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Temelin-Kommission schließt Arbeit ab

Diskussion über offene Sicherheitsfragen geht weiter

Die bilaterale parlamentarische Temelin-Kommission, die sich auf Vorschlag von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Ministerpräsident Mirek Topolanek unter der gemeinsamen Vorsitzführung von Bundesrat Albrecht Konecny und Abgeordnetem Jan Kasal mit Fragen der Erfüllung des Melker Abkommens und der Vereinbarung von Brüssel befasst hat, hielt heute in Melk ihre vierte und abschließende Sitzung ab. Danach stellten sich die beiden Vorsitzenden in einer gemeinsamen Pressekonferenz den Medienvertretern, zogen eine positive Bilanz über ihre Arbeit und übergaben der Presse den gemeinsamen Schlussbericht der Kommission.

Aus österreichischer Sicht hielt Kommissionsvorsitzender Konecny fest, die Experten hätten im Verlauf der letzten 12 Monate bestätigt, eine Vielzahl von Informationen bekommen zu haben, die ihnen vorher nicht bekannt waren. Das bedeute, dass der Melker Prozess durch die Arbeit der bilateralen Kommission in Gang gekommen sei. Auf Basis dieser Informationen haben die Experten in einigen Punkten Übereinstimmung erzielen können. Es gebe aber auch Punkte, bei denen von österreichischen Experten weiterer Informationsbedarf angemeldet wurde. In der Frage der Erdbebengefahr etwa werde ein gemeinsames wissenschaftliches Programm gestartet, teilte Konecny mit. Dazu kommen Punkte, wo ein ständiger Informationsaustausch und ständige Beobachtung während der gesamten Lebensdauer des AKW Temelin erforderlich sei. Gemeinsam erklärten Jan Kasal und Albrecht Konecny die Arbeit der Kommission für beendet, forderten aber zugleich ihre Regierungen dazu auf, das Follow-up sicherzustellen.

Kommissionsvorsitzender Jan Kasal dankte den österreichischen Kommissionsmitgliedern und den Experten für die konstruktive Zusammenarbeit in einer wichtigen Aufgabe und erinnerte aus tschechischer Sicht daran, wie schwer es ihm beim Start der Arbeit der Kommission im Juli 2007 in Prag erschienen sei, in schwierigen Fragen eine Einigung zwischen zwei Parlamenten und Mitgliedern von 11 Fraktionen herbeizuführen. Das Ergebnis zeige aber, wie sinnvoll die Idee von Bundeskanzler Gusenbauer und Ministerpräsident Topolanek gewesen sei, denn die bilaterale Kommission habe einige Hindernisse beseitigen können, die die österreichisch-tschechische Zusammenarbeit belastet haben.

Gegenüber der österreichischen Auffassung, alle offenen Fragen hätten gelöst werden müssen, bevor das AKW Temelin in Betrieb genommen wurde, hielt Jan Kasal fest, Tschechien habe das AKW Temelin in völliger Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften der tschechischen Republik in Betrieb genommen.

Es sei auch nicht gelungen, Einigung über die unterschiedliche Wahrnehmung des Rechtscharakters des Melker Protokolls zu erzielen. Tschechien sei aber immer bemüht gewesen, den Inhalt dieses Protokolls in der Praxis zu erfüllen, sagte der tschechische Kommissionsvorsitzende. Demgegenüber stellte sein österreichischer Kollege Konecny fest, er hätte es für zielführend gehalten, die Frage des Rechtscharakters des Melker Protokolls einem internationalen Forum zur Entscheidung vorzulegen. Diesen Vorschlag habe die tschechische Seite aber bedauerlicherweise nicht akzeptiert.

Die Arbeit der Kommission habe aber jedenfalls zu einer Entkrampfung zischen Österreich und Tschechien geführt, ein Ergebnis, das nicht nur der Arbeit der Kommission, sondern auch der Bereitschaft der Anti-AKW-Bewegung zu danken sei, sich in einen konstruktiven Prozess einzuklinken. Er hoffe, dass es möglich sein werde, diese Situation aufrecht zu erhalten, fügte Konecny hinzu.

Auf jüngste Ereignisse in einem anderen Nachbarland Bezug nehmend meinte Konecny, Österreich könnte froh sein, wenn es mit allen Nachbarstaaten, die AKW betreiben, Verträge wie mit der tschechischen Republik haben könnte. Wir sollten den Informationsaustausch mit allen Ländern auf das selbe Niveau heben wie mit Tschechien, schloss Konecny.

Abschließend hielt Kommissionsvorsitzender Albrecht Konecny fest, ebenso wenig wie Tschechien die Möglichkeit habe, Österreich zu zwingen, AKW zu bauen, habe Österreich eine Möglichkeit, Tschechien den Bau eines AKW zu verbieten. "Was wir aber tun können ist, auf wichtige Sicherheitsaspekte hinzuweisen und auf die Vorlage eines Maximums an Informationen in dieser Frage zu drängen. Dies ist in einem beträchtlichen Umfang gelungen", sagte Albrecht Konecny und sprach die Hoffnung aus, auch bei den offen gebliebenen Punkten zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen.

Der Schlussbericht der Bilateralen Parlamentarischen Temelin- Kommission im Wortlaut:

BILATERALE PARLAMENTARISCHE KOMMISSION TEMELIN
SCHLUSSBERICHT MELK, 9. JUNI 2008

Auf Vorschlag des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Alfred Gusenbauer und des Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik, Mirek Topolánek, haben das österreichische und das tschechische Parlament die bilaterale parlamentarische Kommission zu Themen im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Temelin eingesetzt. Auf der Grundlage des Vorschlages der Regierungschefs entschied die Kommission, sich mit der Erfüllung des "Abkommens zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up" ("Vereinbarung von Brüssel") zu befassen.

Die Kommission trat zu vier Sitzungen zusammen, am 11. Juli 2007 in Prag, am 17. und 18. September 2007 in Wien, am 17. Dezember 2007 in Budweis und am 9. Juni 2008 in Melk.

Während des gesamten Verhandlungsprozesses unterstrich die österreichische Seite ihre klare Ablehnung der Kernenergie; andererseits unterstrichen beide Seiten ihre Achtung des souveränen Rechts jedes Mitgliedstaates hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie und Wahl des Energie-Mix. Andererseits bestand zwischen den beiden Seiten immer Konsens, dass es ein legitimes Interesse an der Nuklearsicherheit in den Nachbarstaaten gibt. In diesem Zusammenhang begrüßte die Kommission die Ratifizierung des Protokolls zwischen Österreich und der Tschechischen Republik zur Änderung des Abkommens zwischen den Regierungen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit der nuklearen Sicherheit und dem Strahlenschutz.

Die Arbeit der Kommission wurde gemäß den Punkten von Annex I zu den "Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up" strukturiert. Die Kommission wurde seitens der tschechischen und österreichischen Delegationen nominierten Experten, die die Verhandlungen der Kommission mit einer Reihe von Seminaren und Workshops vorbereiteten, unterstützt.

Auf der Grundlage von gemeinsamen Zusammenfassungen von vier Workshops der tschechischen und österreichischen Experten (Annexe IV bis VIII), kam die Kommission zu der Schlussfolgerung, dass wesentliche Fortschritte erreicht wurden. Alle aufgeworfenen Punkte wurden auf der Basis der technischen Originaldokumente und der themenspezifischen Präsentationen und Workshops umfassend behandelt. Die meisten Punkte wurden gelöst, in anderen Fällen wurden Annäherungen der Standpunkte erreicht.

Auf der Grundlage der übereinstimmenden Positionen der österreichischen und tschechischen Experten kam die Kommission zu der Schlussfolgerung, dass die Punkte "Integrität der Primärkreislaufkomponenten - zerstörungsfreie Prüfung" (4), "Qualifikation der sicherheitsrelevanten Komponenten" (5), "Fragen im Zusammenhang mit schweren Unfällen - Radiologische Folgen" (7a) und "Fragen im Zusammenhang mit schweren Unfällen - Richtlinien zum Management schwerer Unfälle" (7b) gelöst sind.

Der Punkt "Erdbebengefährdung des Standortes" (6) konnte mit einigen Einschränkungen gelöst werden, wobei ein gemeinsames Forschungsprogramm, das von den tschechischen und österreichischen Experten eingesetzt wurde, erst Ergebnisse produzieren muss. Diese Ergebnisse werden zu berücksichtigen sein; weitere Aktivitäten hängen von ihnen ab.

Bezüglich der Punkte "Qualifikation der Ventile" (2) und "hochenergetische Rohrleitungen auf der 28,8 m-Bühne" (1) konnte eine Annäherung der Positionen erreicht werden, allerdings konnten diese Punkte nicht geschlossen werden. Beide Seiten stimmen überein, dass diese Punkte unter den bilateralen Nuklearinformationsabkommen weiter diskutiert werden.

Der Punkt "Reaktordruckbehälterintegrität und Schockbelastung unter Temperatur und Druck" (3) konnte zu diesem Zeitpunkt auch geschlossen werden, mit dem Verständnis, dass ein weiterer Informationsaustausch unter dem bilateralen Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Tschechischen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit der nuklearen Sicherheit und dem Strahlenschutz erfolgen wird.

Die detaillierten Ergebnisse sind in den Annexen IV bis VIII enthalten. Dennoch konnte nicht zu allen Punkten Konsens auf Expertenebene erreicht werden und manche Punkte bedürfen eines "Follow-up" während der gesamten Betriebsperiode des KKW Temelin.

Die tschechische Seite wurde von der österreichischen Position, wonach offene Punkte der Vereinbarung von Brüssel aus dem Jahr 2001 vor der kommerziellen Inbetriebnahme des KKW Temelin gelöst hätten werden sollen, informiert.

Die Kommission befasste sich auch mit den Rechtsfragen des Melker Protokolls aus dem Jahr 2000 und der Vereinbarung von Brüssel von 2001, wobei kein Konsens über die Rechtsnatur dieser Abkommen erreicht werden konnte.

Während die österreichische Seite darauf bestand, dass diese Abkommen bindende Verträge unter internationalem Recht sind, betonte die tschechische Seite, dass diese Abkommen bilaterale Abkommen sind, die von der Tschechischen Republik in vollem Umfang erfüllt werden. Der Vorschlag der österreichischen Seite, die offenen Punkte unter diesen Abkommen einer internationalen Instanz zur Entscheidung vorzulegen, wurde von der tschechischen Seite nicht akzeptiert.

Folglich zieht die Kommission die Schlussfolgerung, dass - die Kommission ihr Mandat erfüllt hat; - die in Annex I zu den "Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up" (Brüssel, November 2001) angeführten Punkte - sowie andere technische Punkte, die sich aus der Tätigkeit dieser Kommission ergeben können - wie in den Zusammenfassungen der Workshops (Annexe IV bis VIII) festgelegt, im Rahmen des entsprechenden bilateralen Abkommens weiterverfolgt werden; - beide Regierungen alle Bemühungen unternehmen sollen, um die für das "Follow-up" notwendigen Ressourcen sicher zu stellen, insbesondere durch die Finanzierung der Forschungsprojekte, die zur Harmonisierung der wissenschaftlichen Basis für die Evaluierung der Erdbebengefährdung für den Standort Temelin beitragen würden; - und dass kein weiterer Bedarf besteht, die in Annex I zu den Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up angeführten Themen auf parlamentarisch-politischer Ebene zu behandeln.

Die Mitglieder der Kommission unterstreichen, dass die Verhandlungen stets in einem konstruktiven und kooperativen Geist geführt wurden. Die österreichische Seite begrüßte ausdrücklich die Bereitschaft der tschechischen Experten, alle gewünschten Daten und Informationen zur Verfügung zu stellen.

Die Kommission erklärt ihre Aufgabe für beendet und beide Delegationen werden nun an ihre Parlamente und Regierungen berichten und die Regierungen ersuchen, das Follow-up sicher zu stellen. Dennoch empfiehlt die Kommission dem österreichischen und dem tschechischen Parlament auf diese Art von bilateraler parlamentarischer Kommission zurück zu greifen, sofern dafür wieder Bedarf entstehen sollte.

Annex I: Members of the Commission
Annex II: Conclusions Vienna
Annex III: Conclusions Ceské Budejovice
Annex IV: Summary of Workshop, Item No. 2, 26.11.2007, Rež
Annex V: Summary of Workshop, Item No. 6, 22.-23.11.2007, Vienna
Annex VI: Summary of Workshop, Item No. 3, 26.-27. 2. 2008, Rež
Annex VII: Summary of Workshop, Item No. 2, 12. 3. 2008, Rež
Annex VIII: Summary of Workshop, Item No. 1. 13. 3. 2008, Rež

Jan Kasal Albrecht Konecny

Quelle: Aussendung der Parlamentskorrespondenz



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Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /