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Pestizide im Urin von Großstädtern aus 18 europäischen Staaten nachgewiesen

70 % aller Proben in Deutschland belastet

Berlin: Eines der Ergebnisse stichprobenartiger europaweiter Untersuchungen von Glyphosat-Rückständen im Menschen lautet: Sieben von zehn der untersuchten Großstädter in Deutschland hatten das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im Urin. Von März bis Mai dieses Jahres ließen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und sein europäischer Dachverband Friends of the Earth (FOE) Urin-Proben von insgesamt 182 Stadtbewohnern aus 18 Ländern auf Glyphosat analysieren. Es handelt sich hierbei um die erste Studie dieser Art.



Pro Land hatten der BUND und FOE zwischen acht und zwölf Urin-Proben untersuchen lassen. Die Probanden im Alter von 15 bis 65 Jahren waren entweder Fleischesser oder Vegetarier und ernährten sich nach eigenen Angaben überwiegend von konventionellen Lebensmitteln. 90 Prozent der untersuchten Malteser hatten Glyphosat im Körper; bei Briten, Polen und Deutschen waren es 70 Prozent. 63 Prozent der Niederländer und 60 Prozent der Tschechen waren belastet. Belgier und Letten hatten zu je 55, Zyprioten zu 50 Prozent das Herbizid im Urin; bei Spaniern und Kroaten waren es 40 Prozent. Ungarn und Franzosen waren zu 30 Prozent, Österreicher und Georgier zu 20, Schweizer zu 17 Prozent belastet. 10 Prozent der Bulgaren und Mazedonier hatten das Herbizid im Urin.



Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender: ‘Es ist erschreckend, dass fast die Hälfte der Bewohner von Großstädten in Europa Glyphosat im Körper hat. Dabei ist Glyphosat nicht das einzige Pestizid, dem die Menschen ausgesetzt sind. Außer in Malta treten Höchstbelastungen ausgerechnet bei den Bewohnern jener Länder auf, die wie Deutschland, Großbritannien, Polen und die Niederlande intensive Landwirtschaft auf Kosten der Umwelt betreiben. Es wird höchste Zeit, den Pestizideinsatz im Agrarsektor deutlich zu reduzieren.’



Jürgen Stellpflug, Chefredakteur der Zeitschrift ‘Ökotest’: ‘Wir von ÖKO-TEST haben Mehl, Haferflocken und Backwaren auf Glyphosat untersuchen lassen und wurden in 14 von 20 Proben fündig. Vor allem waren acht der zehn untersuchten Brötchen belastet, was zeigt, dass Glyphosat die Backtemperaturen übersteht. Unsere Testergebnisse zeigen, dass Glyphosat über Lebensmittel in die Körper der Menschen gelangt. Glyphosat gehört nicht ins Essen, Pestizide gehören nicht in den menschlichen Körper. Erschreckend ist das Versagen der Behörden, die ausgerechnet bei Glyphosat, dem am häufigsten eingesetzten Pestizid der Welt, kaum Untersuchungen auf derartige Belastungen durchgeführt haben.’



Heike Moldenhauer, BUND-Gentechnikexpertin: ‘Was die zuständigen Behörden versäumen, haben wir getan. Unsere Analysen bestätigen den Verdacht, dass die Bevölkerung in Europa zu weiten Teilen mit Glyphosat belastet ist. Woher die Rückstände im Einzelnen kommen, muss endlich genau untersucht werden. Entsprechend seiner Auskunft hatte keiner der von uns untersuchten Stadtbewohner - zum Beispiel in seinem Garten - selbst Glyphosat eingesetzt. Folglich stammen die Belastungen aus Quellen, die der Einzelne nicht zu verantworten hat.’



Der BUND-Vorsitzende Weiger forderte die jetzige und die künftige Bundesregierung auf, langfristig angelegte Monitoring-Programme für Glyphosat in Lebensmitteln und in der Umwelt zu starten. Dabei müssten auch Importfuttermittel und gentechnisch verändertes Soja erfasst werden. Auf EU-Ebene dürften keine Anbauzulassungen für Glyphosat-resistente Gentech-Pflanzen erteilt werden. Inakzeptabel sei auch, dass die zuständige Bundesagrarministerin Ilse Aigner vor der Pestizidbelastung der Bevölkerung die Augen verschließe. Dies rieche förmlich nach Lobbyismus für die Herstellerfirmen.



Glyphosat-haltige Unkrautvernichtungsmittel werden weltweit am häufigsten verkauft. Auch in der EU sind sie die meistgenutzten Herbizide. Verwendet werden sie vor allem in der Landwirtschaft, aber auch in Parks, im Weinbau oder in Hausgärten. Auf mehr als vier Millionen Hektar, das sind rund 40 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland, werden Herbizide mit dem Wirkstoff Glyphosat eingesetzt. In Nord- und Südamerika werden sie in großem Stil beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ausgebracht. Neben Monsanto bieten auch Bayer, Syngenta und BASF Unkrautvernichtungsmittel an, die Glyphosat enthalten.

Drei von zehn untersuchten ÖsterreicherInnen hatten das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat bzw. seinen Metaboliten AMPA (Aminomethylphosphonsäure) in quantifizierbaren Mengen im Urin.

‘Dieser Befund ist besorgniserregend", kommentiert Helmut Burtscher, Umweltchemiker von GLOBAL 2000, das Studienergebnis: ‘Bei Glyphosat handelt es sich um ein Pestizid, das in Tierversuchen hormonelle Wirkung zeigt und in zahlreichen wissenschaftlichen Studien mit Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit und der embryonalen Entwicklung in Zusammenhang gebracht wird.’ Hormonell wirksame Pestizide stellen für die menschliche Gesundheit deshalb ein besonderes Risiko dar, weil hormonelle Effekte schon bei kleinsten Dosierungen auftreten. Deshalb fordert GLOBAL 2000 schon seit dem Vorjahr ein österreichisches Verbot von Glyphosat.

Die getesteten Personen sind im Alter von 15 bis 65 Jahren, leben im urbanen Raum, verwenden nach eigenen Angaben keine Glyphosat-hältigen Unkrautvernichtungsmittel und ernähren sich nicht überwiegend von Bio-Lebensmitteln. Pro Land wurden zwischen acht und zwölf Personen untersucht, wobei der Anteil positiv auf Glyphosat bzw. auf AMPA getesteter Personen innerhalb der 18 europäischen Staaten signifikante Unterschiede aufwies. Den höchsten Anteil belasteter Testpersonen hatte Malta mit 90 Prozent, gefolgt von Deutschland mit 80 Prozent, Polen und Ukraine mit 70 Prozent, Belgien mit 64 Prozent, Holland mit 63 Prozent, Tschechien und Zypern mit je 60 Prozent, Lettland mit 55 Prozent, Spanien mit 50 Prozent, Frankreich, Kroatien und Ungarn mit 40 Prozent, Österreich und Georgien mit 30 Prozent, der Schweiz mit 17 Prozent und Mazedonien mit 10 Prozent.

Heidemarie Porstner, Landwirtschaftssprecherin von GLOBAL 2000, erklärt: ‘Mehr als die Hälfte der Stadtbewohner Europas haben Glyphosat im Körper. Dass Österreich mit dreißig Prozent belasteten Personen im besseren Drittel liegt, ist aber noch lange kein Anlass zur Freude, da Pestizide in unserem Körper grundsätzlich nichts verloren haben. Dennoch darf darüber spekuliert werden, ob der Bio-Anteil in Österreichs Landwirtschaft, der im europäischen Vergleich der höchste ist, zu dem Ergebnis beigetragen hat. Gesicherte Erkenntnisse, auf welchem Eintrittspfad dieses Pestizid in unseren Körper gelangt, gibt es bislang aber nicht.’

Eine mögliche Erklärung dafür, warum Personen, die weder beruflich noch privat mit Glyphosat hantieren, dennoch diese Chemikalie im Körper tragen, dürfte im sogenannten ‘Totspritzen’ von Getreide zu finden sein, eine auch als ‘Sikkation’ (Trocknung) bezeichnete Praxis, die seit einigen Jahren in Europa zunehmend Einzug hält. Dabei wird das Getreide wenige Tage vor der Ernte mit Glyphosat abgetötet, um eine rasche und gleichmäßige Trocknung bzw. ‘Reifung’ zu erzielen und den Erntevorgang und die Lagerung zu erleichtern. ‘In Deutschland, wo das Totspritzen von Brotgetreide nach unseren Informationen weit verbreitet ist, haben 80 Prozent der Testpersonen Glyphosat im Harn, während in der Schweiz, wo Sikkationsspritzungen verboten sind, nur zwei von zwölf Probanden belastet waren’, sagt Burtscher, und Porstner ergänzt: ‘In Österreich wird das Totspritzen von Getreide ebenfalls praktiziert. Zahlen über den Umfang dieser Spritzungen hat das Landwirtschaftsministerium bislang aber kein bekannt gegeben.’

Kritik an dieser Praxis übt auch der Umweltmediziner Dr. Hanns Moshammer von den ÄrztInnen für eine gesunde Umwelt: "Mit dieser Praxis steigt natürlich das Risiko, dass Rückstände des Giftes über die Lebensmittelkette bis zu den KonsumentInnen gelangen. Auch wenn die gefundenen Konzentrationen nicht zu unmittelbaren Vergiftungserscheinungen führen, lassen sich Schäden in empfindlichen Entwicklungsphasen wie zum Beispiel in der Embryonalentwicklung nach derzeitigem Wissensstand nicht ausschließen."

Im Parlamentarischen Unterausschuss des österreichischen Parlaments liegen seit einem Jahr Entschließungsanträge der Abgeordeten Wolfgang Pirklhuber (Grüne) und Gerhard Huber (BZÖ) für ein Verbot von Glyphosat auf. Der nächste Agrarausschuss tagt am 25. Juni. Die Politik hat es in der Hand, noch vor den Nationalratswahlen ein Verbot von Glyphosat zu beschließen.


Weitere Informationen und die Studie ‘Glyphosat im Urin bei Menschen aus 18 Ländern’ finden Sie im Internet unter: https://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/gentechnik/130612_gentechnik_bund_glyphosat_urin_analyse.pdf


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /