© Thommy Weiss / pixelio.de
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Müssen wir uns vor Ratten in Atomkraftwerken fürchten?

Man möchte ja nicht glauben, welche entsetzlichen Gefahren einem AKW dräuen.

Gemeingefährliche, bösartige Nager knabbern skrupellos Stromleitungen an und lassen damit die Kühlung eines Abklingbeckens sofort kollabieren: Damit konnte man natürlich nicht rechnen.

Gut zweieinhalb Jahre sind seit der Katastrophe von Fukushima bereits vergangen, und längst ist sie aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber die Folgen der atomaren Katastrophe sind da, Menschen und Umwelt in Japan bekommen sie zu spüren.

Verstrahltes Wasser, das zur Kühlung benutzt wurde und in Tanks gelagert wird, sickert ins Erdreich – ein Tank ist undicht. Das Wasser war dorthin gepumpt worden, weil der vorherige Behälter undicht war. Tepco, die Betreiberfirma der havarierten Reaktoren, spricht von bis zu 120 Tonnen Wasser – und meint, da die Tanks ca. 800 Meter vom Meeresufer entfernt sind, ist wahrscheinlich kein Wasser ins Meer geflossen. Wie beruhigend. Ob verstrahltes Wasser bis ins Grundwasser gelangte, könne man nicht sagen. Zur Erinnerung: Tepco hat die Öffentlichkeit und sogar die japanische Regierung in den ersten Tagen der Katastrophe bewusst durch falsche und unvollständige Informationen irregeführt. Die Kernschmelze wurde erst Wochen später zugegeben. Internationale Hilfe wurde zurückgewiesen mit dem Hinweis, man habe die Situation im Griff und könne selbst alles Notwendige unternehmen. Erst nach und nach stellte sich heraus, wie kriminell fahrlässig das Tepco-Management handelte. Vergegenwärtigen wir uns all das noch einmal, wenn wir Verlautbarungen von Tepco lesen: In Wirklichkeit ist es wahrscheinlich um ein Vielfaches schlimmer! (Warum setzt man bis jetzt keinen Ionentauscher ein, mit dem man kontaminiertes Wasser relativ einfach entseuchen kann – mehr als zwei Jahre nach der Katastrophe? Dann gäbe es das Lagerproblem für verstrahltes Wasser gar nicht.)

Apropos schlimmer: Wer hätte gedacht, dass eine Ratte es schafft, die Kühlung für vier Abklingbecken 30 Stunden lang außer Gefecht zu setzen? (Brennstäbe außerhalb des Reaktors erhitzen sich durch die Nachzerfallswärme noch jahrelang selbst und müssen permanent gekühlt werden; Stromausfall in den Kühlungsbecken bedeutet Erhitzung des Wassers bis zum Verdampfen und, wenn nichts unternommen wird, eine nukleare Katastrophe: Die Kettenreaktion beginnt von neuem, und das Material der Brennstäbe gelangt als winzig kleine, hoch radioaktive Partikel in die Umwelt.) Ein Kurzschluss in einer Schaltanlage, den eine Ratte verursacht hatte, war der Grund. Liebe Leute, wie war das mit den Sicherheitsvorkehrungen in Atomkraftwerken? Ist es nicht seit Jahrzehnten Standard, dass Stromleitungen mehrfach vorhanden sein müssen, damit die Stromversorgung reibungslos weiterläuft, falls eine davon ausfällt? Wie kann es sein, dass ein Nagetier einen so langen Stromausfall verursacht und damit die schwer gebeutelte Region Fukushima erneut an den Rand einer Katastrophe bringt? Es klingt wie ein Witz, aber leider ist es die Wahrheit: Die Anlage genügt offensichtlich nicht einmal den allereinfachsten Sicherheitsanforderungen!

Währenddessen fragen sich 315.000 evakuierte und geflüchtete Menschen, wie es für sie weitergehen soll. Werden sie wieder nach Hause können? Für 57.000 von ihnen (offizielle Zahl): Ziemlich sicher nein. Sie alle haben ihr Zuhause verloren, die meisten davon durch den Tsunami auch Familienangehörige und Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen; sie haben ihre Lebensziele verloren, und das Vertrauen: ins Leben, in die Zukunft, und nicht zuletzt in ihre politischen Vertreter, von denen sie sich betrogen fühlen. Sie werden mit ihrer dramatischen Situation alleingelassen: Die versprochene Amtshilfe gibt es für die meisten nicht, Hilfsgelder verschwinden in politischen Löchern, der Wiederaufbau geht nur langsam voran, die Wirtschaft liegt darnieder: Wer will schon Produkte kaufen, die möglicherweise verstrahlt sind?

Die Parallelen zur Katastrophe von Tschernobyl sind erschreckend: Keine oder unzureichende Informationen für die Bevölkerung, Evakuierung zu spät oder gar nicht, große Schlagzeilen in den ersten Wochen – und dann wird es, bis auf ein paar Zeitungsmeldungen, ruhig um die Menschen – sie sind allein …

Damit hier nicht der Eindruck entsteht, der atomare Wahnsinn spiele sich nur in Japan ab: In Sellafield/Großbritannien (ehemaliges AKW, jetzt Wiederaufbereitungsanlage, katastrophaler Unfall 1957) fließt radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer, seit Jahren. Ist auch kein Geheimnis. Laut Greenpeace: Tschernobyl in Zeitlupe.

Text:

GastautorIn: Johanna Arbeithuber / Wiener Plattform Atomkraftfrei für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /