift - keine geometrisch geraden Linien, aber unregelmäßig gesetzte Fenster, begrünte und bewaldete Dächer, Fassaden mit bunter Keramik, Baummieter und unregelmäßige Skyline. Insbesondere am Beispiel der thermischen Abfallbehandlungsanlage Spittelau hat Hundertwasser den Beweis erbracht, dass statt rationeller, unpersönlicher Architektur, anstelle steriler menschenunwürdiger Industriebauten ein schöpferischer Geist im Einklang mit der Natur zum Leben erweckt und die Schönheit von Industriebauten wiedergewonnen werden kann. Diese Architektur wurde nicht nur gelobt, aber viele seiner Ideen wie die Bewaldung und Begrünung der Dächer und das harmonische Miteinander von Mensch, Natur und Architektur sind heute allgemein anerkannt.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /